OGH 8ObA11/22h

OGH8ObA11/22h22.2.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Robert Hauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R* W*, vertreten durch Beneder Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei H* GmbH & Co KG, *, vertreten durch Dr. Christian Stuppnig, Rechtsanwalt in Wien, wegen  Entlassungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Dezember 2021, GZ 10 Ra 100/21f‑20, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00011.22H.0222.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Gemäß § 11 Abs 4 (4) der am 17. 11. 2020 in Kraft getretenen COVID‑19‑Notmaßnahmenverordnung – COVID‑19‑NotMV, durfte die Beklagte als Betreiberin einer bettenführenden Krankenanstalt Mitarbeiter nur einlassen, „wenn für diese einmal pro Woche ein molekularbiologischer Test auf SARS‑CoV‑2 oder ein Antigen‑Test auf SARS‑CoV‑2 durchgeführt wird und dessen Ergebnis negativ ist“.

[2] Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der – einen Mitarbeiter eines Alten- und Pflegeheims betreffenden – Entscheidung 8 ObA 42/21s (ARD 2021/6 = ASoK 2021, 394 = SWK 2021, 1255 = ZfG 2021, 140 = PVP 2021/76 = RdW 2021/626 [Lindmayr]; Pfitzner/Hahn, Beendigung von Arbeitsverhältnissen mit 3G- und Impfverweigerern ZfG 2021, 134; Schrank in Schrank (Hrsg), Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht [89. Lfg 2022] Allgemeiner Kündigungsschutz: Kündigungsanfechtung wegen Motivwidrigkeit oder Sozialwidrigkeit, Rz 184) zu den in der Revision angesprochenen Rechtsfragen unter Berücksichtigung des Schrifttums ausführlich Stellung genommen.

[3] War eine Arbeitgeberin wie die Beklagte als unmittelbare Adressatin der Verordnung verpflichtet, Arbeitnehmern ohne Vorliegen eines negativen Testergebnisses (bzw einer der in der Verordnung statuierten Ausnahmen) das Betreten der Betriebsstätte zu verwehren, ergibt sich auch mittelbar für den Arbeitnehmer die Verpflichtung, sich den kostenlos angebotenen Tests zu unterziehen, um seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nachkommen zu können. Wird aufgrund der unberechtigten Verweigerung der aufgrund der Verordnung zur Erfüllung der Arbeitspflicht notwendigen Tests das Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber beendet, liegt dieser Beendigung kein verpöntes Motiv zugrunde.

[4] Eine Entscheidung, die zwar bisher die einzige ist, die aber ausführlich begründet und mehrfach veröffentlicht wurde, zu der gegenteilige Entscheidungen nicht vorliegen und die vom Schrifttum ohne Kritik übernommen wurde, reicht für das Vorliegen einer gesicherten Rechtsprechung aus (RIS‑Justiz RS0103384).

[5] 2. An dieser Rechtslage vermögen auch geäußerte Bedenken an der Verfassungsgemäßheit der COVID‑19‑NotMV nichts zu ändern. Vorweg wären selbst verfassungswidrige Verordnungen bis zu deren Aufhebung durch den VfGH anzuwenden (vgl Muzak, B‑VG6 Art 139 Rz 22; 8 ObA 42/21s). Die hier maßgebliche Verpflichtung lässt sich wohl schon aus der Verantwortung des Krankenanstaltenbetreibers für die Gesundheit der Patienten rechtfertigen. Es besteht also kein Ansatz, warum sich der Arbeitgeber nicht an der Verordnung orientieren könnte.

[6] 3. Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine gerechtfertigte vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses kann immer nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (RS0106298). Mangels einer über den Anlass hinausreichenden Aussagekraft von Einzelfallentscheidungen steht die Revision zu ihrer Überprüfung nach § 502 Abs 1 ZPO nicht offen, es sei denn, dem Berufungsgericht wäre bei seiner Entscheidung eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen, die ausnahmsweise zur Wahrung der Rechtssicherheit einer Korrektur bedürfte. Diese Voraussetzungen legt die außerordentliche Revision der Klägerin nicht dar.

[7] Soweit sie gesundheitliche Gründe zur Rechtfertigung der Weigerung der Klägerin, sich künftigen Covid‑19‑Zutrittstests zu unterziehen, ins Treffen führt, entfernt sie sich vom bindend festgestellten Sachverhalt. Die Klägerin hat zwar auch (nicht belegte) körperliche Beschwerden im Zusammenhang mit der Testdurchführung behauptet, aber ihre Verweigerung auf ausdrückliches Nachfragen des Vorgesetzten nicht damit begründet, dass sie ihre Arbeitsleistung aus diesen gesundheitlichen Gründen nicht erbringen könne, sondern mit Gewissensgründen, einer von ihr vermuteten wissenschaftlichen Sinnlosigkeit der Tests und mit rechtlichen Bedenken.

[8] 4. Unter den Begriff „beharrlich“ iSd §§ 82 lit f GewO 1859 ist die Nachhaltigkeit, Unnachgiebigkeit oder Hartnäckigkeit des in der Dienstverweigerung zum Ausdruck gelangenden, auf die Verweigerung der Dienste beziehungsweise der Befolgung der Anordnung gerichteten Willens zu verstehen.

[9] Die Beharrlichkeit kann sich nicht nur in wiederholter Weigerung ausdrücken, sondern auch im Verharren im verpönten Verhalten trotz vorangegangener Ermahnung (RS0029746 [T16, T18]). Nach den Feststellungen hielt die Klägerin auch nach Androhung der Entlassung an ihrem Standpunkt fest, sich in Zukunft den für den Zutritt zur Arbeitsstelle notwendigen Testungen nicht unterziehen zu wollen. Die Beurteilung der Vorinstanzen ist daher auch in diesem Punkt nicht korrekturbedürftig.

[10] 5. Soweit sich die Revision auf eine von der Klägerin aus „weltanschaulichen“ Gründen vermutete Sinnlosigkeit der Covid‑Tests beruft, übersieht sie, dass die mangelnde persönliche Überzeugung von der Sinnhaftigkeit einer Anordnung des Arbeitgebers noch nicht zur Verweigerung der geschuldeten Arbeitsleistung berechtigt (vgl im Übrigen 9 ObA 122/07t).

[11] Noch weniger reicht die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers so weit, dass er sich im Fall einer bloß subjektiv begründeten Ablehnung des Arbeitnehmers über plausible Anordnungen geltenden Rechts hinwegsetzen und die damit verknüpften Konsequenzen in Kauf nehmen müsste, anstatt das mit der Einhaltung geltender Normen aus in der Person des Arbeitnehmers gelegenen Gründen inkompatibel gewordene Arbeitsverhältnis zu beenden.

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