OGH 6Ob67/22d

OGH6Ob67/22d18.5.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. F*, vertreten durch Sacha Katzensteiner Blauensteiner Rechtsanwälte GmbH in Krems an der Donau, gegen die beklagten Parteien 1. B*, 2. L* GmbH, beide *, vertreten durch Dr. Florian Knaipp, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Löschung, über die Revisionen aller Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 15. November 2021, GZ 11 R 148/21x‑22, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 17. Juni 2021, GZ 2 Cg 33/20t‑17, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00067.22D.0518.000

 

Spruch:

 

I. Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen die mit 460,40 EUR (darin 76,73 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

II. Der Revision der beklagten Parteien wird dagegen Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil wie folgt lautet:

„Die Klagebegehren,

1. die beklagten Parteien seien gegenüber der klagenden Partei schuldig, ab sofort die Verarbeitung personenbezogener Daten der klagenden Partei in der App „*“ oder in ähnlichen Applikationen im Internet, insbesondere dadurch, dass Daten zur Person der klagenden Partei dort aufgenommen und mit einer Möglichkeit zur Bewertung der klagenden Partei als Lehrer der Berufsschule* verknüpft werden, sowie auch jegliche ähnliche derartige Handlungen zu unterlassen, und

2. die zweitbeklagte Partei ist gegenüber der klagenden Partei schuldig, die gespeicherten personenbezogenen Daten der klagenden Partei, nämlich deren Vor‑ und Familiennamen samt Ingenieur‑Titel, sowie deren Verknüpfung mit einer Möglichkeit zur Bewertung der klagenden Partei als Lehrer der Berufsschule *, in der App „*“, binnen 14 Tagen zu löschen,

werden abgewiesen.“

Über die Kosten des Verfahrens hat das Erstgericht zu entscheiden.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Zu der vom Erstbeklagten entwickelten App „*“, eine Plattform für die Bewertung von Schulen und Lehrern (künftig: die App) hat der Oberste Gerichtshof bereits in seiner Entscheidung vom 2. 2. 2022 zu 6 Ob 129/21w (= ecolex 2022, 280 ff [zust Hafner‑Thomic]) ausführlich Stellung bezogen. Der vorliegende Fall unterscheidet sich davon nur in der Person des klagenden Lehrers, der an einer Berufsschule (und nicht an einer HTL) unterrichtet, sodass (unter Hinweis auf die ausführlichere Darstellung in der zuvor genannten Entscheidung) eine verknappte Darstellung des Sachverhalts erfolgen kann:

[2] Der Erstbeklagte ist Geschäftsführer und einer von mehreren Gesellschaftern der zweitbeklagten GmbH. Er hat bei deren Gründung sein nicht protokolliertes Einzelunternehmen „*App“ in die Zweitbeklagte eingebracht.

[3] Nach der Veröffentlichung der App zur Lehrerbewertung leitete die Datenschutzbehörde von Amts wegen ein Prüfungsverfahren ein, das aber ohne Erlassung eines Bescheids eingestellt wurde. Die Zweitbeklagte stellte daraufhin die App (deren Zugang zwischenzeitig gesperrt gewesen war) erneut zum Download bereit.

[4] Der Kläger ist in der App als Lehrer an einer Berufsschule mit Titel, Vor- und Familiennamen ausgewiesen und kann von den Nutzern in dieser Tätigkeit bewertet werden.

[5] Zur Bewertung von Lehrern in der App ist deren Download und die (nur einmal pro Telefonnummer mögliche) Verifizierung mittels Eingabe der Telefonnummer und Antwort auf die daraufhin zugesendete Nachricht vorzunehmen. Es ist nur die Bewertung von einer (auszuwählenden) Schule und deren Lehrer möglich. Ein Wechsel der zu bewertenden Schule in der App ist mit der Löschung aller Bewertungen der alten Schule verbunden. Eine Überprüfung, ob ein Nutzer tatsächlich die ausgewählte Schule besucht oder von den bewerteten Lehrern unterrichtet wird, erfolgt nicht.

