OGH 6Ob163/21w

OGH6Ob163/21w18.5.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. O* H*, vertreten durch Stanek Raidl Konlechner Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei W* GmbH, *, vertreten durch Dr. Ralph Mayer, Rechtsanwalt in Wien, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei S* GmbH, *, vertreten durch Mag. Thomas Braun, Rechtsanwalt in Wien, wegen 33.845 EUR sA, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 25. Juni 2021, GZ 33 R 53/21p‑32, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 24. April 2021, GZ 51 Cg 67/20i‑26, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00163.21W.0518.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Revisionsrekursbeantwortung der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die Parteien haben die Kosten des Revisionsrekursverfahrens jeweils selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Im Jahr 2019 führte die von der Beklagten beauftragte Nebenintervenientin in der A*Gasse in Wien entlang des Gehsteigs (auch) vor der Liegenschaft der Lebensgefährtin des Klägers Aufgrabungsarbeiten zur Verlegung von 110 kV‑Kabeln samt Glasfaserleitungen durch.

[2] Der Kläger begehrt unter Berufung auf eine erfolgte Forderungsabtretung Schadenersatz (Sanierungs‑ und Reparaturkosten) und brachte vor, durch die unsachgemäß durchgeführtenAufgrabungsarbeiten am Gehsteig sei die daran angrenzende Gartenzaunmauer der Liegenschaft seiner Lebensgefährtin beschädigt worden. Wegen des mit der Lebensgefährtin des Klägers als Strombezieherin bestehenden Netznutzungsvertrags hafte die Beklagte für ihre Erfüllungsgehilfin nach § 1313a ABGB.

[3] Die Beklagte sowie die Nebenintervenientin wendeten ein, die Aufgrabungsarbeiten seien einwandfrei durchgeführt worden. Eine Vertragsverletzung liege nicht vor, weil der behauptete Schadensfall in keinem Zusammenhang mit der Netznutzung auf der klagsgegenständlichen Liegenschaft stehe. Sie hielten der Klage mangels vorheriger Durchführung eines Streitbeilegungsverfahrens gemäß § 22 Abs 2 Z 1 ElWOG auch die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegen.

[4] Das Erstgericht wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Nach dem Inhalt der Klage werde der Schadenersatzanspruch der Netznutzungsberechtigten mit Blick auf den Netznutzungsvertrag auf die daraus abgeleitete vertragliche Haftung der beklagten Netzbetreiberin gestützt. In allen Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern „über die aus diesem Verhältnis entspringenden Verpflichtungen“ verlange § 22 Abs 2 Z 1 ElWOG vom Netzzugangsberechtigten zwingend die Einleitung eines Streitbeilegungsverfahrens vor Einbringung der Klage beim ordentlichen Gericht. Ein solches sei nicht durchgeführt worden.

[5] Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Klägers Folge, hob die angefochtene Entscheidung auf und trug dem Erstgericht die Durchführung des Verfahrens auf. Das bloße Vorliegen eines Netznutzungsvertrags zwischen den Streitteilen reiche nicht aus, um die Zulässigkeit des Rechtsweges an die Absolvierung eines Schlichtungsverfahrens zu knüpfen. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass der Kläger sich zur Begründung der Gehilfenzurechnung nach § 1313a ABGB auf dieses Vertragsverhältnis berufe. Die Anwendbarkeit des § 22 Abs 2 ElWOG sei auf Streitigkeiten über solche wechselseitigen Verpflichtungen zu reduzieren, die sich aus dem ersten Hauptstück des vierten Teils des ElWOG ergäben. Eine solche liege hier nicht vor, weshalb im konkreten Fall der Rechtsweg auch ohne vorheriges Streitbeilegungsverfahren zulässig sei.

[6] Das Rekursgericht sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei, weil zu dieser Frage Judikatur des Obersten Gerichtshofs fehle.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der Revisionsrekurs der Beklagten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 526 Abs 2 ZPO) – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig:

[8] 1.1 Der Oberste Gerichtshof hat sich im Zusammenhang mit der Prüfung der Zulässigkeit des Rechtswegs bereits mehrfach, unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs und der vorhandenen Literaturstimmen, mit der Auslegung der Bestimmung des § 22 Abs 2 Z 1 ElWOG (bzw der Vorgängerregelung des § 21 Abs 2 ElWOG aF) auseinandergesetzt, wonach in „allen übrigen Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über die aus diesem Verhältnis entspringenden Verpflichtungen“ einer Klage des Netzzugangsberechtigten ein Streitbeilegungsverfahren vor der Regulierungskommission der E‑Control (§ 12 Abs 1 Z 2 E‑ControlG) im Sinne einer sukzessiven Kompetenz (10 Ob 19/15i; jüngst VfSlg 20.392) vorauszugehen hat (3 Ob 108/21k; 10 Ob 19/15i; 4 Ob 111/14y; 4 Ob 131/09g; 9 Ob 58/09h; 4 Ob 287/04s; vgl RS0125513; RS0119839).

