OGH 10ObS169/21g

OGH10ObS169/21g25.1.2022

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter (Senat gemäß § 11a Abs 3 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei L*, vertreten durch Dr. Alois Zehetner, Rechtsanwalt in Amstetten, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist‑Straße 1, wegen Ausgleichszulage, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. August 2021, GZ 7 Rs 52/21 z‑17, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00169.21G.0125.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Mit Bescheid vom 8. 5. 2015 erkannte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt dem Kläger eine Alterspension ab dem 1. 5. 2015 in Höhe von 721,28 EUR brutto monatlich zu und hielt fest, dass ein Anspruch auf Ausgleichszulage nicht bestehe. Der Kläger erhob gegen diesen Bescheid zu AZ 8 Cgs 175/15d des Landesgerichts St. Pölten Klage mit dem Begehren, ihm eine (höhere) Alterspension ab 1. 5. 2015 unter Berücksichtigung eines leistungswirksamen Zeitraums (an Versicherungsmonaten) von 1. 3. 1997 bis 31. 10. 2010 sowie von 1. 3. 2011 bis 30. 4. 2015 zuzuerkennen.

[2] Mit Bescheid vom 27. 4. 2020 erkannte die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Ausgleichszulage ab 1. 5. 2015 an. Sie stellte ausgehend von der mit Bescheid vom 8. 5. 2015 festgestellten Pensionshöhe die Ausgleichszulage ab 1. 5. 2015 mit monatlich 28,91 EUR, ab 1. 1. 2016 mit 46,74 EUR monatlich, ab 1. 1. 2017 mit 47,11 EUR monatlich, ab 1. 1. 2018 mit 48,15 EUR monatlich, ab 1. 1. 2019 mit 49,39 EUR monatlich und ab 1. 1. 2020 mit 51,17 EUR monatlich unter Anrechnung eines Pauschaleinkommens aus „verpachtetem (stillgelegten)“ land-und forstwirtschaftlichen Betrieb gemäß § 292 Abs 5 bis 8 ASVG fest.

[3] Mit seiner dagegen erhobenen Klage begehrt der Kläger die Zuerkennung einer monatlichen Ausgleichszulage im gesetzlichen Ausmaß zuzüglich Verzugszinsen. Er brachte zusammengefasst vor, dass die Anrechnung eines Pauschaleinkommens aus einem land‑ und forstwirtschaftlichen Betrieb nicht vorzunehmen sei, § 292 Abs 8 ASVG gelange nicht zur Anwendung. Weder sei der Kläger verbücherter Eigentümer der von seiner Mutter geerbten Liegenschaften noch sei es ihm seit 1997 möglich gewesen, aus dem Anwesen ein landwirtschaftliches Einkommen zu erzielen. Die bisherigen Einheitswertbescheide seien nicht aussagekräftig, weil seit 1997 ein völliger faktischer Betriebsstillstand herrsche. Gegen die zuletzt ergangenen Einheitswertbescheide habe der Kläger Beschwerde an das Bundesfinanzgericht erhoben, über die noch nicht entschieden sei. Im Hinblick darauf beantragte der Kläger gemäß § 74 Abs 1 ASGG die Aussetzung des Verfahrens bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung über den Einheitswert der zum Nachlass nach seiner verstorbenen Mutter gehörigen Liegenschaften und gemäß § 74 Abs 2 ASGG die Zuerkennung einer vorläufigen Leistung einer Ausgleichszulage in Höhe von 200 EUR monatlich.

[4] Gemäß § 190 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG unterbrach das Erstgericht das Verfahren bis zur rechtskräftigen Beendigung der anhängigen Verfahren über 1. die Feststellung des Einheitswertes für den Grundbesitz EZ * GB * und EZ * GB * (Einheitswertaktenzeichen * des Finanzamtes *), und 2. die zu AZ 8 Cgs 175/15d des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits‑ und Sozialgericht anhängige Klage gegen den Bescheid der beklagten Partei vom 8. 5. 2015 betreffend Feststellung leistungswirksamer Pensionszeiträume. Der Ausgang beider Verfahren sei präjudiziell für die Berechnung der Ausgleichszulage in diesem Verfahren. In beiden Fällen liege allerdings kein Anwendungsfall des § 74 Abs 1 ASGG vor, sodass eine vorläufige Leistung nicht aufzutragen war.

[5] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

[6] Hat das Rekursgericht – wie hier – ausgesprochen, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht nach § 528 Abs 1 ZPO zulässig ist, so kann dagegen im Verfahren in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen ein außerordentlicher Revisionsrekurs erhoben werden (§ 502 Abs 5 Z 4 ZPO). Einer Abänderung des Ausspruchs über die Zulässigkeit des Revisionsrekurses durch das Rekursgericht bedarf es daher nicht. Der vom Kläger eingebrachte „ordentliche“ Revisionsrekurs (verbunden mit einem Antrag auf nachträgliche Zulassung des Revisionsrekurses) ist als außerordentlicher Revisionsrekurs zu behandeln, dessen Zulässigkeit vom Obersten Gerichtshof ausschließlich nach § 528 Abs 1 ZPO zu beurteilen ist (10 ObS 10/15s; RIS‑Justiz RS0110049 [T8, T9]).

