OGH 2Ob1/22v

OGH2Ob1/22v22.2.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Pflegschaftssache der N*, geboren * 2012, *, vertreten durch die Mutter Mag. A*, vertreten durch Riesemann Rechtsanwalts GmbH in Graz, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 30. November 2021, GZ 2 R 298/21i‑70, mit welchem der Beschluss des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 27. Oktober 2021, GZ 262 Pg 285/16z‑65, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00001.22V.0222.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der am 28. Februar 2014 verstorbene Erblasser hinterließ seine Ehefrau und eine 2012 geborene gemeinsame Tochter. In einem Testament hatte er seine Frau zur Erbin eingesetzt und einem Dritten (unter anderem) Geschäftsanteile an zwei Gesellschaften vermacht. Der Wert dieses Vermächtnisses überstieg den Reinnachlass. Der Legatar schloss daher mit der Tochter ein „Pflichtteilsübereinkommen“, wonach er ihr zur Deckung ihres Pflichtteils einen bestimmten Betrag zu zahlen hatte. Grundlage für die Höhe dieses Betrags war der damals angenommene Wert des Nachlasses. Für den Fall, dass sich aus einem Gutachten oder einer gerichtlichen Entscheidung ein höherer Wert der Geschäftsanteile ergebe, verpflichtete sich der Legatar zu einer entsprechenden Nachzahlung. Derzeit ist ein Verfahren der Witwe gegen den Legatar anhängig, in dem sie aufgrund von Privatgutachten einen deutlich höheren Nachlasswert behauptet.

[2] Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist ein Antrag der Tochter auf Genehmigung einer Klage gegen den Legatar. Darin behauptet die Tochter wie ihre Mutter im Parallelverfahren, dass der Nachlass einen weit höheren Wert gehabt habe als seinerzeit angenommen. Aus dem Übereinkommen folge daher die Pflicht des Legatars zu einer entsprechenden Nachzahlung. Es ist unstrittig, dass die Klage vor Abschluss des von der Mutter geführten Verfahrens mit einem hohen Prozesskostenrisiko verbunden wäre und eine von der Mutter insofern erklärte Schad- und Klagloshaltung nicht werthaltig ist. Nach Auffassung der Tochter muss die Klage aber dennoch eingebracht werden, weil sonst Verjährung drohe.

[3] Das Erstgericht wies den Antrag ab.

[4] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu. Verjährung drohe nicht, weil Ansprüche aus einem Pflichtteilsübereinkommen nach der Entscheidung 1 Ob 473/58 (NZ 1960, 59 = EFSlg 2.119) unter die allgemeine Regel des § 1478 ABGB fielen und daher in 30 Jahren verjährten. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil diese Entscheidung bereits mehrere Jahrzehnte zurückliege und zudem nicht einen Anspruch aus einem mit einem Legatar geschlossenen Pflichtteilsübereinkommen betroffen habe.

Rechtliche Beurteilung

[5] Der gegen diese Entscheidung gerichtete Revisionsrekurs der Minderjährigen ist entgegen diesem Ausspruch nicht zulässig.

[6] 1. Auch eine einzige Entscheidung, die ausführlich begründet und vom Schrifttum ohne Kritik übernommen wurde, reicht für die Annahme einer gesicherten Rechtsprechung aus (RS0103384 [T8]). Das Alter der Entscheidung ist unerheblich, wenn sich die Rechtslage nicht geändert hat (RS0103384 [T2]).

[7] 2. Ein solcher Fall liegt hier vor:

[8] 2.1. Sowohl § 1487 ABGB idF vor dem ErbRÄG 2015 als auch § 1487a ABGB idgF sehen für das Recht, den Pflichtteil zu fordern, eine dreijährige Verjährung vor; die Bestimmungen unterscheiden sich nur im Beginn des Fristenlaufs. Damit hat sich die Rechtslage im entscheidenden Punkt nicht geändert: Sowohl nach altem als auch nach neuem Recht stellt sich die Frage, ob ein Anspruch aus einem – hier mit einem Legatar geschlossenen – Pflichtteilsübereinkommen unter diese Bestimmung fällt. Wird das bejaht, wäre die Übergangsbestimmung des § 1503 Abs 7 Z 9 ABGB anzuwenden. Es wäre daher zu prüfen, ob der Anspruch am 1. Jänner 2017 noch nicht verjährt war; in diesem Fall wäre die Verjährung nach § 1487a ABGB zu beurteilen.

[9] 2.2. Der Oberste Gerichtshof hat allerdings in der vom Rekursgericht zitierten Entscheidung 1 Ob 473/58 (NZ 1960, 59 = EFSlg 2.119) ausgesprochen, dass ein Anspruch aus einem Pflichtteilsübereinkommen nicht unter § 1487 ABGB aF, sondern unter die allgemeine Regel des (richtig) § 1478 ABGB fällt. Solche Ansprüche verjähren daher erst nach 30 Jahren. Zur Begründung führte er aus, dass im konkreten Fall ein Anerkennungsvertrag vorliege, der einen eigenständigen Rechtsgrund für die Forderung bilde. Diese Auffassung steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung, wonach Ansprüche aus einem konstitutiven Anerkenntnis unter § 1478 ABGB fallen (RS0032696; 2 Ob 149/05h). Auch die Lehre geht für Ansprüche aus einem Pflichtteilsübereinkommen einhellig von einer 30‑jährigen Verjährungsfrist aus (zum alten Recht: M. Bydlinski in Rummel 3 § 1487 Rz 3; Mader/Janisch in Schwimann/Kodek 4 §§ 1487, 1487a Rz 5; Vollmaier in Klang3 § 1487 Rz 12; zum neuen Recht: Likar-Peer in Ferrari/Likar-Peer, Erbrecht2 [2020] Rz 10.50).

[10] 2.3. An dieser Auffassung ist jedenfalls für den Fall festzuhalten, dass mit der Vereinbarung nicht bloß ein strittiges Recht verglichen (vgl zu dieser Problematik allgemein Vollmaier in Klang3 § 1478 Rz 39; Heidinger in Schwimann/Kodek 4 § 1380 Rz 20, beide mwN), sondern ein Anspruch durch konstitutives Anerkenntnis neu geschaffen wird. Das traf hier zu: Zwar hatte ein Legatar nach § 692 und § 783 ABGB, jeweils idF vor dem ErbRÄG 2015, im Innenverhältnis mit dem Erben zur Deckung des Pflichtteils beizutragen (zum Verhältnis dieser Bestimmungen zueinander 4 Ob 235/06x mwN); der Pflichtteilsberechtigte konnte daraus aber gerade keinen unmittelbaren Anspruch gegen den Legatar ableiten (2 Ob 189/20p mwN). Unter diesen Umständen besteht kein Zweifel, dass im konkreten Fall die 30‑jährige Verjährungsfrist anzuwenden ist.

[11] 3. Das von der Tochter behauptete „Restrisiko“ einer Verjährung besteht daher nicht. Andere Gründe, weshalb schon jetzt eine Klage erhoben werden müsste, zeigt der Revisionsrekurs nicht auf. Er ist daher mangels Vorliegens einer Rechtsfrage iSv § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.

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