[9] 1.2 Unter diese Regelung fallen demnach Streitigkeiten über sämtliche wechselseitigen Leistungen und Verpflichtungen zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern unabhängig davon, ob sie sich direkt aus dem Netzzugangsvertrag ableiten lassen, aus dem Gesetz oder anderen generellen Normen abgeleitet werden. Sie müssen aber mit der Netznutzung im Zusammenhang stehen (VwGH 2010/05/0121; vgl 4 Ob 287/04s [Bereicherungs-anspruch]).

[10] 1.3 Macht der Kläger einen vom bestehenden Vertragsverhältnis mit dem Netzbetreiber über die Netznutzung unabhängigen privatrechtlichen Anspruch (Eigentumsfreiheit) geltend, für dessen Bestehen ein Vertragsverhältnis zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern nicht denknotwendige Voraussetzung ist, liegt keine Streitigkeit iSd § 21 Abs 2 ElWOG (nunmehr § 22 Abs 2 Z 1 ElWOG) vor (4 Ob 131/09g; vgl auch 4 Ob 111/14y [Herausgabeanspruch]). In der Entscheidung 10 Ob 19/15i betreffend eine Eigentumsfreiheitsklage auf Entfernung eines von der Netzbetreiberin ohne Zustimmung des Klägers über sein Grundstück verlegten Versorgungskabels hielt der Oberste Gerichtshof diese Rechtsprechung ausdrücklich aufrecht und billigte die Rechtsansicht des Rekursgerichts, der behauptete Beseitigungsanspruch entspringe nicht dem Netzzugang, weshalb der Rechtsweg zulässig sei.

[11] 1.4 Wird ein vertraglicher Anspruch geltend gemacht, fällt er nicht unter die „übrigen Streitigkeiten zwischen Netzzugangsberechtigten und Netzbetreibern über die aus diesem Verhältnis entspringenden Verpflichtungen“, wenn er das Netzzugangsverhältnis nicht betrifft (9 Ob 58/09h [vereinbartes Vorleistungsmodel]). Auch ein Exszindierungsanspruch des Netzbetreibers fällt (ungeachtet des Umstands, dass nur für Netzzugangsberechtigte die zwingende Vorschaltung der Regulierungsbehörde angeordnet wird) mangels Zusammenhangs mit dem Netznutzungsverhältnis selbst dann nicht darunter, wenn der die Entfernung betreibende netzzugangsberechtigte Liegenschaftseigentümer sich vertraglich verpflichtet hatte, dem Netzbetreiber die Fortleitung elektrischer Energie für andere Netzkunden (dort zum Haus der Verpflichteten) über sein Grundstück zu gestatten (3 Ob 108/21k).

[12] 1.5 Entscheidend ist demnach nicht bloß, dass ein Vertrag zwischen einem Netzbetreiber und einem Netzzugangsberechtigten als Anspruchsgrundlage herangezogen wird, sondern dass der Anspruch im Zusammenhang mit der Netznutzung durch den Netzzugangsberechtigten steht. Ein solcher ist dem Klagsvorbringen im vorliegenden Fall aber nicht zu entnehmen.

[13] 1.6 Wenn daher das Rekursgericht im Ergebnis davon ausging, im konkreten Fall liege keine Streitigkeit iSd § 22 Abs 2 Z 1 ElWOG vor, sodass der Rechtsweg ohne vorherige Durchführung eines Schlichtungsverfahrens zulässig sei, bedarf dies keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof.

[14] 2. In der Außerstreitstellung, dass ein Anspruch eines Netzzugangsberechtigten gegen den Netzbetreiber geltend gemacht wird, ist überdies – entgegen der Ansicht der Rechtsmittelwerberin – noch keine Einschränkung auf einen bestimmten Rechtsgrund iSv RS0037610 (hier: ausschließlich Vertragshaftung) zu erblicken.

[15] 3. Da somit Rechtsfragen im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO nicht zu beurteilen sind, ist der Revisionsrekurs zurückzuweisen.

[16] 4. Der Revisionsrekurs wurde dem Vertreter des Klägers am 9. 8. 2021 zugestellt. Die Rechtsmittelbeantwortungsfrist von 14 Tagen (§ 521a Abs 1 iVm § 521 Abs 1 ZPO; 2 Ob 139/13z) endete unter Berücksichtigung der Fristenhemmung (§ 222 Abs 1 ZPO) mit Ablauf des31. 8. 2021. Die erst am 3. 9. 2021 eingebrachte Revisionsrekursbeantwortung ist daher als verspätet zurückzuweisen.

[17] 5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 40 Abs 1 ZPO.

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