OGH 4Ob86/22h

OGH4Ob86/22h30.6.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Dr. Nowotny und Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D* K*, vertreten durch Mag. Nikolaus Rast und Mag. Mirsad Musliu, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt *, vertreten durch Dr. Heinrich Fassl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 70.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 17. März 2022, GZ 16 R 48/22d‑55, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00086.22H.0630.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Das Berufungsgericht bestätigte die Klagsabweisung des Erstgerichts, weil kein ärztlicher Kunstfehler nachgewiesen habe werden können und weil der auf den behaupteten Aufklärungsmangel gestützte Anspruch verjährt sei.

[2] Die Klägerin macht mit ihrer außerordentlichen Revision geltend, dass ihr erst aus dem verfahrensgegenständlichen Sachverständigengutachten bekannt geworden sei, dass ein (durch die Einsetzung des Brust-Implantats verursachter) Low‑Grade‑Infekt gegeben gewesen sei, über den sie nicht aufgeklärt worden sei. Es sei ihr daher erst zu einem späteren Zeitpunkt als Anfang 2017 möglich gewesen, eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen, dass die Beklagte die Aufklärungspflicht verletzt habe.

Rechtliche Beurteilung

[3] Damit zeigt die Klägerin jedoch keine erhebliche Rechtsfrage auf. Die Revision ist daher nicht zulässig und folglich zurückzuweisen:

[4] 1.1. Die dreijährige Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, in welchem dem Geschädigten sowohl der Schaden und die Person des Schädigers als auch die Schadensursache bekannt geworden ist. Der Geschädigte hat dann ausreichend Kenntnis vom Sachverhalt, wenn ihm dieser soweit bekannt ist, dass er eine Klage mit Aussicht auf Erfolg anstellen hätte können (RS0034524). Der den Anspruch begründende Sachverhalt muss dem Geschädigten dabei zwar nicht in allen Einzelheiten, aber doch so weit bekannt sein, dass er in der Lage ist, das zur Begründung seines Ersatzanspruchs erforderliche Sachvorbringen konkret zu erstatten. Um mit Erfolg Klage erheben zu können, benötigt der Geschädigte sohin bei der Verschuldenshaftung Kenntnis von der Schadensursache, dem maßgeblichen Kausalzusammenhang und dem Verschulden des Schädigers (RS0034366; RS0034951; RS0034322; 4 Ob 92/19m). Dabei ist es für den Beginn der Verjährung nicht erforderlich, dass der Geschädigte Kenntnis darüber hat, welche schuldhafte Handlung oder Unterlassung des Schädigers Ursache seines Schadens war. Vielmehr genügt es, wenn der Geschädigte Kenntnis von den schädlichen Wirkungen eines Ereignisses erlangt, dessen Ursache oder Mitursache irgendein dem Schädiger anzulastendes Verhalten ist (vgl RS0034951 [T1]). Bei mangelnder Risikoaufklärung beginnt die Verjährungsfrist zu laufen, sobald sich das Risiko, über das aufzuklären gewesen wäre, für den Patienten erkennbar verwirklicht. Zweifel an der Erweisbarkeit des bekannten anspruchsbegründenden Sachverhalts schieben den Verjährungsbeginn nicht hinaus. Es darf daher nicht so lange mit der Klageführung gewartet werden, bis das Prozessrisiko auf ein Minimum reduziert ist (vgl RS0034951 [T21]).

[5] 1.2. Wann der für eine erfolgreiche Klagsführung des Geschädigten ausreichende Kenntnisstand über die Schadenszurechnung erreicht ist und wo die Grenzen der Erkundigungspflicht des Geschädigten liegen, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0034524 [T10, T12, T23, T32]; RS0113916).

[6] 1.3. Eine Einzelfallentscheidung ist für den Obersten Gerichtshof nur dann überprüfbar, wenn im Interesse der Rechtssicherheit ein grober Fehler bei der Auslegung der anzuwendenden Rechtsnorm korrigiert werden müsste. Bewegt sich das Berufungsgericht im Rahmen der Grundsätze einer ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und trifft es seine Entscheidung ohne krasse Fehlbeurteilung aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls, so liegt eine erhebliche Rechtsfrage nicht vor (RS0044088 [T8, T9]).

[7] 2.1. Die Vorinstanzen bejahten die Verjährung des sich auf die Verletzung der Aufklärungspflicht über die Komplikation des Low-Grade-Infekts stützenden Schadenersatzanspruchs der Klägerin, zumal sie spätestens im Jänner 2017 gewusst habe, dass die bei ihr aufgetretenen Schmerzen auf den operativen Eingriff im Jahr 2006 zurückgingen. Ab diesem Zeitpunkt hätte sie somit eine auf die Verletzung von Aufklärungspflichten gestützte Schadenersatzklage mit Aussicht auf Erfolg erheben können.

[8] 2.2. Dieses Ergebnis hält sich im Rahmen der– oben wiedergegebenen – Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, nach der es ausreicht, dass sich das Risiko, über das aufzuklären gewesen wäre, für den Patienten erkennbar verwirklicht. Diese Kenntnis der Klägerin lag nach dem von den Vorinstanzen angenommenen Sachverhalt, sowie nach dem Vorbringen der Klägerin selbst, spätestens Anfang 2017 vor. Wenn somit der (erst) im Oktober 2021 geltend gemachte Anspruch vom Berufungsgericht als verjährt erkannt wurde, liegt darin keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte