OGH 14Os59/22s

OGH14Os59/22s24.8.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. August 2022 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Turner in der Strafsache gegen M* B* wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 12 dritter Fall, 146, 147 Abs 3, § 148 zweiter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 15. Juli 2021, GZ 121 Hv 5/20x‑926, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0140OS00059.22S.0824.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde M* B* von der wider sie erhobenen Anklage (ON 819, modifiziert ON 884 S 4 f) gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen, sie habe (zusammengefasst) zwischen 9. September 2015 und Februar 2019 in S*/Bulgarien und an anderen Orten im Ausland

I./ gewerbsmäßig durch Anstellung, Team- und Schichteinteilung, Verwaltung der Personalangelegenheiten sowie Entlohnung der „Callcenter-Agents“, durch Organisation, Bereitstellung der Ausstattung sowie finanzielle Bedarfsdeckung der Callcenter und durch Unterzeichnung von Consultingverträgen sowie sonstigen Vereinbarungen, zu den strafbaren Handlungen einerseits der „Callcenter-Agents“ andererseits des G* B* und weiterer Täter beigetragen, wobei Letztere als Betreiber der Online-Plattformen O*, x*, G* und S* betrügerisch und gewerbsmäßig zahlreiche „Callcenter‑Agents“ dazu bestimmten, zumindest 1.330 Personen durch Täuschung über das wahre Wesen der genannten, lediglich Betrugsvehikel darstellenden Anlageplattformen, die tatsächlich keine Anlageprodukte im Rahmen gesetzlicher Vorgaben vertrieben, zu den in der Anklage sowie im Urteil genannten, einen Schaden von zumindest 2.722.139,68 Euro herbeiführenden Zahlungen ohne adäquate Gewinn- oder Ertragschancen zu veranlassen;

II./ als Buchhalterin und faktische Finanzverantwortliche der in der Anklage und im Urteil genannten Unternehmen die Herkunft von aus mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten Handlungen herrührenden Vermögensbestandteilen, nämlich der zu 1./ genannten Gelder, durch falsche Angaben im Rechtsverkehr über deren Ursprung und deren wahre Beschaffenheit verschleiert, indem sie die von den Opfern geleisteten Zahlungen unter Verwendung von Scheinverträgen und Scheinrechnungen mit falschen Bezeichnungen oder Leistungsgegenständen in Sammelüberweisungen (teilweise über mehrere „Stationen“) an von G* B* oder weitere Täter beherrschte und nach außen als Betreibergesellschaften der jeweiligen Online-Plattformen auftretenden Gesellschaften und weitere im Ausland ansässige Gesellschaften überwiesen, weiterüberwiesen und letztlich teilweise von dort bar behoben habe.

Rechtliche Beurteilung

[2] Die dagegen erhobene, auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft verfehlt ihr Ziel.

[3] Das Erstgericht hat zu beiden Anklagefakten (auch) in Betreff der subjektiven Tatseite alle für die Verwirklichung eines Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 12 dritter Fall, 146, 147 Abs 3, § 148 zweiter Fall StGB sowie eines Verbrechens der Geldwäscherei nach § 165 Abs 1 oder 2 und Abs 4 StGB erforderlichen Vorsatzelemente verneint.

[4] Entgegen der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) haben sich die Tatrichter mit den in der Hauptverhandlung vorgekommenen Chatnachrichten nicht nur generell (US 28, 34, 38 f, 42, 46, 52 und 59), sondern auch in Betreff solcher mit * L* (auch L*; US 37 f, 39, 46, 52 und 57) und * Te* (US 56) auseinandergesetzt. Dem Gebot gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend konnte dabei eine gesonderte Erörterung einzelner von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführter Nachrichten zwischen M* B* und * L* unterbleiben (RIS‑Justiz RS0106642).

[5] Da die bloße Erkennbarkeit einer Sachverhaltsverwirklichung, die einem gesetzlichen Tatbild entspricht, zur Annahme eines (auch nur bedingt) vorsätzlichen Handelns nicht ausreicht, stehen objektive (Tat‑)Umstände indizierende Beweisergebnisse negativen Feststellungen zur inneren Tatseite keineswegs notwendig entgegen und sind damit auch nicht jedenfalls gesondert erörterungsbedürftig (vgl 15 Os 76/21x; RIS‑Justiz RS0089023, RS0098646).

