OGH 8ObA43/22i

OGH8ObA43/22i18.7.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Mag. Elke Wostri (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Manuela Majeranowski‑Laufer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R* V*, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl Kommandit‑Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei C* Aktiengesellschaft, *, vertreten durch die Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, und die Nebenintervenientinnen auf Seiten der beklagten Partei 1. V* AG, *, vertreten durch die CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 2. VB* Aktiengesellschaft, *, vertreten durch Mag. Johannes Kautz, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung und Handlung, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Jänner 2022, GZ 7 Ra 82/21m‑37, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 19. November 2020, GZ 5 Cga 62/20b‑27, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00043.22I.0718.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei und deren Nebenintervenientinnen die jeweils mit 2.250,90 EUR (darin jeweils 375,15 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer jeweiligen Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten endete am 31. 12. 2018 aufgrund seiner Pensionierung. Bei der Beklagten besteht eine Betriebsvereinbarung über deren Beitritt zu einer Pensionskasse (PK‑BV). Die Höhe der Pension ergibt sich grundsätzlich aus der Verrentung des Guthabens. Mindestens wird sie in der Höhe, die sich aus der Verrentung der Arbeitgeberbeiträge (grundsätzlich 70 % des in der Anlage 1 ausgewiesenen Beitrags fix, weitere variable Beiträge) ergibt, und maximal in der Höhe der jeweiligen Zielpension gewährt (§§ 7 iVm 13 der BV‑PK). Die Zielpension ergibt sich grundsätzlich aus einer in § 5 der Anlage 1 zur BV‑PK enthaltenen Tabelle. Zu einer allfälligen Neufestlegung der Zielpensionen ist in dieser Anlage Folgendes vorgesehen:

„§ 2 Der Zentralbetriebsrat und der Arbeitgeber beraten jährlich, ob die Zielpensionen gemäß § 5 in der aktuell gültigen Höhe aufrecht erhalten werden können.

Im Einvernehmen mit dem Zentralbetriebsrat können anschließend Zielpensionen und Beiträge gemäß § 5 neu festgelegt werden. Absenkungen der Zielpensionen und Beiträge sind nur bei entsprechender wirtschaftlicher und sachlicher Begründung zulässig.

[…]

§ 4 Die Neufestlegung der Zielpensionen hat im gleichen Verhältnis für alle Arbeitnehmer gemäß BV § 2 (1) Z 1 zu erfolgen, unabhängig davon, ob diese zu diesem Zeitpunkt noch AWB oder bereits LB der Pensionskasse sind.“

 

[2] Gestützt auf diese Bestimmungen vereinbarten die Beklagte und der Zentralbetriebsrat eine Anpassung der Zielpensionen dahin, dass diese ab 1. 7. 2020 vorerst um 30 % herabgesetzt werden.

[3] Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren statt, wonach Änderungen der Pensionszusage gegenüber dem Kläger unwirksam seien, und verpflichtete die Beklagte klagegemäß, dies der ersten Nebenintervenientin (konsortialführende Pensionskasse) mitzuteilen.

[4] Das Berufungsgericht erachtete die Leistungsänderung grundsätzlich für zulässig und hob das Ersturteil zur Ergänzung auf, da noch nicht beurteilt werden könne, ob die Änderung der Pensionshöhe nach dem Grundsatz Treu und Glauben und nach billigem Ermessen ausgeübt wurde. Es ließ den Rekurs mit der Begründung zu, es gebe noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der entscheidungswesentlichen Frage, ob ein in einer echten Betriebsvereinbarung enthaltener Pensionszusageänderungsvorbehalt zum Inhalt des Einzelvertrags des zukünftigen Pensionisten werde.

[5] Der Rekurs des Klägers ist mangels Ausführung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 (iVm § 519 Abs 2) ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[6] 1. Nach ständiger Rechtsprechung wandelt sich in dem Augenblick, in dem der zukünftige Pensionist aus dem Betrieb ausscheidet, die bisher als Inhaltsnorm wirkende Pensionszusage in der Betriebsvereinbarung in einen vertraglichen Anspruch des Pensionisten gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber (9 ObA 512/88 = DRdA 1990/8 [krit Grillberger] = ZAS 1989/15 [insoweit abl Tomandl]; 8 ObA 170/00h = DRdA 2001/44 [insoweit krit Runggaldier] = ZAS 2001/19 [Risak]; RS0021499; jüngst 9 ObA 113/21i [Rz 32]). Das Berufungsgericht legte diese Rechtsprechung seiner Entscheidung zugrunde. Dass Rechtsgrundlage seines Betriebspensionsanspruchs seit seiner Pensionierung sein Einzelvertrag ist, zieht der Kläger in seinem Rekurs nicht in Zweifel.

[7] 2. Es ist grundsätzlich zulässig, bei Zusage einer Betriebspension selbst einen Änderungsvorbehalt zu machen (zB 8 ObA 220/95 = DRdA 1996/13 [zust Resch] = ecolex 1995, 745 [zust Mazal]; 8 ObA 99/04y = DRdA 2006/40 [Runggaldier]; Schrammel/Kietaibl, BPG und PKG2 §§ 8–9 BPG Rz 1 ua). Beinhaltet die Betriebsvereinbarung über die Betriebspension einen solchen, so kann ein Arbeitnehmer nicht darauf vertrauen, dass der Änderungsvorbehalt nicht auch zum Inhalt seines Einzelvertrags bei Beendigung seines Arbeitsverhältnisses wird (8 ObA 99/04y = DRdA 2006/40 [insoweit zust Runggaldier]). Arbeitnehmer müssen allgemein, wenn eine Betriebsvereinbarung zum Bestandteil ihres Einzelvertrags wird, auch darin enthaltene für sie ungünstige Bedingungen gegen sich gelten lassen (9 ObA 81/99y = DRdA 2001/1 [Jabornegg] = ZAS 2000/8 [insoweit zust Standeker]; 8 ObA 59/17k [Pkt 4.2] = DRdA 2018/53 [Glowacka] = JAS 2018, 269 [Reissner]).