[6] Die Bewertung des vom Nutzer (anhand von Namen und akademischen Titel identifizierten) ausgewählten Lehrers aus einer Liste der an der ausgewählten Schule tätigen Lehrer ist nur anhand einzelner, vorgegebener Kriterien, zu denen der Nutzer jeweils eine Teilbewertung von einem bis fünf Sternen abgeben kann, möglich. Die abgegebenen Teilbewertungen können durch Auswahl von für die Bewertung ausschlaggebenden Unterkriterien näher begründet werden (so etwa die Teilbewertungskategorie: „Unterricht“mit den Unterkriterien Erklärungen, Unterlagen, Abwechslung oder Andere; „Fairness“ [mit den Unterkriterien Benotung, Frühwarnung, Verbesserungsmöglichkeiten oder Andere]; „Respekt“; „Motivationsfähigkeit“; „Geduld“; „Vorbereitung“; „Durchsetzungsfähigkeit“; „Pünktlichkeit“ [jeweils mit Unterkriterien]). Aus den Teilbewertungen wird anschließend eine Gesamtbewertung berechnet. Freitextbewertungen sind nicht möglich. Die Bewertungen können von den Benutzern im Nachhinein abgeändert werden. Erst nach einer Anzahl von fünf Bewertungen wird (öffentlich) die durchschnittliche Bewertung eines Lehrers angezeigt. Löschen so viele Nutzer ihre ursprünglich abgegebene Bewertung, dass die Mindestanzahl nicht mehr erreicht wird, wird die Bewertung so lange nicht mehr öffentlich angezeigt, bis die Mindestanzahl von fünf Bewertungen wieder erreicht wird.

[7] Zum Ansehen von Bewertungen muss ebenfalls die App benutzt werden, allerdings ist dazu keine Registrierung nötig. Die Bewertungen können nur über den Eintrag der Schule aufgerufen werden. Eine Suche nach einzelnen Lehrern mit deren Namen ist nicht möglich. Aus Sicht der Öffentlichkeit erfolgt die Bewertung anonym. Allerdings besteht aufgrund der Verifizierung anhand der Telefonnummer die Möglichkeit für die Zweitbeklagte, allfällige Missbrauchsfälle zu identifizieren. Über den Button „Änderung anfordern“ in der App können Lehrer eine Änderung bzw Überprüfung ihrer Daten sowie eine Überprüfung ihrer Gesamtbewertung auf Missbrauch verlangen. Die Datensätze werden unabhängig davon alle sechs Monate auf ihre Aktualität geprüft und automatisierte Warnmeldungen an die Betreiber sind eingerichtet (bspw bei einer hohen Zahl an Bewertungen im Verhältnis zur Anzahl der von diesem Lehrer unterrichteten Schüler oder bei einer hohen Anzahl an schlechten Bewertungen an einem einzigen Tag).

[8] An der Schule des Klägers besteht zur Qualitätssicherung ein Bewertungssystem namens „Qibb“. Dabei handelt es sich um einen von den Schülern anonym auszufüllenden Online-Fragebogen. Sie erhalten vom jeweiligen Lehrer (der dazu verpflichtet ist, diese Umfrage einmal jährlich durchführen zu lassen) einen TAN‑Code. Der Lehrer erhält das Ergebnis der Umfrage bloß mit der Zuordnung von Fach und beurteilender Klasse.

[9] Der Kläger begehrt, den Beklagten die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten in der App oder in ähnlichen Applikationen im Internet zu untersagen und die Zweitbeklagte zur Löschung seiner gespeicherten personenbezogenen Daten zu verpflichten.

[10] Er brachte dazu vor, er werde durch die Datenverarbeitung in seinem Recht auf Datenschutz und seinen Persönlichkeitsrechten auf Achtung des Privat- und Familienlebens, auf Namensanonymität, auf Schutz der Ehre und des beruflichen Fortkommens verletzt. Die Datenverarbeitung sei unzulässig. Durch die (nicht hintangehaltene) Missbrauchsmöglichkeit könne es zu einer „Prangerwirkung“ als schlechter Lehrer kommen. Die Interessen der betroffenen Lehrer würden bei Interessenabwägung überwiegen. Es bestehe kein legitimes Informationsinteresse der Öffentlichkeit.

