European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00014.22F.0222.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Am 18. 12. 2020 ereignete sich im zweispurigen Kreisverkehr Lengfelden ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger mit seinem PKW Audi und die Erstbeklagte als Lenkerin eines vom Zweitbeklagten gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten PKW Hyundai beteiligt waren.
[2] Im Rekursverfahren ist unstrittig, dass der Kläger aus Fahrtrichtung Mattsee kommend unter Benützung des „äußeren Kreisels“ eine Weiterfahrt Richtung Salzburg, die Erstbeklagte hingegen aus Fahrtrichtung Salzburg kommend unter Befahren des „inneren Kreisels“ eine Weiterfahrt Richtung Bergheim beabsichtigte.
Die Unfallörtlichkeit stellt sich wie folgt dar:
[3] Der Kläger begehrt die Zahlung von 11.812,34 EUR sA. Die Erstbeklagte habe den inneren Fahrstreifen des Kreisverkehrs befahren und plötzlich und unvermittelt einen Fahrstreifenwechsel vorgenommen, wobei sie den auf dem äußeren Fahrstreifen des Kreisverkehrs fahrenden Audi aus Unaufmerksamkeit übersehen habe. Man dürfe darauf vertrauen, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer seine Absicht, den Kreisverkehr zu verlassen, rechtzeitig anzeige. Der Kläger selbst habe keinen Fahrstreifenwechsel durchgeführt.
[4] Die Beklagten wenden Gegenforderungen ein. Die Erstbeklagte sei ohne Fahrstreifenwechsel zum Verlassen des Kreisverkehrs berechtigt gewesen. Den Kläger treffe das Alleinverschulden, weil er einen unzulässigen Fahrstreifenwechsel nach links durchgeführt habe.
[5] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Alleinverschulden treffe den Kläger, der beim von ihm vorgenommenen Fahrstreifenwechsel den Hyundai übersehen habe. Der von der Erstbeklagten befahrene „innere Kreisel“ diene ausschließlich dem Verlassen des Kreisverkehrs Richtung Bergheim.
[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob das angefochtene Urteil auf und ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu. Es ging vom Vorliegen eines primären Verfahrensmangels aus, weil das Erstgericht den Kläger nicht einvernommen habe. In rechtlicher Hinsicht erwog das Berufungsgericht, dass das Ausfahren der Erstbeklagten aus dem Kreisverkehr einen Fahrstreifenwechsel darstelle, der anzeigepflichtig sei. Auch der Kläger habe einen anzeigepflichtigen Fahrstreifenwechsel vorgenommen. Das Erstgericht habe jegliche Feststellungen zur relevanten Frage unterlassen, ob die Unfallbeteiligten geblinkt haben.
[7] Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob Verkehrsteilnehmer zur Anzeige eines Fahrstreifenwechsels verpflichtet seien, wenn sie beim Verlassen eines zweispurigen Kreisverkehrs aus dem „inneren Kreisel“ den linken Ausfahrstreifen einer zweispurigen Ausfahrt benützen müssten bzw wenn sie den „äußeren Kreisel“ benützen und in diesem verbleiben möchten, dazu aber eine Leitlinie überfahren müssten.
[8] Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Abänderungsantrag, das Ersturteil wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[9] Der Kläger beantragt in seiner Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
[10] Der Rekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig,aber nicht berechtigt.
[11] Die Beklagten argumentieren, dass beim hier zu beurteilenden „Turbokreisverkehr“ bereits bei den Zufahrten eine Vorsortierung durch eine Bodenmarkierung erfolge. Der von der Erstbeklagten befahrene Fahrstreifen diene im Sinn dieser Bodenmarkierung ausschließlich der Ausfahrt auf die B156 in Richtung Bergheim. Die von ihr benützte Fahrbahn verlaufe in natürlicher und vorgeschriebener Hinsicht entlang der Sperrlinie, sodass gar kein Fahrstreifenwechsel erfolgt sei.
Dazu hat der erkennende Fachsenat erwogen:
Rechtliche Beurteilung
[12] 1. Nach § 11 Abs 1 StVO darf der Lenker eines Fahrzeugs die Fahrtrichtung nur ändern oder den Fahrstreifen wechseln, nachdem er sich davon überzeugt hat, dass dies ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich ist. Nach Abs 2 ist eine bevorstehende Änderung der Fahrtrichtung oder ein Wechsel des Fahrstreifens so rechtzeitig anzuzeigen, dass sich andere Straßenbenützer auf den angezeigten Vorgang einstellen können.
