OGH 7Ob27/22d

OGH7Ob27/22d7.7.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende sowie die Hofrätin und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E* OG, *, vertreten durch die Ferner Hornung & Partner Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagte Partei DI F*, vertreten durch Dr. Leopold Hirsch, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 162.071,58 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 25. November 2021, GZ 6 R 146/21i‑40, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00027.22D.0707.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1.1. Der Anscheinsbeweis (prima‑facie‑Beweis) ist die Verschiebung des Beweisthemas von der tatbestandsmäßig geforderten Tatsache auf eine leichter erweisliche Tatsache, die mit ihr in einem typischen Erfahrungszusammenhang steht (RS0040274). Die zu beweisende Tatsache muss sich also aus anderen feststehenden Tatsachen ergeben (RS0040274 [T1]). Der Kausalzusammenhang kann Gegenstand eines solchen Anscheinsbeweises sein (RS0022664 [T6, T18]; RS0023778).

[2] Der Anscheinsbeweis ist nur zulässig, wenn eine typische formelhafte Verknüpfung zwischen der tatsächlich bewiesenen Tatsache und dem gesetzlich geforderten Tatbestandselement besteht; er darf nicht dazu dienen, Lücken der Beweisführung durch bloße Vermutungen auszufüllen (RS0040287). Der Erfahrungssatz muss sich aus einem gleichmäßigen, sich immer wiederholenden Hergang ergeben („typischer Geschehensablauf“), dem neuesten Stand der Erfahrungen entsprechen sowie eindeutig und in jederzeit überprüfbarer Weise formuliert werden können (RS0040287 [T8]; RS0040266 [T21]). Er kommt dort nicht zur Anwendung, wo der Kausalablauf durch einen individuellen freien Willensentschluss eines Menschen bestimmt werden kann (RS0040288). Der bloße Verdacht eines bestimmten Ablaufs, der auch andere Verursachungsmöglichkeiten offen lässt, erlaubt die Anwendung des Anscheinsbeweises nicht (RS0040287 [T5]; RS0040288 [T3]).

[3] Ob ein Anscheinsbeweis überhaupt zulässig ist, ob es sich also um einen Tatbestand mit typischem Geschehensablauf handelt, der eine Verschiebung von Beweisthema und Beweislast ermöglicht, ist eine Frage der Beweislast und damit eine Frage der rechtlichen Beurteilung, die im Revisionsverfahren überprüfbar ist (RS0022624; RS0040196). Ob der Anscheinsbeweis erbracht oder erschüttert worden ist – ob also ein typischer Geschehensablauf für den Kläger spricht oder ob ein anderer Geschehensablauf vom Beklagten wahrscheinlich gemacht werden konnte –, ist hingegen eine vom Obersten Gerichtshof nicht mehr überprüfbare Beweiswürdigungsfrage (RS0022624 [T1]; RS0040196).

[4] Der Lösung der Rechtsfrage, ob unter den konkreten Umständen der Anscheinsbeweis geführt werden kann, kommt regelmäßig keine erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zu (vgl RS0022624 [T5, T8]).

[5] 1.2. Das Berufungsgericht vertrat zusammengefasst die Auffassung, die Zulässigkeit eines Anscheinsbeweises sei zu verneinen, weil keine typische formelhafte Verknüpfung zwischen zu beweisender Tatsache und gesetzlich gefordertem Tatbestandsmerkmal vorliege; der Klägerin als Auftraggeberin sei hier zuzumuten, zu beweisen, dass es nicht zu den hier von ihr begehrten Mängelbehebungskosten gekommen wäre, hätte der beklagte Architekt im Rahmen der örtlichen Bauaufsicht das ihm abverlangte Verhalten gesetzt.

[6] 1.3. Die Revision meint erkennbar, es entspreche allgemein gültigen Erfahrungsgrundsätzen, dass die Klägerin Maßnahmen gesetzt hätte, um Ausführungsfehler zu beheben und in weiterer Folge die ordnungsgemäße Ausführung des Gewerks sicherzustellen, hätte der Beklagte den Ausführungsfehler rechtzeitig und vollständig erkannt und den Bauherrn ordnungsgemäß und umfassend gewarnt.

[7] Sie zeigt damit nicht auf, warum dies doch ein typischer Geschehensablauf im Sinn der Rechtsprechung wäre und dem Berufungsgericht daher eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen sein sollte. Von vom Willen handelnder Personen unabhängigen Geschehensabläufen (vgl RS0040288) kann hier keine Rede sein, was schon das Berufungsgericht auch mit seinen zahlreichen Hinweisen auf das Unterbleiben von Aktivitäten und Reaktionen des die Geschäfte der Klägerin führenden Gesellschafters belegt hat.

[8] 1.4. Die Hilfsbegründung des Berufungsgerichts, der Klägerin wäre ein Anscheinsbeweis, dass ein typischer Geschehensablauf für sie spreche oder ob ein anderer Geschehensablauf vom Beklagten habe wahrscheinlich gemacht werden können, auch gar nicht gelungen, fällt überdies in den Bereich der im Revisionsverfahren nicht mehr überprüfbaren Beweiswürdigung.