[7] Der Revisionsrekurs ist hier wegen § 74 Abs 2 Satz 3 ASGG iVm § 402 Abs 1 letzter Satz EO nicht schon wegen § 528 Abs 2 Z 2 ZPO unzulässig (10 ObS 305/97v SSV‑NF 11/106). Der Kläger zeigt jedoch in seinem Rechtsmittel keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO auf:

[8] 1. Das Rekursgericht hat eine mögliche Nichtigkeit des außerhalb einer mündlichen Verhandlung vom Erstgericht gefassten Unterbrechungsbeschlusses geprüft und verneint. Vom Rekursgericht verneinte Nichtigkeiten können im Revisionsrekurs nicht neuerlich geltend gemacht werden (RS0043405 [T32]).

[9] 2. Der angefochtene Beschluss ist im Allgemeinen nach der Sachlage im Zeitpunkt seiner Erlassung zu prüfen (RS0002382). Die Rechtskraft einer anderen Entscheidung ist jedoch nach ständiger Rechtsprechung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen (vgl RS0039968 [T7]). Da das Verfahren des Erstgerichts AZ 8 Cgs 175/15d – nach Beschlussfassung durch das Rekursgericht – mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 19. 10. 2021, 10 Ob 149/21s, rechtskräftig beendet wurde, fällt dieser Unterbrechungsgrund weg.

[10] 3.1 Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt dann keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung vor, wenn das Gesetz selbst eine klare und eindeutige Regelung trifft (RS0042656). Das ist hier in Bezug auf § 74 Abs 2 ASGG der Fall. Nach dieser Bestimmung hat das Gericht „im Fall einer Unterbrechung nach [§ 74] Abs 1“ ASGG auf Antrag des Klägers dem Beklagten eine vorläufige Leistung aufzuerlegen. Eine zwingende Unterbrechung des Verfahrens gemäß § 74 Abs 1 ASGG hat jedoch nur (RS0037262 [T1]) dann zu erfolgen, wenn in einer Rechtsstreitigkeit nach § 65 Abs 1 Z 1, 4 oder 6 bis 8 ASGG die Versicherungspflicht, die Versicherungsberechtigung, der Beginn oder das Ende der Versicherung (§ 355 Z 1 ASVG), die maßgebende Beitragsgrundlage oder die Angehörigeneigenschaft (§ 410 Abs 1 Z 7 ASVG) als Vorfrage strittig ist. Während in anderen Fällen auch im arbeits‑ und sozialgerichtlichen Verfahren eine Unterbrechung aus Zweckmäßigkeitsgründen gemäß § 190 ZPO iVm § 2 ASGG stattfinden kann (RS0037262), hat das Gericht in einem der in § 74 Abs 1 ASGG genannten Fälle das Verfahren zu unterbrechen, bis über diese Vorfrage als Hauptfrage im Verfahren in Verwaltungssachen rechtskräftig entschieden worden ist, dies einschließlich eines allenfalls anhängig gewordenen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens.

[11] 3.2 Ein Fall des § 74 Abs 1 ASGG liegt hier nicht vor. Zwar ist diese Bestimmung einer Analogie zugänglich (RS0037262 [T2]; Beispiele s bei Köck/Sonntag, ASGG, § 74 ASGG Rz 3; zum Zweck der Norm vgl Kuderna, Vorläufige Leistungen des Versicherungsträgers nach dem Arbeits‑ und Sozialgerichtsgesetzes [ASGG] in FS Schnorr [1988] 381 [388]). Weder behauptet der Kläger die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung dieser Bestimmung im konkreten Fall noch zeigt er mit seinem zentralen Argument, die Unterbrechung gemäß § 190 ZPO konterkariere den Zweck der Zuerkennung einer einstweiligen Ausgleichszulage gemäß § 74 Abs 2 ASGG und verkehre diesen in sein Gegenteil, eine Korrekturbedürftigkeit der Entscheidungen der Vorinstanzen auf. § 190 ZPO ist entgegen den Ausführungen des Klägers im Verfahren gemäß § 2 Abs 1 ASGG anwendbar, woran nichts ändert, dass sich die Beklagte am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt hat.

[12] 4. Dem Argument, dass ein Provisorialverfahren nicht wegen Präjudizialität eines anderen Rechtsstreits unterbrochen werden dürfe, ist entgegenzuhalten, dass das unterbrochene Verfahren kein Provisorialverfahren ist. Da kein Anwendungsfall des § 74 Abs 2 ASGG vorliegt, war kein Bescheinigungsverfahren im Sinn dieser Bestimmung durchzuführen, sodass der behauptete Verfahrensmangel des Rekursgerichts nicht vorliegt.

[13] Mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO ist der außerordentliche Revisionsrekurs zurückzuweisen.

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