[13] 2. Fahrtrichtung ist nicht eine Bewegungsrichtung im geographischen Sinn, sondern grundsätzlich die sich aus dem natürlichen oder besonders vorgeschriebenen Verlauf einer Fahrbahn ergebende Richtung (RS0073764 [T1]). Eine Änderung der Fahrtrichtung im Sinn des § 11 StVO liegt nur vor, wenn vom natürlichen Verlauf der Fahrbahn abgewichen wird (RS0073604 [T1]). Ob dies zutrifft, richtet sich nach den jeweiligen örtlichen Verhältnissen. Dabei ist maßgebend, wie sich der Verlauf einer Straße in ihrem gesamten Erscheinungsbild präsentiert. Die Fahrtrichtung ist nach vernünftiger Verkehrsauffassung festzustellen (2 Ob 251/07m mwN; RS0073600).
[14] 3. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Erstbeklagte eine anzeigepflichtige Änderung der Fahrtrichtung vorgenommen. Entgegen der Argumentation der Beklagten stellt das Ausfahren aus dem „inneren Kreisel“ auf die B156 Richtung Bergheim nach vernünftiger Verkehrsauffassung nicht den natürlichen Verlauf der Fahrbahn dar, zumal die unmittelbar vor der Unfallstelle angebrachte Bodenmarkierung sowohl ein Verlassen des Kreisverkehrs als auch ein Verbleiben im Kreisverkehr als zulässig normiert. Dass die von der Erstbeklagten zu beachtende Sperrlinie in den Bereich der Ausfahrt auf die B156 weitergezogen wird, führt in Anbetracht des maßgeblichen gesamten Erscheinungsbilds zu keiner anderen Beurteilung.
[15] 4. Die auf der Zufahrt zum Kreisverkehr auf der B156 (aus Salzburg kommend) angebrachte Bodenmarkierung, die auf dem von der Erstbeklagten benutzten Fahrstreifen einen Kreisverkehr, der nach links wieder verlassen wird, und auf blauem Hintergrund in weißer Schrift die Ziffernfolge „156“ zeigt, ändert an dieser rechtlichen Beurteilung nichts. Die im Bereich des Kreisverkehrs selbst als Bodenmarkierung angebrachten Sperr‑ und Leitlinien (vgl dazu jeweils § 9 Abs 1 StVO iVm § 6 und § 7 Bodenmarkierungsverordnung) sowie Sperrflächen (§ 9 Abs 1 StVO iVm § 21 Bodenmarkierungsverordnung) und Richtungspfeile (§ 9 Abs 6 StVO iVm § 18 und § 19 sowie Anlage 4 Bodenmarkierungsverordnung) weisen nach den zitierten gesetzlichen Bestimmungen Gebots- bzw Verbotscharakter auf (vgl RS0073486 zum Gebotscharakter von Richtungspfeilen).
[16] Die auf der von der Erstbeklagten benutzten Zufahrt zum Kreisverkehr angebrachte Bodenmarkierung stellt hingegen keine in der StVO oder der Bodenmarkierungsverordnung geregelte Bodenmarkierung (etwa einen Richtungspfeil) dar; vielmehr erfüllt sie eine dem Hinweiszeichen nach § 53 Abs 1 Z 23 StVO („Voranzeiger für Einordnen“) vergleichbare Funktion und soll dem Verkehrsteilnehmer damit lediglich anzeigen, wie er sich im zweispurigen Kreisverkehr aufgrund der dort angebrachten Bodenmarkierungen einzuordnen haben wird. Normativer Charakter kommt dieser Bodenmarkierung nicht zu (vgl VwGH 2. 5. 1980 0017/80 zum Hinweiszeichen nach § 53 Abs 1 Z 23 StVO). Zu berücksichtigen ist, dass den sich dem Kreisverkehr auf anderen Zufahrten nähernden Verkehrsteilnehmern nur die im Kreisverkehr selbst, nicht aber die im Bereich der von ihnen nicht verwendeten Zufahrten vorhandenen Bodenmarkierungen erkennbar sein können.
[17] Die Erstbeklagte war damit nicht verpflichtet, die Ausfahrt Richtung Bergheim zu nehmen, sondern hätte auch – entsprechend den im Kreisverkehr selbst vorhandenen Bodenmarkierungen – auf dem „inneren Kreisel“ des Kreisverkehrs weiterfahren können.
[18] 5. Die Bejahung einer Verpflichtung der Erstbeklagten zur Anzeige der Änderung der Fahrtrichtung im vorliegenden Fall steht im Einklang mit der Rechtsprechung, wonach das Verlassen eines Kreisverkehrs eine nach § 11 Abs 2 StVO anzeigepflichtige Änderung der Fahrtrichtung darstellt (2 Ob 98/01b; Pürstl, StVO15 [2019] § 11 Anm 10).
[19] 6. Dass der Kläger durch das Überfahren der Leitlinie einen Fahrstreifenwechsel vorgenommen hat, zieht er in der Rekursbeantwortung zutreffend nicht in Zweifel.
[20] 7. Dem Rekurs der Beklagten war damit nicht Folge zu geben, weil die rechtliche Beurteilung durch das Berufungsgericht zutrifft.
[21] 8. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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