[8] 3. Die Mitbestimmungsrechte der Belegschaft sind in den Bestimmungen des ArbVG über die Betriebsverfassung abschließend und absolut zwingend geregelt (RS0050863 [T3]). Aus dem Fehlen einer mit § 2 Abs 2 Z 3 ArbVG vergleichbaren, die Regelungskompetenz der Betriebsparteien ausdrücklich auf ausgeschiedene Arbeitnehmer und damit auf Betriebspensionisten erstreckenden Norm sowie unter anderem aus der Erwägung, dass die betriebliche Arbeitnehmervertretung gegenüber ausgeschiedenen und damit nicht mehr aktiv wahlberechtigten Pensionisten nicht demokratisch legitimiert ist, schließt die herrschende Rechtsprechung, dass der Betriebsrat nicht befugt ist, Ruhebezüge von Pensionisten zu regeln (9 ObA 512/88; RS0021539; RS0050955). Dafür spricht auch die Gegenläufigkeit der finanziellen Interessen der vom Betriebsrat vertretenen noch nicht bezugsberechtigten Arbeitnehmer und jener der Pensionisten (zB Kuras, Bedeutung der Rechtsprechung zu Betriebspensionen, in Drs, Betriebspensionsrecht [2008] 221 [226]). Auch im Falle des Pensionskassen-Modells sind gegenläufige Interessen von Pensionisten und Arbeitnehmern denkbar (Kuras, Entgeltregelungen in Betriebsvereinbarungen, in Tomandl/Schrammel, Betriebsvereinbarungen [2010] 51 [72 f]: Nachschusspflicht).

[9] Hier geht es nun aber überhaupt nicht um die dem Betriebsrat mit dem Betriebsinhaber ganz allgemein nach dem ArbVG zustehenden Befugnisse zur Änderung von Betriebsvereinbarungen, sondern ein bereits in der Betriebsvereinbarung vorgesehenes Gestaltungsrecht.

[10] Der Vorbehalt nach §§ 2 iVm 4 der Anlage 1 zur PK‑BV erfasst ausdrücklich nicht nur Anwartschaftsberechtigte („AWB“), sondern auch Leistungsberechtigte („LB“), also Pensionisten. Hinsichtlich letzterer fehlt es dem Zentralbetriebsrat schon grundsätzlich an der gesetzlichen Kompetenz zur Regelung von deren Belangen. Daraus folgt entgegen der Ansicht des Klägers jedoch nicht die Unwirksamkeit des Vorbehalts. Die unzulässige Erweiterung der Mitwirkungsbefugnisse des Betriebsrats hat bloß zur Folge, dass der ein Zusammenwirken von Betriebsrat und Arbeitgeber vorsehende Änderungsvorbehalt in einen Änderungsvorbehalt allein des Arbeitgebers umzudeuten ist, den dieser aber nur nach billigem Ermessen ausüben darf (8 ObA 59/17k [Pkt 5.4]; ebenso bereits Kietaibl in Tomandl, ArbVG [5. Lfg] § 29 Rz 48 sowie Schrammel, Die Beendigung freier Betriebsvereinbarungen, in Tomandl/Schrammel, Betriebsvereinbarungen [2010] 79 [92 ff]). Die unzulässige Konkretisierungsregelung – „im Einvernehmen mit dem Zentralbetriebsrat“ – ist daher im Ergebnis jedenfalls nicht gänzlich unwirksam, sondern als gebundenes Gestaltungsrecht des Arbeitgebers im Sinne der dargestellten Rechtsprechung zu verstehen (vgl zu den verschiedenen Ansätzen, etwa auch als Kontrolle des Betriebsrats nach § 89 ArbVG, Schrammel aaO 94, oder zur Übernahme der gemeinsamen Änderungsmöglichkeit zB Drs, Ausgestaltung und Änderung betrieblicher Pensionszusagen, DRdA 2007, 242 [248]; vgl auch Felten/Preiss in Gahleitner/Mosler, ArbVG6 [2020] III § 97 Rz 150 und Reiner in Jabornegg/Resch, ArbVG [39. Lfg 2016] § 97 Rz 417).

[11] Auf die Vereinbarkeit dieses Vorbehalts der Konkretisierung mit den Vorgaben des BPG für Pensionskassenzusagen (§§ 3 bis 6 BPG) muss hier schon deshalb nicht weiter eingegangen werden, weil sich die Ausführungen des Rekurses nur auf die §§ 8, 9 BPG stützen.

[12] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 ZPO iVm § 50 Abs 1 ZPO. Im Zwischenstreit über die (hier mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte) Zulässigkeit des Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts iSd § 519 Abs 1 Z 2 ZPO findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (RS0123222). Die Beklagte und ihre Nebenintervenientinnen haben in ihren Rechtsmittelbeantwortungen auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen. Ihre Rechtsmittelbeantwortungen sind unter diesem Gesichtspunkt als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig anzusehen. Der Streitwert im Rekursverfahren betrug 56.000 EUR.

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