OGH 27Ds1/21k

OGH27Ds1/21k17.3.2022

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 17. März 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als weiteren Richter und durch die Rechtsanwälte Dr. Kretschmer und Dr. Schlager als Anwaltsrichter in Gegenwart des Schriftführers Mag. Socher in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 17. September 2020, GZ D 118/19‑20, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, des Kammeranwalts Mag. Jakauby und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0270DS00001.21K.0317.000

 

Spruch:

 

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde * (richtig:) der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 (Abs 1 erster und zweiter Fall) DSt („iVm § 9 RAO und § 17 RL-BA“) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 22. März 2018 als Vertreter des S* in einer Eingabe an die Österreichische Botschaft in Islamabad sachlich nicht gerechtfertigt angekündigt, „im Falle der rechtswidrigen Verweigerung des Einreisevisums […] Strafanzeige wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs einzubringen“.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die – ersichtlich wegen Nichtigkeit und Schuld erhobene, zwischen diesen Kategorien jedoch in keiner Weise unterscheidende – Berufung des Disziplinarbeschuldigten.

Vorauszuschicken ist:

[4] Grundsätzlich ist ein Rechtsanwalt befugt, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen und Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreitet (§ 9 Abs 1 zweiter Satz RAO). Sachlich nicht gerechtfertigte Druckmittel darf er dabei jedoch weder ankündigen noch anwenden (vgl § 17 RL‑BA 2015; RIS‑Justiz RS0056346, RS0055886; Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 DSt Rz 50).

[5] Zwar ist nicht jede Androhung einer Strafanzeige disziplinär; sie darf jedoch erst nach gewissenhafter Prüfung der Sach- und Rechtslage und somit (nur) dann erfolgen, wenn der Rechtsanwalt nach sorgfältiger Prüfung zur Überzeugung gelangt, dass ein Anspruch durchsetzbar und das Verhalten des Angezeigten strafgesetzwidrig ist. Dieses Erfordernis bezieht sich auch auf den Aspekt der subjektiven Tatseite (RIS‑Justiz RS0056214 [T5], RS0056158, RS0055886 [T12], RS0056073 [T6]; Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 DSt Rz 51; vgl Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 9 RAO Rz 15).

[6] Dass der Disziplinarbeschuldigte eine solche sorgfältige, auch den subjektiven Tatbereich umfassende Prüfung vorgenommen hätte, lässt sich dem vorliegenden Erkenntnis nicht entnehmen. Derartige Feststellungen wären im Übrigen – nicht zuletzt im Hinblick auf die vom Disziplinarbeschuldigten zum Ausdruck gebrachte Ansicht, wonach „Mitglieder des BMEIA in den letzten Jahren vermutlich nicht bewusst, aber objektiv betrachtet rechtswidrige Entscheidungen getroffen“ hätten (ON 13) – auch nicht indiziert (vgl § 302 Abs 1 StGB).

[7] Soweit die „Berufung“ die im konkreten Fall vom Disziplinarrat vorgenommene rechtliche Beurteilung als rechtswidrig bezeichnet, erhebt sie inhaltlich erkennbar eine Rechtsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO). Diese setzt sich jedoch mit der Frage der Erfüllung der erwähnten, für die standesrechtliche Zulässigkeit einer Drohung mit einer Strafanzeige bestehenden rechtlichen Vorgaben – insbesondere mit dem Erfordernis, im Vorfeld einer solchen Drohung auch die subjektive Tatseite betreffende Aspekte zu erwägen – in keiner Weise auseinander. Damit lässt sie die gebotene methodengerechte Ableitung der angestrebten Rechtsfolge aus dem Gesetz (RIS‑Justiz RS0116565) gänzlich vermissen und beschränkt sich im Ergebnis vielmehr darauf, der geltenden Rechtslage und der hiezu ergangenen Judikatur allgemeine rechtspolitische Erwägungen entgegenzusetzen. Solcherart verfehlt sie jedoch den Bezugspunkt der geltend gemachten materiellen Nichtigkeit.

[8] In Ansehung der Berufung wegen Schuld bestehen ausgehend vom unstrittigen Wortlaut des inkriminierten Schreibens (Beilage ./V-1) keine Bedenken gegen die dem vorliegenden Erkenntnis zu Grunde liegenden Sachverhaltsannahmen.

[9] Zur implizit erhobenen Berufung wegen Strafe (§ 49 letzter Satz DSt) sei darauf hingewiesen, dass die verhängte ohnedies geringe Geldbuße einer Reduktion nicht zugänglich ist.

[10] Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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