[6] Soweit daher Urkunden und Schriftsätze zwar Rückschlüsse auf tatsächliche und rechtliche Umstände, nicht aber auf das voluntative Element des Vorsatzes zulassen (vgl RIS‑Justiz RS0088968, RS0088934), zeigt eine Beschwerde mit der Argumentation, derartige Beweisergebnisse hätten in Ansehung der subjektiven Tatseite auch andere, von vorliegenden (Negativ‑)Feststellungen abweichende Annahmen zugelassen, Unvollständigkeit im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO nicht auf.

[7] Demnach geht die Behauptung, die Tatrichter hätten bei den zu beiden Anklagevorwürfen zur inneren Tatseite getroffenen (Negativ‑)Feststellungen mehrere Verfahrensergebnisse, nämlich eine „To-Do-Liste“ für M* B*, eine Darstellung der österreichischen Finanzmarktaufsicht zur Plattform „O*“, zur Gp* Ltd erzielte Beweisergebnisse und (weitere) Chatnachrichten (ua mit * L*, * F*, * A* und betreffend die Vertragsgestaltung hinsichtlich Dividenden an * S*), einen E‑Mail‑Verkehr vom Dezember 2018 betreffend die Konten der Gesellschaften R*, K* und D*, verschiedene E‑Mail‑Nachrichten aus den Jahren 2017 und 2018 sowie eine Liste betreffend die Suche und Testung von Zahlungsdienstleistern unter Einbindung von M* B* (Punkte 1./f./ und h./ der Beschwerde), unberücksichtigt gelassen, ins Leere. Denn das darauf bezogene Vorbringen lässt nicht erkennen, dass die ins Treffen geführten Verfahrensergebnisse das voluntative Element des Vorsatzes indizierende Umstände enthalten und solcherart erörterungspflichtig gewesen wären.

[8] Mit dem Hinweis, dass die anklagegegenständlichen Tätigkeiten mittels Offshore-Gesellschaften samt Strohleuten erfolgten und bei den kontoführenden Banken die Telefonnummer der M* B* verwendet wurde, und dem Vorwurf, das Erstgericht habe nicht erörtert, dass unter der Verantwortung der Angeklagten über die Konten der N* S.A. und der Gp* Ltd. innerhalb von zwei Jahren insgesamt 60 Millionen Euro an Opfergeldern geschleust worden seien, bei der Schaffung neuer Plattformen die Bereitstellung von Offshore-Gesellschaften samt Strohleuten sowie die nachfolgenden Gestionierungen der vereinnahmten Gelder im Verantwortungsbereich der Angeklagten lag, und nicht näher ausgeführt, welche Aufgaben der M* B* als „berufsspezifische Tätigkeiten“ anzusehen seien, insbesondere inwiefern es sich um ein berufsspezifisches Vorgehen handeln soll, über die Bankguthaben der S* Ltd. zu verfügen, Rechnungen auf dieses Unternehmen auszustellen und Zahlungen zu veranlassen, wenn die Angeklagte laut eigenen Aussagen den Geschäftsführer dieses Unternehmens nicht kennt, übt die Beschwerde mit Blick auf die ausführlichen, diese Umstände zusammenfassend in den Blick nehmenden Ausführungen der Tatrichter (nur) Beweiswürdigungskritik nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht zulässigen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld.

[9] Gleiches gilt für den Vorwurf, das Erstgericht habe sich mit einem Abschlussbericht ON 793 nur oberflächlich beschäftigt, mit eigenständigen Interpretationen einzelner Verfahrensergebnisse (insbesondere des Schriftverkehrs zwischen der N* S.A. und der I*, der Bankunterlagen zur S* Ltd. und von Korrespondenzauswertungen), mit (auch) daraus abgeleiteten Schlüssen zur Rolle und zum Kenntnisstand der Angeklagten und derdamit im Zusammenhang stehenden Einordnung der tatrichterlichen Beweiswürdigung als bloßer Scheinbegründung (vgl auch RIS‑Justiz RS0098400).

[10] Da die nicht erfolgreich bekämpften Negativfeststellungen zur subjektiven Tatseite beider Anklagevorwürfe den von der Staatsanwaltschaft angestrebten Subsumtionen und somit einer erfolgreichen Urteilsanfechtung jedenfalls entgegenstehen, erübrigt sich ein Eingehen sowohl auf das weitere, gegen die zum jeweiligen objektiven Tatgeschehen getroffenen (Negativ‑)Feststellungen und deren Begründung gerichtete Beschwerdevorbringen aus Z 5 erster, zweiter und dritter Fall, als auch auf jenes der Rechtsrüge (Z 9 lit a; vgl RIS‑Justiz RS0127315).

[11] Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

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