OGH 3Ob24/22h

OGH3Ob24/22h23.2.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*, vertreten durch Mag. Dr. Josef Fromhold, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei L* AG, *, Schweiz, vertreten durch Reif & Partner Rechtsanwälte OG in Graz, wegen 7.539,29 EUR sA, über den „Rekurs“ (richtig: Revisionsrekurs) der klagenden Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 8. Juni 2021, GZ 1 R 116/21m‑21, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 18. März 2021, GZ 12 C 281/20s‑16, samt dem vorangegangenen Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0030OB00024.22H.0223.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurswird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts, womit die Einrede der internationalen und örtlichen Unzuständigkeit verworfen wurde, wiederhergestellt wird.

Dem Berufungsgericht wird die Fortsetzung des Berufungsverfahrens und die neuerliche Entscheidung über die Berufung unter Abstandnahme von dem als gegeben erachteten Nichtigkeitsgrund aufgetragen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 833,88 EUR (hierin enthalten 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte mit Sitz in der Schweiz betreibt eine Einkaufsgemeinschaft, die es den Teilnehmern ermöglicht, durch den Bezug von Waren und Dienstleistungen bei Partnerunternehmen der Beklagten Vorteile zu erhalten, wobei sie ihre Geschäftstätigkeit auch auf Kunden in Österreich ausrichtet. Dieses sogenannte „Treueprogramm“ wird insbesondere über ein unter dem Begriff „L*“ geführtes Vertriebssystem vermarktet.

[2] Der in Österreich wohnhafte Kläger erfuhr auf einer Werbeveranstaltung der Beklagten, dass er durch den Erwerb ihrer Produkte ein sogenanntes passives Einkommen erwirtschaften könne, indem er Geld in eine Cloud investiere; nach einer bestimmten Laufzeit würde ihm im Fall der Generierung von „Shopping Points“ ein monatliches Zusatzeinkommen ausbezahlt, ohne dass er dafür andere Personen für das Produkt der Beklagten anwerben müsse. Der Kläger registrierte sich daraufhin bei der Beklagten online als Mitglied, um die „Cashback“-Karte zu erhalten. Erst einige Zeit später registrierte er sich auch für die sogenannte „L*-Vereinbarung“.

[3] Mit seiner Investition in Clouds verfolgte der Kläger die Erzielung eines Zusatzeinkommens in Form einer Rendite für seine Investition. Dafür nahm er sogar einen Kredit auf. Insgesamt investierte er mehr als 7.000 EUR in diverse Rabattgutscheine („Discount Vouchers“) und Clouds. Er beabsichtigte zu keiner Zeit, Mitglieder für die Einkaufsgemeinschaft der Beklagten anzuwerben. Er empfahl bloß einigen Freunden und Familienmitgliedern die Registrierung bei der Beklagten für die „Cashback“-Karte, um bei den Vertragshändlern der Beklagten billiger einkaufen zu können. Einige Freunde folgten diesem Rat, eine „L*‑Vereinbarung“ schlossen diese aber nicht ab. Für die Einkäufe dieser Freunde mit der „Cashback“-Karte wurden dem Kläger Shopping Points gutgeschrieben.

[4] Der Kläger begehrt die Rückzahlung des investierten Kapitals. Die Rabattgutscheine und die erworbenen Clouds seien wertlos. Das Geschäftsmodell der Beklagten stelle ein per se verbotenes Schneeballsystem dar und sei daher nichtig. Er habe sämtliche Verträge mit der Beklagten als Verbraucher geschlossen, sodass die getroffene Gerichtsstandsvereinbarung unwirksam sei.

[5] Die Beklagte wendete insbesondere die internationale und örtliche Unzuständigkeit des Erstgerichts ein. Aufgrund der zwischen den Parteien vereinbarten Rechtswahl sei der Sachverhalt nach dem Schweizer Sachrecht zu beurteilen. Der Kläger sei kein Verbraucher, sondern als sogenannter „Marketer“ der Beklagten ein selbständiger, gewerblich tätiger Vertriebsvermittler. Er habe im Rahmen seiner betrieblichen Tätigkeit werthaltige Rabattgutscheine erworben, diese aber, aus welchen Gründen immer, nicht eingelöst.

[6] Das Erstgericht verwarf die Einrede der fehlenden internationalen und örtlichen Zuständigkeit und gab dem Klagebegehren statt.

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge. Es änderte die Entscheidung hinsichtlich der Prozesseinrede dahin ab, dass es die Unzuständigkeit des Erstgerichts aussprach. Weiters hob es das angefochtene Urteil und das der Urteilsfällung vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage zurück. Natur und Zielsetzung der „L*-Vereinbarung“ sei es, dass der Kläger als „Marketer“ einer gewerblichen Tätigkeit als selbständiger Unternehmer nachgehe und dafür einen Vergütungsanspruch erhalte. Der Kläger sei daher im konkreten Zusammenhang nicht als Verbraucher iSd Art 15 Abs 1 LGVÜ 2007 anzusehen. Die Gerichtsstandsvereinbarung sei daher wirksam, sodass das Erstgericht international nicht zuständig sei.

[8] Das Berufungsgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil die hier zu lösenden Rechtsfragen in Anbetracht der Vielzahl anhängiger Verfahren gegen die Beklagte über den bloßen Einzelfall hinausgingen.

[9] Mit seinem – von der Beklagten beantworteten – (richtig:) Revisionsrekurs (dazu Rückstellungsbeschluss vom 21. Oktober 2021, 3 Ob 166/21i) beantragt der Kläger die ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückverweisung der Rechtssache an das Berufungsgericht zur Fortsetzung des Berufungsverfahrens unter Abstandnahme vom herangezogenen Zurückweisungsgrund.

Rechtliche Beurteilung

[10] Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

[11] 1. Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 29. November 2021, 8 Ob 71/21f, der ein vergleichbarer – ebenfalls das Geschäftsmodell der Beklagten betreffender – Sachverhalt zugrunde lag, im Hinblick auf den Sitz der Beklagten in der Schweiz die internationale Zuständigkeit nach dem (auch im vorliegenden Fall anwendbaren) LGVÜ 2007 beurteilt und ist mit ausführlicher Begründung zum Schluss gekommen, dass es sich um eine Verbrauchersache iSd Art 15 Abs 1 lit c LGVÜ 2017 handle, auch wenn der dortige Kläger als „Marketer“ andere Personen für die Beklagte angeworben habe.

[12] 2. Dieser Rechtsansicht haben sich bereits mehrere Senate in vergleichbaren Fällen angeschlossen (zB 4 Ob 179/21h, 5 Ob 223/21m, 6 Ob 119/21z, 6 Ob 146/21w, 4 Ob 5/22x). Auch der erkennende Senat hält diese Beurteilung für überzeugend.

[13] 3. Dem Revisionsrekurs ist daher Folge zu geben.

[14] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Das Revisionsrekursverfahren vor dem Obersten Gerichtshof betrifft ausschließlich den Zwischenstreit über die internationale und örtliche Zuständigkeit, der nunmehr abschließend erledigt ist. Die in diesem Zwischenstreit unterlegene Beklagte hat dem Kläger daher die Kosten des Rechtsmittels zu ersetzen (vgl RS0035955). Eine Pauschalgebühr fällt für das Revisionsrekursverfahren nicht an (vgl Anm 1 TP 3 GGG).

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