European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0080OB00041.22W.0422.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil – einschließlich der mangels Anfechtung bereits in Rechtskraft erwachsenen Teile – lautet:
„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 6.641 EUR samt 4 % Zinsen ab 11. 2. 2021 zu bezahlen.
2. Die Begehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere 7.280 EUR samt 4 % Zinsen ab dem Klagstag zu bezahlen, und es werde festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für sämtliche zukünftige, derzeit nicht bekannte Folgen und Schäden bezüglich des Hannoveraner‑Wallach * und der daraus resultierenden Aufwendungen aus dem Schadensereignis vom 4. 3. 2020 hafte, werden abgewiesen.
3. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen für Barauslagen erster Instanz einen Betrag von 1.995 EUR zu zahlen. Die Vertretungskosten erster Instanz werden gegeneinander aufgehoben.
4. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 2.434,48 EUR (darin enthalten 1.219 EUR Pauschalgebühr und 202,58 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.“
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 799,78 EUR (darin enthalten 381 EUR Pauschalgebühr und 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin hatte ihr Pferd in dem von J* A* betriebenen Reistall gegen ein monatliches Entgelt von 420 EUR eingestellt. Am 4. 3. 2020 führte J* A* das Pferd auf einen Paddock und entfernte sich. Auf dem Paddock war eine scharfkantige alte Eisenbadewanne als Tränke aufgestellt, an der sich das Pferd aus ungeklärter Ursache schwer verletzte. Die Klägerin konnte das Pferd bis Ende Juli 2020 nicht reiten, um die Heilung der Wunde zu ermöglichen. Die Klägerin bezahlte auch in diesem Zeitraum die vereinbarte Einstellgebühr (420 EUR x 5) und das dem Pferd – so wie gewöhnlich – verabreichte Kraftfutter (180 EUR).
[2] Die Klägerin nahm mit ihrer Klage die Verlassenschaft nach dem zwischenzeitlich verstorbenen J* A* auf Schadenersatz in Anspruch. Sie begehrte für Behandlungskosten 1.551 EUR, für „frustrierte“ Einstellkosten März bis Juli 2020 (5 Monate à 420 EUR) 2.100 EUR, für („frustrierte“) Kosten für das Kraftfutter 180 EUR, für pauschale Unkosten 90 EUR und für den Wertverlust des Pferdes 10.000 EUR. Darüber hinaus stellte sie ein auf die Haftung der Beklagten für zukünftige Schäden gerichtetes (mit 5.000 EUR bewertetes) Feststellungsbegehren. Sie brachte – soweit für das Verständnis des Revisionsurteils wesentlich – vor, das Pferd habe vor dem Schadensereignis einen Wert von 28.000 EUR gehabt und dass der Wertverlust 10.000 EUR betrage.
[3] Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage.
[4] Das Erstgericht wies das Leistungsbegehren in einem Betrag von 5.000 EUR ab, im Übrigen gab es der Klage statt (Zuspruch von 8.921 EUR und Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden). Es stellte einen Wertverlust des Pferdes durch den Vorfall in Höhe von 5.000 EUR fest. Den Zuspruch der begehrten Einstell- und Futterkosten begründete es rechtlich nur damit, dass diese Kosten frustriert und auch sie damit der Klägerin zu ersetzen seien.
[5] Die Beklagte bekämpfte das Ersturteil allein in Hinsicht auf das als berechtigt erkannte Feststellungsbegehren sowie einen Betrag von 2.280 EUR für frustrierte Einstell- und Futterkosten.
[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten dahin Folge, dass es das Feststellungsbegehren abwies. Die Bestätigung des Zuspruchs des Ersatzes für frustrierte Einstell- und Futterkosten begründete es damit, dass sich der vorliegende Fall wesentlich von den zu 1 Ob 160/98f und 6 Ob 177/19a entschiedenen, einen solchen Zuspruch verweigernden Fällen unterscheide, da das Pferd der Klägerin anders als in jenen Fällen nicht dauerhaft lahm geworden sei. Bei den von der Klägerin geltend gemachten Einstell- und Futterkosten handle es sich um Aufwendungen, die für das verletzte Pferd selbst gemacht worden seien, um es später wieder gebrauchen zu können. Diese während der „Heilungszeit“ weitergelaufenen Kosten seien ebenso wie weitergelaufene „Generalunkosten“ eines Fahrzeugs während der Zeit der Reparatur vom Schädiger zu ersetzen.
[7] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Ersatzfähigkeit frustrierter Einstell- und Futterkosten verletzter Haus- und Nutztiere.
