OGH 6Ob174/21p

OGH6Ob174/21p14.3.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S* GmbH, *, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei A*  AG, *, Deutschland, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 36.665,42 EUR sA, infolge der außerordentlichen Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz vom 13. August 2021, GZ 2 R 104/21h‑23, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00174.21P.0314.000

 

Spruch:

Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über den vom Obersten Gerichtshof am 17. 3. 2020 zu 10 Ob 44/19x gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.

Nach Einlangen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin nimmt die Herstellerin eines Dieselfahrzeugs auf Schadenersatz wegen der Implementierung unzulässiger Abschalteinrichtungen bei der Abgasreinigung in Anspruch.

[2] Die Klägerin erwarb am 9. 7. 2017 bei einem Dritten einen Audi A6 Avant 3,0 TDI, 160 kW. In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor EA897evo der Motortype CZV verbaut. Das Fahrzeug war nicht Gegenstand eines Rückrufs oder einer Aufforderung zur Durchführung eines Software-Updates. Das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) stellte beim Motortyp CZV keine unzulässige Abschalteinrichtung fest.

[3] Die Klägerin stützt ihren Schadenersatzanspruch auf das Vorliegen nach Art 5 Abs 1 und 2 VO (EG) 715/2007 unzulässiger Abschalteinrichtungen, die sie – soweit für das Revisionsverfahren noch relevant – aus zwei Aspekten ableitet. Einerseits ist beim Klagsfahrzeug unstrittig ein sogenanntes „Thermofenster“ implementiert. Dabei handelt es sich um eine temperaturabhängige Parametrierung des Abgas-Rückführ-Systems, die nach dem Klagevorbringen dazu führt, dass die Abgasrückführung nur bei Außentemperaturen zwischen 17 und 33 Grad Celsius voll wirksam ist. Darin sieht die Klägerin eine unzulässige Abschalteinrichtung. Weiters behauptet sie eine unzulässige Abschalteinrichtung im Zusammenhang mit der Konstruktion des SCR-Katalysators, konkret der AdBlue-Einspritzung. Um die für das Klagsfahrzeug geltende Abgasnorm EU6 zu erfüllen, sei für die Abgasreinigung die Einspritzung einer bestimmten Menge der Substanz AdBlue erforderlich. Im Klagsfahrzeug sei ein Algorithmus implementiert, der zwei Betriebsmodi der AdBlue-Einspritzung vorsehe. Er sorge unter Prüfbedingungen für eine ausreichende AdBlue-Einspritzung, unter normalen Betriebsbedingungen sei die Einspritzung hingegen zu gering, um eine ausreichende Nox-Reduktion zu bewirken. Diese Programmierung beruhe auf einer kartellrechtswidrigen Einigung mehrerer deutscher Automobilhersteller, darunter der „Zweitbeklagten“, den AdBlue-Verbrauch so auszugestalten, dass trotz zu geringer Dimensionierung der AdBlue-Tanks pro Tankfüllung eine bestimmte Laufleistung erbracht werde. Den leitenden Angestellten der „Zweitbeklagten“ sei bewusst gewesen, dass diese Absprachen zur Entwicklung unzulässiger Abschalteinrichtungen führten. Die vorgeschriebenen Grenzwerte würden im Normalbetrieb nicht eingehalten. Der Schadenersatzanspruch der Klägerin gründe sich (unter anderem) auf arglistige Täuschung iSd § 874 ABGB und sittenwidrige Schädigung gemäß § 1295 Abs 2 ABGB. Der Schaden der Klägerin liege im Erwerb eines Fahrzeugs, das den gesetzlichen Bestimmungen nicht entspreche.

Rechtliche Beurteilung

[4] Im Verfahren 10 Ob 44/19x hat der Oberste Gerichtshof dem Europäischen Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

„1.  Ist Art 2 Abs 2 lit d der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl L 171/12 vom 7. 7. 1999) dahin auszulegen, dass ein Kraftfahrzeug, das in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur‑ und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl L 171/1 vom 29. 6. 2007) fällt, jene Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 ausgestattet ist, die Fahrzeugtype aber dennoch über eine aufrechte EG‑Typengenehmigung verfügt, sodass das Fahrzeug im Straßenverkehr verwendet werden kann?

2.  Ist Art 5 Abs 2 lit a der Verordnung (EG) 715/2007 dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 dieser Verordnung, die derart konstruiert ist, dass die Abgasrückführung außerhalb vom Prüfbetrieb unter Laborbedingungen im realen Fahrbetrieb nur dann voll zum Einsatz kommt, wenn Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius herrschen, nach Art 5 Abs 2 lit a dieser Verordnung zulässig sein kann, oder scheidet die Anwendung der genannten Ausnahmebestimmung schon wegen der Einschränkung der vollen Wirksamkeit der Abgasrückführung auf Bedingungen, die in Teilen der Europäischen Union nur in etwa der Hälfte des Jahres vorliegen, von Vornherein aus?

3. Ist Art 3 Abs 6 der Richtlinie 1999/44/EG dahin auszulegen, dass eine Vertragswidrigkeit, die in der Ausstattung eines Fahrzeugs mit einer nach Art 3 Z 10 in Verbindung mit Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung liegt, dann als geringfügig im Sinn der genannten Bestimmung zu qualifizieren ist, wenn der Übernehmer das Fahrzeug in Kenntnis ihres Vorhandenseins und ihrer Wirkungsweise dennoch erworben hätte?“

[5] Im Verfahren 10 Ob 44/19x wurde bereits ausgesprochen, dass die Beurteilung der Vertragswidrigkeit nicht nur im Verhältnis zum Vertragspartner, sondern auch für die Beurteilung der Haftung der (zu 10 Ob 44/19x zweitbeklagten) Fahrzeugherstellerin relevant ist, weil der (dortige) Kläger seinen Schaden im Wesentlichen aus dem Erwerb eines nicht dem Vertragsinhalt entsprechenden Fahrzeugs und dem Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung, konkret eines „Thermofensters“, ableitete.

[6] Auch im vorliegenden Fall sieht die Klägerin ihren Schaden im Erwerb eines zwar typengenehmigten, aber dennoch nicht den (unions-)rechtlichen Bestimmungen entsprechenden Fahrzeugs. Die Beantwortung der ersten und der zweiten im Verfahren 10 Ob 44/19x an den EuGH herangetragenen Vorlagefragen sind daher auch im vorliegenden Fall für die Beurteilung des Eintritts eines Schadens der Klägerin relevant.

[7] Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs auszugehen und diese auch für andere als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Aus prozessökonomischen Gründen ist dieses Verfahren daher zu unterbrechen (RS0110583).

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