OGH 15Os133/21d

OGH15Os133/21d27.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. April 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des OKontr. Bodinger als Schriftführer in der Strafsache gegen MMag. * H* wegen des Vergehens nach § 1 zweiter Fall NotzeichenG, AZ 4 U 117/20i des Bezirksgerichts Gmunden, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Verfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0150OS00133.21D.0427.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Mit Urteil des Bezirksgerichts Gmunden vom 19. November 2020, GZ 4 U 117/20i-28, wurde MMag. * H* vom Vorwurf, am 17. Mai 2020 in A* durch eine falsche Notmeldung den Dienst der Polizei in Anspruch genommen und dadurch das Vergehen nach § 1 zweiter Fall NotzeichenG begangen zu haben, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

[2] Dagegen richtete sich die Berufung der Staatsanwaltschaft (§ 464 Z 2 StPO iVm § 465 Abs 3 StPO; ON 1 S 11, ON 29, ON 31).

[3] Mit Urteil vom 12. April 2021, AZ 24 Bl 4/21w (ON 47), gab das Landesgericht Wels der Berufung der Staatsanwaltschaft Folge, hob das erstinstanzliche Urteil auf und erkannte den Angeklagten anklagekonform des Vergehens nach § 1 zweiter Fall NotzeichenG schuldig.

[4] Danach hat dieser am 17. Mai 2020 in A* vorsätzlich durch eine falsche Notmeldung den Dienst der Polizei, somit eine der Rettung bei Unfällen dienende Einrichtung in Anspruch genommen, indem er bei der Landesleitzentrale der Landespolizeidirektion Oberösterreich unter dem Namen „Herr Moser“ angerufen und (US 4: wahrheitswidrig) angegeben hat, zuerst eine „komische männliche Person“ und jetzt im ersten Stock der Berufsschule brennendes Licht wahrgenommen zu haben, was ihm verdächtig vorkomme.

Rechtliche Beurteilung

[5] Mit einem beim Obersten Gerichtshof eingebrachtem Schriftsatz begehrt der Verurteilte in Ansehung der angeführten Entscheidung des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 12. April 2021, AZ 24 Bl 4/21w, die Erneuerung des Verfahrens.

[6] Ein Erneuerungsantrag, der sich – wie fallbezogen – nicht auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) beruft, ist zulässig (RIS‑Justiz RS0122228), muss aber allen diesem gegenüber normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 MRK sinngemäß entsprechen (RIS-Justiz RS0122737, RS0128394).

[7] Den Prüfungsmaßstab eines Erneuerungsantrags bilden dabei ausschließlich Rechte der MRK und ihrer Zusatzprotokolle (RIS-Justiz RS0132365), wobei nur eine Prüfung auf Grundrechtsstufe (Grobprüfung) und keine Auseinandersetzung nach Art einer zusätzlichen Beschwerde- oder Berufungsinstanz im Sinn einer Feinprüfung auf Gesetzesstufe stattfindet (RIS-Justiz RS0129606 [T2, T3]). Dabei hat der Erneuerungsantrag, der sich mit der als grundrechtswidrig behaupteten Entscheidung in allen wesentlichen Punkten auseinanderzusetzen hat, bei sonstiger Zurückweisung deutlich und bestimmt darzulegen, worin die Verletzung des Grundrechts zu erblicken sei und dies auf Basis der Tatsachenannahmen der bekämpften Entscheidung zu entwickeln, sofern diese nicht (unter Bedachtnahme auf die Gesamtheit der Entscheidungsgründe) durch Aufzeigen eines Begründungsmangels oder erheblicher Bedenken in Frage gestellt werden (RIS‑Justiz RS0124359, RS0128393). Behauptete Rechtsfehler sind methodengerecht aus dem geltend gemachten Grundrecht abzuleiten (Rebisant, WK‑StPO §§ 363a–363c Rz 84 und 128).

[8] Diesen Anforderungen wird der Erneuerungsantrag nicht gerecht.

[9] Unter dem – vom Erneuerungsantrag relevierten – Aspekt des Art 6 Abs 1 MRK prüft der EGMR lediglich, ob Beweisaufnahme und Beweiswürdigung in einer Weise vorgenommen wurden, die das Strafverfahren als Ganzes unfair erscheinen lässt, wobei die Würdigung von Beweismitteln grundsätzlich den nationalen Gerichten vorbehalten ist (RIS-Justiz RS0120958; Grabenwarter/Pabel EMRK7 § 24 Rz 69). An diesem Maßstab orientiert sich auch der Oberste Gerichtshof, wenn ein ohne vorherige Befassung des EGMR gestellter Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens dahingehende Defizite behauptet. Davon ausgehend zeigt der Erneuerungswerber weder eine Verletzung des von Art 6 Abs 1 MRK vorgegebenen Begründungsstandards (vgl dazu RIS-Justiz RS0129981) noch einen aus dem Unterbleiben der begehrten Beweisaufnahme im Berufungsverfahren resultierenden Verstoß gegen das Grundrecht auf ein faires Verfahren (vgl dazu RIS-Justiz RS0131763) auf.