[9] 1.5. Erhebliche Rechtsfragen im Zusammenhang mit Fragen des Anscheinsbeweises stellen sich daher nicht.

[10] 2.1. Grundsätzlich trifft den Geschädigten die Beweislast für den Kausalzusammenhang; dies gilt auch nach § 1298 ABGB; die Beweislastumkehr dieser Bestimmung betrifft nur den Verschuldensbereich (RS0022686). Die Beweislast, dass der Schaden bei pflichtgemäßem Verhalten nicht eingetreten wäre, trifft somit auch bei vertraglicher Haftung den Geschädigten. Der Geschädigte hat daher zunächst die Pflichtverletzung und den dadurch verursachten Schaden zu beweisen (vgl RS0022686 [T16]). Die Anforderungen an den Beweis des hypothetischen Kausalverlaufs sind bei einer (angeblichen) Schädigung durch Unterlassen aber geringer als jene an den Nachweis der Verursachung durch positives Tun. Denn die Frage, wie sich die Geschehnisse entwickelt hätten, wenn der Schädiger pflichtgemäß gehandelt hätte, lässt sich naturgemäß nie mit letzter Sicherheit beantworten, weil dieses Geschehen nicht stattgefunden hat (RS0022900 [T14]). Es genügt daher die überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass der Schaden auf das Unterlassen pflichtgemäßen Handelns zurückzuführen ist; dieses Kriterium liegt unter dem Regelbeweismaß der ZPO, wonach für eine (Positiv-)Feststellung eine hohe Wahrscheinlichkeit erforderlich ist (vgl RS0022900 [T8, T28, T40]; RS0022700 [T5, T7, T15]; RS0110701 [T13]).

[11] 2.2. Die Vorinstanzen trafen jedoch Negativfeststellungen nicht nur hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen dem Unterbleiben des Handelns des Beklagten und den behaupteten Schäden, sondern auch in Ansehung der Fragen, ob Ausführungsfehler der Professionisten dem Beklagten tatsächlich zur Kenntnis gelangten oder er diese überhaupt oder so rechtzeitig erkennen hätte können, dass Sanierungskosten hätten vermieden werden können.

[12] 2.3. Der Revision gelingt es vor diesem Hintergrund nicht, die Relevanz einer von ihr behaupteten fehlerhaften Anwendung des Beweismaßes durch die Vorinstanzen darzulegen, weil diese schon die – von der Klägerin zu beweisenden – Pflichtverletzungen als nicht erweislich ansahen. Soweit die Revision vom Beklagten erkannte weitere Mängel anspricht, ist sie zudem auf die von den Tatsacheninstanzen getroffenen Feststellungen zum Unterbleiben von Reaktionen der Klägerin auf diese Warnungen zu verweisen.

2.4. In der Revision werden – neben den in Pkt 4. behandelten – zwei weitere Ausführungsfehler ausdrücklich und konkret angesprochen:

[13] Zum vom Beklagten nicht erkannten Ausführungsfehler im Zusammenhang mit dem Zuhochbauen der Bodenplatte steht fest, dass er – zu dem frühen Zeitpunkt, zu dem dieser Fehler passierte, auf die Korrektheit der Werkleistungen von Vermessungstechniker und Bauunternehmer vertrauen durfte – die zu hohe Ausführung zum Baubeginn mit freiem Auge nicht erkennen und in diesem Stadium dagegen auch nichts unternehmen konnte. Rechtliche Feststellungsmängel liegen in diesem Zusammenhang nicht vor.

[14] Zur Frage des Fäkalkanals hat schon das Berufungsgericht einerseits auf die auch hier zur Erkennbarkeit dieses Mangels getroffene Negativfeststellung hingewiesen; soweit es den Sachverhalt in diesem Zusammenhang andererseits als noch weiter aufklärungs- und die Feststellungen als ergänzungsbedürftig erachtete, ist gegen den diesbezüglichen Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts der Rekurs nicht zulässig (§ 519 ZPO); die Geltendmachung rechtlicher Feststellungsmängel hierzu geht schon aus diesem Grund ins Leere.

[15] 2.5. Erhebliche Rechtsfragen zeigt die Revision auch hier nicht auf.

[16] 3. Woraus die Revision eine Pflicht des Beklagten zu einer „umfassenden Interessenwahrung“ ableiten will und wie dies mit den von den Tatsacheninstanzen getroffenen Feststellungen vereinbar sein sollte, wonach der Beklagte zusammengefasst mit der Planung des Einfamilienhauses der Klägerin und in der Folge mit konkret vereinbarten Aspekten der örtlichen Bauaufsicht betraut war, die aber etwa die Überwachung der Beseitigung von Mängeln gerade nicht umfassten, ist nicht nachvollziehbar. Dies hat bereits das Berufungsgericht aufgezeigt, ohne dass die Revision dem neue Argumente entgegensetzt.

[17] 4. Weitere im Zusammenhang mit dem Schadenersatzbegehren wegen Mängeln der Leistungen des Beklagten betreffend Fassadendämmung und Versorgungsleitungen behauptete rechtliche Feststellungsmängel liegen nicht vor.

[18] 5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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