OGH 1Ob99/22y

OGH1Ob99/22y22.6.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. HR Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofrätin und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers V*, vertreten durch Dr. Harald Hauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegnerin M*, wegen Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 24. März 2022, GZ 42 R 26/22t‑6, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Meidling vom 30. Dezember 2021, GZ 2 Fam 63/21w‑2, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00099.22Y.0622.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die bisherige Ehewohnung der Streitteile war Gegenstand des von ihnen anlässlich der Scheidung gemäß § 55a EheG abgeschlossenen Vergleichs. Darin vereinbarten sie unter anderem, dass das gemeinsame Eigentum am Haus aufrecht bleiben soll, erklärten, dass kein weiteres eheliches Gebrauchsvermögen und keine ehelichen Ersparnisse vorhanden seien; für den Fall, dass solche(s) allenfalls doch vorhanden seien sollte, verzichteten sie unwiderruflich wechselseitig auf weitere Ansprüche.

Rechtliche Beurteilung

[2] Mit seinem Antrag nach §§ 81 ff EheG begehrte der Kläger unter anderem, ihm das Haus samt Inventar gegen Übernahme von Kreditverbindlichkeiten zuzuweisen und die Pachtrechte an der Liegenschaft, auf der das Haus errichtet sei, auf ihn allein zu übertragen. Auch noch in seinem außerordentlichen Revisionsrekurs steht er dazu auf dem Standpunkt, dass der Scheidungsfolgenvergleich unvollständig geblieben sei, weil darin zwar eine Vereinbarung über das Haus getroffen, aber weder das Schicksal der Rechte an der Liegenschaft noch des Hausrats geregelt worden sei. Damit kann er keine Rechtsfrage von der Bedeutung gemäß § 62 Abs 1 AußStrG aufzeigen.

[3] 1. Der Gesetzgeber räumte der Einigung der Ehegatten über die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse den Vorrang gegenüber einer gerichtlichen Aufteilung ein; letztere soll erst dann und nur insoweit Platz greifen, als die Einigung ausbleibt (RIS‑Justiz RS0046057 [T1]). Das Aufteilungsverfahren steht daher grundsätzlich auch dann zur Verfügung, wenn eine Scheidungsvereinbarung gemäß § 55a EheG zwar getroffen wurde, darin aber – insbesondere wegen Unkenntnis einzelner Aufteilungsgegenstände – keine vollständige Aufteilung erfolgte (RS0008463; RS0008464; RS0008585). In einem solchen Fall ist ein Antrag auf Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens selbst dann zulässig, wenn im Scheidungsvergleich auf eine solche Antragstellung verzichtet wurde (RS0057588); ob und inwieweit damit ein Verzicht auf den materiellen Aufteilungsanspruch verbunden war, wäre im außerstreitigen Aufteilungsverfahren zu prüfen (vgl 1 Ob 144/12a).

[4] 2. Nach ständiger Rechtsprechung erstreckt sich ein Vergleich im Allgemeinen auch auf Fälle, an welche die Parteien nicht gedacht haben, aber nicht auf solche, an die sie nicht denken konnten (RS0032453). Ein anlässlich einer Ehescheidung abgeschlossener Vergleich erledigt daher im Zweifel alle aus dem Eheverhältnis entspringende, den Parteien bekannte Ansprüche (RS0032478). Entscheidend ist dabei, ob sie bei Vergleichsabschluss alle Vermögenswerte bedenken konnten (RS0008464) oder darüber in Unkenntnis waren (RS0008463).

[5] 2.1 Eine anlässlich der Scheidung über deren Folgen abgeschlossene Vereinbarung schließt die Antragstellung nach den §§ 81 ff EheG aber jedenfalls soweit aus, als die Vereinbarung reicht (7 Ob 510/89). Selbst wenn daher – wie der Antragsteller meint – in der Scheidungsvereinbarung keine vollständige Aufteilung erfolgt sein sollte, stünde das Aufteilungsverfahren lediglich zur Entscheidung über die noch offenen Ansprüche zur Verfügung (5 Ob 43/07w).

[6] 2.2 Soweit der Antragsteller die Zuweisung der vormaligen Ehewohnung an sich allein anstrebt, steht dem schon der Umstand entgegen, dass darüber in dem zwischen ihm und seiner (nunmehr geschiedenen) Ehefrau in dem bei der Scheidung gemäß § 55a EheG abgeschlossenen Vergleich eine ausdrückliche Regelung getroffen worden ist. Die Anrufung des Gerichts im Verfahren außer Streitsachen ist aber unzulässig, soweit die Ehegatten die Aufteilung in zulässiger Weise vertraglich geregelt haben (1 Ob 225/19y).

[7] 2.3 Auch sonst kann der Antragsteller nicht aufzeigen, inwieweit der Scheidungsfolgenvergleich unvollständig geblieben sein soll. Es mag zutreffen, dass – wie er behauptet – die Parteien bei Abschluss des Vergleichs nicht ausdrücklich bedachten, dass es sich bei der Ehewohnung um ein Superädifikat handelt, und damit nur ein Bestandrecht und nicht Eigentum an der Liegenschaft, auf der sie errichtet ist, vorliegt; dass sie daran nicht denken konnten oder darüber in Unkenntnis waren, macht er (zu Recht) nicht geltend. Da nach der vertraglichen Vereinbarung das gemeinsame Eigentum am Superädifikat beibehalten werden soll, kann ohnedies nicht zweifelhaft sein, dass auch die gemeinsamen Rechte an der Liegenschaft (gleich ob Eigentum oder Pacht) unverändert bleiben sollten. Dass eine Auflösung des Pachtverhältnisses, weil die Rechte beiden Vertragsteilen (weiterhin) zukommen, nur im Einvernehmen möglich ist, und eine Teilungsklage, weil kein Miteigentum an der Liegenschaft besteht, nicht erhoben werden kann, begründet zudem allenfallseinen Irrtum über die Rechtsfolgen der Vereinbarung, der die Anrufung des Gerichts im Verfahren außer Streitsachen aber nicht begründen kann.

[8] 2.4 Bei der Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens – hier bei einer vertraglichen Regelung aus Anlass einer Scheidung gemäß § 55a EheG – besteht ganz grundsätzlich ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen dem Schicksal des Hausrats und dem Schicksal der Ehewohnung (vgl RS0099403). Damit ist auch nicht zu erkennen, worin die Unvollständigkeit des Scheidungsfolgenvergleichs liegen soll, weil die Parteien zwar eine Regelung über die Ehewohnung getroffen haben, aber den Hausrat nicht ausdrücklich erwähnten.

[9] 3. Zwar können die in § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG genannten Mängel, zu denen auch der Fall zählt, dass entgegen einer gesetzlichen Vorschrift nicht mündlich verhandelt wird (§ 58 Abs 1 Z 3 AußStrG), auch dann mit Revisionsrekurs geltend gemacht werden, wenn sie vom Rekursgericht verneint wurden (RS0121265). Zur Aufhebung kann dieser Anfechtungsgrund aber nur führen, wenn er zum Nachteil des Rechtsmittelwerbers ausschlagen könnte (RS0120213), der daher die Relevanz des Verfahrensverstoßes aufzeigen muss (RS0120213 [T27]). Diesem Erfordernis wird der Antragsteller in seinem außerordentlichen Rechtsmittel nicht gerecht, weil er der Begründung des Rekursgerichts, dass nicht zu erkennen sei, inwieweit eine mündliche Verhandlung über seinen Antrag zu einem für ihn günstigeren Ergebnis führen hätte können, inhaltlich nichts entgegensetzt. Schon deshalb kann er eine Korrekturbedürftigkeit der Lösung dieser Frage durch das Rekursgericht nicht aufzeigen.

[10] 4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

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