OGH 12Os144/21z

OGH12Os144/21z31.3.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. März 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M., in Gegenwart des Schriftführers Mag. Kostersitz in der Strafsache gegen * R* und einen weiteren Angeklagten wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des genannten Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 9. September 2021, GZ 95 Hv 75/21a‑31, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0120OS00144.21Z.0331.000

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im den Angeklagten * R* betreffenden Umfang aufgehoben und die Strafsache an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien mit dem Auftrag verwiesen, nach den Bestimmungen des 11. Hauptstücks der StPO vorzugehen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch eines weiteren Angeklagten enthält, wurde * R* des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 23. Oktober 2020 in W*, * C* durch einen Faustschlag gegen dessen Gesicht eine Körperverletzung, und zwar eine Prellung der rechten Ohren‑Kiefergelenksregion zugefügt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die nominell aus Z 5 und Z 10a, inhaltlich nur aus Z 10a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des * R*.

[4] Die Diversionsrüge (Z 10a) kritisiert zutreffend, dass die Urteilskonstatierungen die Nichtanwendung der Diversion nicht zu tragen vermögen (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 659).

[5] Ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der StPO setzt neben einem hinreichend geklärten Sachverhalt und dem Fehlen spezial‑ und generalpräventiver Notwendigkeit der Bestrafung (§ 198 Abs 1 StPO) unter anderem eine als nicht schwer anzusehende Schuld des Beschuldigten voraus (§ 198 Abs 2 Z 2 StPO).

[6] Bei der Bewertung des Grades der Schuld als schwer ist von jenem Schuldbegriff auszugehen, der nach §§ 32 ff StGB die Grundlage für die Strafbemessung bildet, wobei stets nach Lage des konkreten Falles eine ganzheitliche Abwägung aller unrechts‑ und schuldrelevanten Tatumstände vorzunehmen ist. Demnach müssen Handlungs‑, Erfolgs‑ und Gesinnungswert insgesamt eine Höhe erreichen, die im Weg einer überprüfenden Gesamtwertung als auffallend und ungewöhnlich zu beurteilen ist. Dabei kommt auch der vom Gesetzgeber in der Strafdrohung zum Ausdruck gebrachten Vorbewertung des deliktstypischen Unrechts‑ und Schuldgehalts eine Indizwirkung für die Schuldabwägung zu (RIS‑Jusitz RS0122090 [T7]; RS0116021 [T8, T12, T17]; Schroll, WK‑StPO § 198 Rz 28 ff).

[7] Bei einem Strafrahmen von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder bis zu 720 Tagessätzen Geldstrafe – wie ihn § 83 Abs 1 StGB vorsieht – ist in der Regel von einem im Vergleich zum Einzugsbereich diversionsfähiger Straftaten bloß unterdurchschnittlichen Unrechtsgehalts derartiger Taten auszugehen (vgl Schroll/Kert, WK‑StPO § 198 Rz 29; 14 Os 87/19d, EvBl 2020/55).

[8] Schuldsteigernd wirkt vorliegend kein Umstand. Mildernd fallen hingegen der bisher ordentliche Lebenswandel des Rechtsmittelwerbers sowie die Provokation durch das Opfer ins Gewicht. Überdies wurde die Tat unter Umständen begangen, die einem Schuldausschließungs‑ oder Rechtfertigungsgrund nahe kommen (§ 34 Abs 1 Z 11 StGB). Nach den erstgerichtlichen Feststellungen wollte nämlich das Opfer Küchengeräte über einen von R* und seinen Kollegen frisch gepflasterten Bereich zuliefern und weigerte sich trotz Aufforderung durch den Letztgenannten, die Lieferung über die Garage durchzuführen. Vielmehr bahnte sich C* „provokant seinen Weg in Richtung Eingang ... und stieg auf den frischgepflasterten Bereich“ (US 4).

[9] Bei Gesamtbetrachtung aller nach Lage des konkreten Einzelfalls maßgeblichen Kriterien (RIS‑Justiz RS0116021) liegt somit keine schwere Schuld im Sinn des § 198 Abs 2 Z 2 StPO vor.

[10] Obwohl ein Geständnis nicht generell Voraussetzung für die Durchführung einer Diversion ist, hängt die Möglichkeit einer solchen in spezialpräventiver Hinsicht auch von der Haltung des Angeklagten ab und setzt dessen Bereitschaft voraus, Verantwortung für das ihm zur Last gelegte Tatgeschehen zu übernehmen (vgl RIS‑Justiz RS0116299). Schon die Bereitschaft zur diversionellen Vorgangsweise indiziert in der Regel eine solche Verantwortungsübernahme (RIS‑Justiz RS0130304; Schroll/Kert, WK‑StPO § 198 Rz 36/2).

[11] Davon ausgehend weist die Beschwerde zutreffend darauf hin, dass die für ein diversionelles Vorgehen erforderliche Verantwortungsübernahme beim Angeklagten vorlag, wenngleich er sich nicht formal schuldig bekannte (vgl US 6; ON 21 iVm ON 30 S 18 f).

[12] Schließlich stehen einem diversionellen Vorgehen – wie die Beschwerde zutreffend darlegt – im vorliegenden Fall auch keine generalpräventiven Erfordernisse entgegen. Denn § 198 Abs 1 StPO schließt eine Diversion nur dann aus, wenn generalpräventiven Bedürfnissen auch unter Berücksichtigung der Diversionsmaßnahme nicht ausreichend Rechnung getragen wird (vgl Schroll/Kert, WK‑StPO § 198 Rz 41).

[13] Fallbezogen lagen ein diversionelles Vorgehen hindernde Umstände somit nicht vor, weshalb das angefochtene Urteil im bezeichneten Umfang bereits bei nichtöffentlicher Beratung aufzuheben (§ 285e iVm § 288 Abs 2 Z 2a StPO) und der Angeklagte mit seiner Berufung darauf zu verweisen war.

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