[8] Die Beklagte verfolgt mit ihrer wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revision weiter ihr Begehren, der Klägerin den Zuspruch von 2.280 EUR als Ersatz für frustrierte Einstell- und Futterkosten zu verweigern. Sie vertritt die Ansicht, Einstell- und Futterkosten für Tiere seien nicht mit „Generalunkosten“ eines KFZ vergleichbar. Tiere seien Lebewesen und benötigten daher jedenfalls, ungeachtet dessen, ob sie gesund oder krank sind, eine Unterkunft und ausreichend Futter. Es bestehe sogar eine gesetzliche Verpflichtung, ein Tier ausreichend und ordnungsgemäß zu versorgen, weshalb die geltend gemachten Kosten keineswegs „nutzlos“ gewesen seien.
[9] Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben. Sie vertritt die Ansicht, bei der Beschädigung von Gebrauchsgegenständen seien laufende, mit dem bestimmungsgemäßen Gebrauch einhergehende und eine besondere Nähe zum Vermögensschaden aufweisende Aufwendungen generell zu ersetzen. Dies sei auch bei Verletzung eines Sportpferdes, dessen Gebrauch typischerweise mit der Zahlung von Einstell- und Futterkosten zusammenhänge, gegeben. Jeweils müsse der Schädiger mit der Frustration der entsprechenden Aufwendungen rechnen.
[10] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und im Ergebnis auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[11] 1. Wie bereits vom Berufungsgericht angeführt hatte der Oberste Gerichtshof bereits in zwei Fällenüber die Kosten der Einstellung eines verletzten Pferdes zu entscheiden.
[12] 1.1. In 1 Ob 160/98f ging es um ein Pferd, das ohne Aussicht auf Heilung verletzt worden war und somit dauerhaft den Nutzen, dessentwegen es vom Tierhalter angeschafft worden war, nicht mehr hatte. Der Oberste Gerichtshof entschied, dass der Tierhalter zwar nicht gehindert sei, das invalide Tier aus emotionalen Gründen am Leben zu lassen, aber die sich daraus ergebenden Kosten– eingeklagt waren unter anderem Einstellkosten – mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 1331 ABGB im beurteilten Fall nicht ersatzfähig seien. Der Ersatz nutzloser Aufwendungen stelle als Ausgleich für die Vereitelung des Gebrauchs eine Entschädigung für die Beeinträchtigung ideeller Interessen dar. Ein solcher Ersatz widerspreche dem Willen des Gesetzes, selbst bei Sachschäden nur in Ausnahmsfällen und nur bei außergewöhnlichen Gefühlsbeziehungen zu einer Sache einen Ausgleich ideeller Schäden zuzulassen. Anspruch auf den Wert der besonderen Vorliebe bestehe nach § 1331 ABGB nur bei strafgesetzwidriger Schadenszufügung oder bei Schädigung aus Mutwillen und Schadenfreude; beides lag nach der Beurteilung des Obersten Gerichtshofs nicht vor.
[13] 1.2. Auch in 6 Ob 177/19a (= ZVR 2021/199 [krit Chr. Huber]) ging es um ein Pferd, das seit einem Unfall ein „Pflegefall“ ohne wirtschaftlichen Wert war und dauerhaft nicht mehr im Pferdesport verwendet werden konnte. Die erste Instanz sprach der Klägerin den Ersatz der Wertminderung des Pferdes sowie Ersatz für (unter anderem) Behandlungskosten zu. Den Anspruch auf Ersatz der (unter anderem) Einstellkosten wies es mit der Begründung ab, dass diese auch ohne den Unfall aufgelaufen wären und die Klägerin noch keine konkrete Kaufzusage gehabt habe. Die zweite Instanz gab der gegen die Abweisung des Leistungsbegehrens erhobenen Berufung nicht Folge. Sie führte aus, es fehle an einer Tatsachengrundlage, dass die Klägerin ohne Unfall das Pferd verkauft hätte und daher die begehrten (unter anderem) Einstellkosten nicht mehr hätte tragen müssen. Der Oberste Gerichtshof merkte dazu nur an, dass die Klägerin in ihrer Revision nicht mehr in Zweifel ziehe, dass es sich bei den (unter anderem) Einstellkosten um einen Ausgleich für die Vereitelung des Gebrauchs und damit um eine Entschädigung für die Beeinträchtigung ideeller Interessen handle, die nur unter den besonderen, hier nicht behaupteten Voraussetzungen des § 1331 ABGB ersatzfähig seien.
[14] 1.3. Diese Sachverhalte unterscheiden sich vom hier zu beurteilenden wesentlich darin, dass die Nutzbarkeit eines Reitpferdes durch den jeweiligen Unfall dauerhaft verlorengegangen war, wohingegen im vorliegenden Fall das Pferd bloß temporär nicht geritten werden konnte. Schon aus diesem Grund kann die Begründung aus den beiden Fällen auf die Entscheidung des vorliegenden nicht unmittelbar übertragen werden.
[15] 2. Der Fall ist dennoch bereits aufgrund vorliegender Rechtsprechung im Sinne einer Abweisung der Klage auf Ersatz der Einstell- und Futterkosten zu lösen:
[16] 2.1. Der „gemeine Preis“ des § 305 ABGB ist jener Nutzen, den die Sache mit Rücksicht auf Zeit und Ort gewöhnlich und allgemein leistet. Dieser Preis entspricht in der Regel dem sogenannten Verkehrs- oder Austauschwert (zB 4 Ob 44/11s [Pkt 3.1.]; 7 Ob 59/14y [Pkt 2.]). Weil sich der Substanzwert einer Sache gerade durch ihren Nutzen – ihre Gebrauchs- und Nutzungsmöglichkeiten – bestimmt, ist der Nutzen der Sache nach herrschender Auffassung kein selbständiger Vermögenswert und kommt damit ein gesonderter Ersatz hierfür nicht in Betracht (RIS‑Justiz RS0010069; Kisslinger in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 [2011] § 305 ABGB Rz 4; Holzner in Rummel/Lukas, ABGB4 [2016] § 305 Rz 2; Schobel, Der Ersatz frustrierter Aufwendungen 108).
[17] Da die Gebrauchsmöglichkeit im Substanzwert schon eingerechnet ist, kann man somit nicht mit Aussicht auf Erfolg einerseits wegen der Beschädigung der Sache deren eigene Wertminderung ersetzt verlangen und daneben (zusätzlich) die fehlende Gebrauchsmöglichkeit in Anschlag bringen, würde doch sonst der Verlust der Nutzungsmöglichkeit doppelt berücksichtigt (F. Bydlinski, Der unbekannte objektive Schaden, JBl 1966, 439 [440]; Kisslinger aaO; Holzner aaO; Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht4 I [2020] Kap B1 Rz 50, 68 f).
[18] 2.2. Auf eine doppelte Geltendmachung der entgangenen Nutzungsmöglichkeit läuft letztlich auch das Begehren der Klägerin hinaus, ihr den Wertverlust am Pferd und zusätzlich – weil in der Genesungszeit das Pferd mangels Reitbarkeit (zumindest nach Ansicht der Klägerin) „nutzlos“ gewesen sei – die „frustrierten“ Kosten für Einstellung und Futter in den Monaten der Genesung zu ersetzen. Dass keine Möglichkeit bestand, während der Genesung das Pferd zu reiten, ist ein Aspekt, der bereits bei der Bestimmung des Wertverlustes des Pferdes Berücksichtigung finden muss. Damit ist aber (auch) der temporäre Nutzungsentgang durch den Zuspruch der Wertminderung mitabgegolten. Auf einen bereits abgegoltenen Nutzungsentgang kann die Frustration einer Aufwendung nicht gestützt werden. Da der Klägerin der Wertverlust des Pferdes (samt Zinsen ab Einforderung des Wertverlustes) ersetzt wird, wäre es ihr im Übrigen freigestanden, das verletzte Pferd zu verkaufen und mit dem Erlös und der Entschädigung für den Wertverlust ein gleichwertiges unverletztes und somit reitbares Pferd zu erwerben. In diesem Fall wäre die behauptete Frustration der Kosten für Einstellung und Futter ausgeblieben.
[19] 2.3. Der Senat hält zusammenfassend fest: Verliert ein Pferd unfallbedingt die Gebrauchsmöglichkeit als Reitpferd, so steht dem Tierhalter ein Anspruch auf Ersatz der Heilbehandlungskosten sowie der verbliebenen Wertminderung zu, er kann aber nicht zusätzlich den Ersatz von Einstell- und Futterkosten verlangen (so bereits im Ergebnis für Deutschland Burmann/Jahnke, Das Tier als Opfer – das Tier als Täter, DAR 2015, 313 [313] mwH).
[20] Es war damit der Revision Folge zu geben und das Begehren auf Ersatz der frustrierten Einstell- und Futterkosten abzuweisen. Ob der Klägerin, hätte sie keinen Wertverlust geltend gemacht, die Einstell- und Futterkosten zuzusprechen gewesen wären, ist mangels Entscheidungsrelevanz hier nicht zu erörtern.
[21] 3. Aufgrund der Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen war über den Kostenersatz erster und zweiter Instanz neu zu entscheiden. Die Kostenentscheidung erster Instanz beruht auf § 43 Abs 1 iVm – zumal die Ermittlung der Wertminderung von einem Sachverständigengutachten abhing und keine Überklagung im Sinne einer Überschreitung um mehr als das Doppelte vorlag – Abs 2 ZPO (vgl Fucik in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 43 Rz 4, 8, 11, 14). Ausgehend vom so bereinigten Streitwert drang die Klägerin in erster Instanz rund zur Hälfte durch, weshalb sie Anspruch auf Ersatz ihrer halben Barauslagen hat und sich die Vertretungskosten einander aufheben. Hinsichtlich des verbliebenen Streitgegenstands obsiegte die Beklagte in zweiter und dritter Instanz zur Gänze, weshalb sie hier Anspruch auf vollen Kostenersatz hat (§§ 41, 50 ZPO).
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