OGH 9ObA63/22p

OGH9ObA63/22p31.8.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Hon.‑Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Manfred Joachimsthaler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Christian Lewol (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei * B*, vertreten durch Dr. Günther Tarabochia, Mag. Sascha Lumper, Rechtsanwälte in Bregenz, gegen die beklagte Partei V* AG, *, Schweiz, vertreten durch Englmair Rechtsanwalts GmbH in Linz, wegen 30.000 EUR sA (Revisionsinteresse: 18.873,34 EUR sA), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. März 2022, GZ 15 Ra 4/22h‑73, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00063.22P.0831.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

[1] Der Oberste Gerichtshof ist nicht dazu berufen, für die Einheitlichkeit oder Rechtsfortbildung fremden Rechts Sorge zu tragen oder Leitlinien zum richtigen Verständnis dieses Rechts zu entwickeln (RS0042940 [T8]; RS0042948 [T20]; RS0080958 [T2]). Die Revision ist bei Anwendung fremden Rechts daher nur dann zulässig, wenn dieses Recht unzutreffend ermittelt oder eine in seinem ursprünglichen Geltungsbereich in der Rechtsprechung und Lehre gefestigte Ansicht hintangesetzt worden wäre oder wenn grobe Subsumtionsfehler vorlägen, die richtiggestellt werden müssten (RS0042940 [T9]; RS0042948 [T21]; vgl auch RS0113594). Solche Gründe gehen aus der Revision des Klägers, mit der er die vom Berufungsgericht angenommene Verwirklichung eines Entlassungsgrundes nach Art 337 Schweizer Obligationenrecht (OR) bekämpft, nicht hervor.

[2] Gemäß Art 329c Abs 1 OR sind die Ferien in der Regel im Verlauf des betreffenden Dienstjahres zu gewähren; wenigstens zwei Ferienwochen müssen zusammenhängen.

[3] Gemäß Art 329c Abs 2 OR bestimmt der Arbeitgeber den Zeitpunkt der Ferien und nimmt dabei auf die Wünsche des Arbeitnehmers soweit Rücksicht, als dies mit den Interessen des Betriebs oder Haushalts vereinbar ist.

[4] Gemäß Art 337 Abs 1 OR kann aus wichtigen Gründen der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer jederzeit das Arbeitsverhältnis fristlos auflösen.

[5] Gemäß Art 337 Abs 2 OR gilt als wichtiger Grund namentlich jeder Umstand, bei dessen Vorhandensein dem Kündigenden nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden darf.

[6] Ob die dem Arbeitnehmer vorgeworfene Pflichtverletzung die erforderliche Schwere erreicht, lässt sich nicht allgemein sagen, sondern hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab (BGE 127 III 153 E 1.a, S 155; BGE 108 II 301 E 3.b, S 302 f ua).

[7] Nach Schweizer Lehre und Rechtsprechung kann der eigenmächtige Bezug von Ferien grundsätzlich einen Grund für eine fristlose Entlassung darstellen. Verweigert der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer aber zu Unrecht den Ferienbezug zum gewünschten Zeitpunkt oder unterlässt der Arbeitgeber die rechtzeitige Ferienfestsetzung spätestens auf das Ende des betreffenden Jahres, so kann der Arbeitnehmer die Ferien nach erfolgloser Abmahnung eigenmächtig beziehen (Streiff, Arbeitsvertrag7 Art 329c N7, N8, S 670 ff; s auch Kostkiewicz/Wolf/Amstutz/Fankhauser, OR3, Art 329c Rz 5 mwN der Rspr; Widmer Lüchinger/Oser, Obligationenrecht I7 Art 329c Rz 1, 11; Art 337 N20). In solchen Fällen ist ein rechtzeitig angekündigter eigenmächtiger Ferienbezug zulässig (Honsell, Obligationenrecht Art 329c Rz 9). Es entspricht auch der Rechtsprechung, dass zweifellos besondere Umstände die Schwere der Verletzung des Vertrauensverhältnisses durch einseitigen Ferienbezug mildern oder aufheben können. Dies gilt beispielsweise für den Fall, dass der Arbeitgeber, der früh genug informiert wurde, die legitimen Wünsche des Arbeitnehmers nicht berücksichtigt, obwohl die Interessen des Unternehmens kaum beeinträchtigt werden, und somit nicht dem Geist von Art 329c Abs 2 OR entspricht (BGE 108 II 301 E 3.b).

[8] Diesen Rahmen hat das Berufungsgericht, das sich ausführlich mit der Schweizer Lehre und Rechtsprechung auseinandergesetzt hat, bei Beurteilung des Ferienantritts des Klägers nicht verlassen. Aus den von ihm genannten Schreiben (Beil ./Q, ./S) ist für seinen Standpunkt nichts zu gewinnen, weil daraus zwar Auffassungsunterschiede über seine Ferialansprüche bis einschließlich 2018 hervorgehen, aber keine konkret beabsichtigte Inanspruchnahme von Ferien durch ihn. Soweit sich der Kläger auf ein Leistungsverweigerungsrecht beruft, da wesentliche Bestandteile seines Anspruchs, nämlich des Ferienanspruchs, zu Unrecht bestritten worden seien, übergeht er, dass jedenfalls der Ferienanspruch für 2019 unbestritten war und ein solcher nach der Vorgabe des Art 329c OR und der genannten Rechtsprechung nicht mit einem Leistungsverweigerungsrecht zu beanspruchen ist. Eine an die Beklagte gerichtete Aufforderung, ihm konkret genannte Ferien zu gewähren, ist nach seinem Krankenstand und im Zusammenhang mit seiner Dienstfreistellung (Vergleichsgespräche) nicht erfolgt. Vielmehr erklärte er am 10. 7. 2019 abends, die Arbeit vorerst einzustellen und – nach Verwarnung und Androhung einer Entlassung – vorerst 14 Tage Ferien zu nehmen und nicht zur Arbeit zu kommen, womit der Beklagten kurzfristig auch weitere Dispositionsmöglichkeiten genommen waren. Grobe, durch den Obersten Gerichtshof aufzugreifende Beurteilungsfehler des Berufungsgerichts zu den Art 329c und 337 OR liegen hier nicht vor.

[9] Die außerordentliche Revision des Klägers ist daher mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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