[11] Die Beklagten wendeten ein, das Gericht sei an die Beurteilung der App als zulässig durch die Datenschutzbehörde gebunden. Die Plattform diene dem Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere von Schülern, Eltern und Schulen an der Transparenz und Qualitätssicherung im Bildungsbereich. Ein Eingriff in das Privat- und Familienleben der Lehrer finde nicht statt, Missbrauchsmöglichkeiten sei ausreichend entgegengewirkt. Die Interessenabwägung schlage zugunsten der Beklagten aus. Wiederholungsgefahr bestehe beim Erstbeklagten nicht.

[12] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es verneinte eine Bindungswirkung der Entscheidung der Datenschutzbehörde und beurteilte die App als unzulässig. Es werde nicht geprüft, ob die bewertende Person tatsächlich vom bewerteten Lehrer unterrichtet werde, wiewohl dies den Nutzern suggeriert werde. Die Maßnahmen zur Missbrauchskontrolle seien zu „grobmaschig“, um effektiven Schutz zu bieten.

[13] Das Berufungsgericht verpflichtete die Beklagten zur Unterlassung der Datenverarbeitung, sofern nicht sichergestellt sei, dass der Kläger nur von Personen, die er unterrichtet habe, bewertet werde. Das darüber hinausgehende Mehrbegehren auf Unterlassung ohne den einschränkenden Zusatz wies es ab. Es bestätigte die der Zweitbeklagten aufgetragene Löschung und erklärte die Revision für zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob und – gegebenenfalls – unter welchen Voraussetzungen Lehrer unter Nennung ihres Namens online bewertet werden dürften, vorliege.

[14] Das Berufungsgericht wog die jeweiligen Interessen ab und gelangte zum Ergebnis, es müsse (nur) den (tatsächlich vom jeweiligen Lehrer unterrichteten) Schülern die Möglichkeit offen stehen, sich mit ihren Lehrern sowie verschiedenen Aspekten des Unterrichts kritisch auseinanderzusetzen und ihre Einschätzungen in Medien zu publizieren. Das Interesse der Schüler durch Feedback, das Aufzeigen von Verbesserungspotenzialen und durch die Aufdeckung von Missständen einen Beitrag zur Meinungsbildung und Qualitätssicherung leisten zu können, wiege schwerer als ein Interesse des Lehrers an uneingeschränkter Geheimhaltung. Es bestehe dagegen aber kein schutzwürdiges Interesse an Bewertungen durch Personen, die nicht Schüler des betreffenden Pädagogen gewesen seien. Da die App keine Handhabe gegen eine unsachliche Stimmungsmache durch Außenstehende biete, erachtete das Berufungsgericht das Unterlassungsbegehren mit der angeordneten Einschränkung als berechtigt (und demgemäß auch das Löschungsbegehren, weil die Datenverarbeitung auf einer unzulässig ausgestalteten App basiere). Die Wiederholungsgefahr auf Seiten des Erstbeklagten sei weiterhin gegeben.

Zu I.:

Rechtliche Beurteilung

[15] 1. Die Revision des Klägers ist aufgrund des zwischenzeitig ergangenen Urteils des Fachsenats zu sämtlichen in der Revision (weitestgehend wortgleich) aufgeworfenen Fragestellungen nicht zulässig.

[16] Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nämlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (vgl RS0112921; RS0112769). Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt weg, wenn sie durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits geklärt wurde (RS0112921 [T5]; RS0112769 [T12]).

[17] Der Kläger kann daher auf die Ausführungen in der Entscheidung zu 6 Ob 129/21w verwiesen werden.