[10] Vielmehr argumentiert der Antragsteller inhaltlich bloß auf einfachgesetzlicher Ebene, indem er das Unterbleiben einer akustischen Wiedergabe oder Verlesung einer durch einen Sachverständigen angefertigten Transkription des inkriminierten Anrufs bei der Landesleitzentrale der Landespolizeidirektion Oberösterreich in der Berufungsverhandlung moniert. Im Übrigen wurde gemäß § 252 Abs 2 StPO „das Einsatzprotokoll AS 5 in ON 2“ verlesen, welches den (vom Verurteilten auch nicht bestrittenen) Inhalt des Anrufs festhält.

[11] In der Abweisung des in der Berufungsverhandlung zum Beweis mangelnder Dringlichkeit des Anrufs und damit fehlender Bindung an anderer Stelle dringend benötigter Kräfte gestellten Beweisantrags, den Mitarbeiter der Landesleitzentrale (Callcenter-Agent) zu laden oder einen Sachverständigen aus dem Gebiet der Einsatzkunde zu bestellen (ON 46 S 4), erblickt der Antragsteller eine Verletzung des Art 6 Abs 3 [lit d] MRK (Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 24 Rz 135). Dieser Beweisantrag lief jedoch auf eine in diesem Verfahrensstadium unzulässige Erkundungsbeweisführung hinaus. Einem Beweisantrag muss nämlich neben Beweismittel und Beweisthema stets zu entnehmen sein, warum die beantragte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erwarten lasse und inwieweit dieses für die Schuldfrage und Subsumtionsfrage von Bedeutung ist (RIS-Justiz RS0118444). Damit liegt die behauptete Grundrechtsverletzung nicht vor.

[12] Indem der Erneuerungswerber in Ansehung der unterbliebenen Zustellung (auch) der Berufungsanmeldung (ON 29) an den Angeklagten und bezüglich der durch die Staatsanwaltschaft verspätet (§ 467 Abs 1 StPO) erstatteten Berufungsausführung (ON 31; vgl Ratz, WK-StPO § 294 Rz 4, § 467 Rz 1) einen Verstoß gegen Art 6 Abs 1 MRK releviert, lässt er außer Acht, dass ihm durch das Erstgericht durch Zustellung der Berufungsausführung der Staatsanwaltschaft zur Gegenausführung und seine persönliche Teilnahme an der Berufungsverhandlung (ON 46) rechtliches Gehör gewährt wurde.

[13] Weiters bestreitet der Erneuerungswerber die Tatbestandsmäßigkeit nach § 1 NotzeichenG, weil eine solche bloß bei falsch gemeldeten (aktuell jedoch nicht vorliegenden) „Brand- und Unfallsituationen“ vorliege, womit das Analogieverbot und der Grundsatz „nulla poena sine lege“ (Art 7 MRK) verletzt worden seien.

[14] Um als Gesetz iSd Art 7 Abs 1 MRK zu gelten, muss eine Norm die Erfordernisse der Zugänglichkeit und Vorhersehbarkeit erfüllen. Sie hat so klar formuliert zu sein, dass jedermann – allenfalls nach sachkundiger Beratung – in der Lage ist, sein Verhalten darauf abzustellen (RIS-Justiz RS0122531; Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 24 Rz 150). Die Auslegung von Gesetzesformulierungen obliegt den Gerichten (RIS-Justiz RS0122524).

[15] § 1 NotzeichenG pönalisiert in seinem zweiten (aktuell relevanten) Deliktsfall die Inanspruchnahme des Dienstes der Feuerwehr oder einer anderen der Rettung bei Unfällen dienenden Einrichtung durch eine falsche Notmeldung und schützt somit Einrichtungen, die (auch) zur Rettung von Menschen bei Unfällen (oder einer Gemeingefahr) dienen. Aus § 19 Abs 1 SPG ergibt sich, dass die Sicherheitsbehörde als eine (auch) der Rettung bei Unfällen dienende Einrichtung iSd § 1 zweiter Fall NotzeichenG anzusehen ist (AZ 14 Os 100/11d mwN).

[16] Das Berufungsgericht konstatierte, dass der Verurteilte bei Absetzung des Polizeinotrufs den Vorsatz hatte, den Dienst der Sicherheitsbehörde im Rahmen ihrer Verpflichtung als eine (auch) der Rettung bei Unfällen oder einer Gemeingefahr dienende Einrichtung in Anspruch zu nehmen und hiedurch an anderer Stelle dringend benötigte Kräfte gebunden werden (BS 4 f). Weshalb dieses Verhalten nicht unter § 1 zweiter Fall NotzeichenG zu subsumieren sei, legt der Erneuerungsantrag nicht dar (vgl neuerlich 14 Os 100/11d).

[17] In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war der Erneuerungsantrag daher als offenbar unbegründet zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).

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