[18] 2. Auch der (in dieser Entscheidung nicht gegeben gewesene Umstand), dass an der Schule, an der der Kläger unterrichtet, ein eigenes Bewertungssystem besteht, kann daran nichts ändern. Ganz abgesehen davon, dass nicht feststeht (und auch kein Vorbringen dazu erstattet wurde), dass dieses System die Einsicht in die Bewertungsergebnisse durch die Öffentlichkeit ermöglichen würde (vgl 6 Ob 129/21w, Rn 58), bleibt schon unbegründet, warum das (bloß) schulinterne Bewertungssystem der Zulässigkeit anderer (breiterer und öffentlicher) Formen der Auseinandersetzung mit der Unterrichtsqualität einzelner Lehrer im Weg von subjektiven Einschätzungen (vgl 6 Ob 129/21w, Rn 60) entgegenstehen könnte.

[19] 3. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagten haben auf die fehlende Zulässigkeit der Revision in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0112296). Der in den Vorinstanzen ausgesprochene Kostenvorbehalt steht einer Kostenentscheidung im – hier vorliegenden – Zwischenstreit über die Zulässigkeit der Revision nicht entgegen (vgl RS0129365 [T3]).

Zu II.: 

[20] Die Revision der Beklagten ist, weil es der Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen bedarf, zulässig und berechtigt.

[21] 1. Entgegen der Ansicht des Klägers in seiner Revisionsbeantwortung ist die Revision der Beklagten rechtzeitig (RS0120073 [T1]). Hat nämlich eine Partei unter Vorlage eines Vermögensbekenntnisses einen Verfahrenshilfeantrag gestellt, dieses dann aber trotz eines gerichtlichen Verbesserungsauftrags nicht vervollständigt, ist der Verfahrenshilfeantrag nicht zurückzuweisen, sondern abzuweisen (8 Ob 129/21k mwN).

[22] 2. Der Fachsenat hat mit dem zu 6 Ob 129/21w ergangenen Urteil geklärt, dass keine Bindung an den Bescheid der Datenschutzbehörde besteht (ErwGr 1) und sich die Beklagten (mangels eines hinreichenden Maßes an journalistischer Bearbeitung) nicht auf das Medienprivileg stützen können (ErwGr 2; RS0133920).

[23] Mit ausführlicher Begründung kam der 6. Senat in diesem Urteil anhand des Schemas der Prüfung nach Art 6 Abs 1 lit f DSGVO (Rn 53; RS0133919) zu dem Ergebnis, dass im Fall der hier zu beurteilenden App alle drei Voraussetzungen (Wahrnehmung eines berechtigten Interesses von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen oder von einem Dritten [ErwGr 4, Rn 54 bis 61], Erfordernis der Verarbeitung der personenbezogenen Daten zur Verwirklichung des berechtigten Interesses [ErwGr 5, Rn 62 bis 66] und kein Überwiegen von Interessen oder Grundrechten und Grundfreiheiten der Person, deren Daten geschützt werden sollen [ErwGr 6, Rn 67 bis 97]) für die Zulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten der bewerteten Lehrer in der App vorliegen und diese daher gemäß Art 6 Abs 1 lit f DSGVO rechtmäßig ist.

[24] 3. Der vorliegende Fall betrifft dieselbe App und damit die genau gleiche Faktenlage. Es ist auch im hier zu beurteilenden Prozess das Klagebegehren gegen beide Beklagten abzuweisen. Auf weitere in der Revision von den Beklagten ausgeführte Überlegungen (etwa zur Veränderung der Rechtslage durch das Kommunikationsplattformen-Gesetz [KoPl‑G] und das Hass-im-Netz-Bekämpfungs-Gesetz [HiNBG]) ist damit nicht mehr einzugehen.

[25] 4. Das Berufungsgericht hat die Kostenentscheidung zweiter Instanz bis zur rechtskräftigen Erledigung der Streitsache vorbehalten. Daran ist (bei der hier gegebenen Behandlung in der Sache) auch der Oberste Gerichtshof gebunden (vgl RS0129336). Die Entscheidung über die Kosten der Revision der beklagten Parteien ist daher gemäß § 52 Abs 3 ZPO vorzubehalten.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte