OGH 6Ob212/21a

OGH6Ob212/21a22.12.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch Mag. Josef Schartmüller, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei F*, vertreten durch Dr. Helene Klaar Dr. Norbert Marschall Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Ehescheidung/Auflösung einer eingetragenen Partnerschaft, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 31. August 2021, GZ 48 R 53/21f‑19, womit das Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 7. Dezember 2020, GZ 54 C 19/20p‑11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00212.21A.1222.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten binnen 14 Tagen die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Das Berufungsgericht ließ die Revision mit der Begründung zu, zu den Fragen, ob § 17 Abs 1a IPRG idF BGBl I 2019/72 auch für vor dem 1. 8. 2019 im Ausland geschlossene Ehen heranzuziehen ist und ob der „Partnerschaftsbruch“ eine schwere Verfehlung im Sinne des § 15 Abs 1 EPG darstellt, fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung.

Rechtliche Beurteilung

[2] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

[3] 1. Die Streitteile haben ihre (gleichgeschlechtliche) Ehe am 26. 11. 2016 in Dänemark geschlossen, wobei im Zeitpunkt der Eheschließung der Kläger deutscher Staatsangehöriger war, der Beklagte jedoch Brasilianer. Zu diesem Zeitpunkt war eine gleichgeschlechtliche Ehe zwar in Brasilien (großteils) möglich, nicht jedoch in Deutschland, wo erst ab 1. 10. 2017 Art 17b EGBGB die gleichgeschlechtliche Ehe ermöglichte.

[4] 2. Die materiellen Voraussetzungen der Eheschließung sind nach dem gemäß § 17 IPRG bestimmten Recht zu beurteilen, wobei diese Bestimmung bis zur am 31. 7. 2019 kundgemachten Novelle BGBl I 2019/72 in ihrem Abs 1 auf das Personalstatut der Verlobten verwies. Mit der Novelle wurde § 17 Abs 1a eingefügt, wonach dann, wenn das nach dem Personalstatut berufene Recht eines oder beider Verlobten die Eheschließung wegen des Geschlechts eines oder beider Verlobten nicht vorsieht, die Voraussetzungen des § 17 Abs 1 IPRG nach dem Recht des Staats zu beurteilen sind, in dem die Ehe begründet wird.

[5] 3. In Anbetracht des gewöhnlichen Aufenthalts beider Streitteile zum Zeitpunkt der Einleitung des vorliegenden Verfahrens in Österreich ist es nicht strittig, dass sich das materielle Scheidungsrecht nach österreichischem Recht richtet, und zwar unabhängig davon, ob die ROM III‑VO (auch) auf gleichgeschlechtliche Ehen anzuwenden ist (zum Meinungsstand vgl Rudolf in Gitschthaler, Internationales Familienrecht [2019] Art I ROM III‑VO Rz 11 ff), kämen doch entweder § 20 Abs 1 iVm § 18 Abs 1 Z 2 bzw § 27d Abs 1 Z 1 IPRG oder Art 8 lit a ROM III‑VO zur Anwendung.

[6] 4.1. Von der Frage, ob die Neufassung des § 17 IPRG rückwirkend auch für vor dem 1. 8. 2019 begründete (gleichgeschlechtliche) Eheschließungen gilt, hängt die Entscheidung des vorliegenden Falls aber nicht im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO ab:

[7] 4.2. Würde man die Rückwirkung verneinen, so wäre die zwischen den Streitteilen geschlossene Ehe als eingetragene Partnerschaft zu beurteilen. Andernfalls würde es sich um eine Ehe nach dem Ehegesetz handeln, hat doch der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis G 258–259/2017‑9 ausgesprochen, dass Zugangsbeschränkungen zu einem Institut (konkret: der Ehe) zu einer Ungleichbehandlung von gleichgeschlechtlichen Paaren und Paaren mit unterschiedlichem Geschlecht führt, was eine sachlich nicht begründbare Diskriminierung darstellt. Seit dieser Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare bestimmen sich die Voraussetzungen der Auflösung zuvor im Ausland geschlossener Ehen nicht (mehr) nach den Bestimmungen des EPG, sondern denjenigen des EheG (Kathrein/Pesendorfer, Ehe und eingetragene Partnerschaft für alle, iFamZ 2018, 324 [326]).

[8] 4.3. § 15 Abs 1 EPG entspricht grundsätzlich § 49 EheG, auf welche Bestimmung der Kläger sein Scheidungsbegehren gestützt hat. Zwar nennt § 15 Abs 1 EPG als Beispiel für eine schwere Eheverfehlung den Tatbestand des Ehebruchs nicht ausdrücklich. Nach herrschender Auffassung ist jedoch davon auszugehen, dass Geschlechtsverkehr mit einer anderen (gleich‑ oder verschieden geschlechtlichen) Person einen Auflösungsgrund im Sinne des § 15 EPG darstellen kann, weil es sich in § 15 Abs 1 EPG nur um eine demonstrative (arg: „insbesondere“) Aufzählung handelt und eine umfassende Vertrauensbeziehung im Sinne des § 8 Abs 2 EPG wohl auch die Treue gegenüber dem Vertragspartner beinhaltet (Aichhorn in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 15 EPG Rz 3; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, EuPR § 15 EPG Rz 1; ebenso Kathrein/Pesendorfer, iFamZ 2018, 324; Stabentheiner/L. Kolbitsch in Rummel/Lukas, ABGB4 [2021] § 8 EPG Rz 2; aA Leb, Ist die traditionelle Ehe vorbei? Ehe und Ehe light [EPG] für alle? Wird die nunmehrige Wahlfreiheit vom Gesetzgeber beendet? iFamZ 2018, 25).

[9] Dies gilt jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem der Kläger mehrfach sexuelle Beziehungen mit unterschiedlichen Sexualpartnern hinter dem Rücken des Beklagten pflegte und auch, nachdem der Beklagte ihn darauf hingewiesen hatte, wie ihn diese Vorgangsweise verletze, dieses Verhalten fortsetzte und mit einer weiteren Person im „Ehebett“ Geschlechtsverkehr hatte. Dass eine derartige Verhaltensweise nicht dem gesetzlichen Gebot des § 8 Abs 2 EPG einer umfassenden Vertrauensbeziehung entspricht, bedarf keiner weiteren Ausführungen.

[10] 4.4. Im Schrifttum wird diskutiert, ob es sich bei der Unterscheidung in Treuepflicht für Ehegatten und Vertrauensbeziehung für eingetragene Partner um eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung handle (in diesem Sinne Deixler‑Hübner, Das neue EPG – gesetzlicher Meilenstein oder kleinster gemeinsamer Nenner? iFamZ 2010, 93) oder nicht (Haunschmidt, iFamZ 2010, Gelockerte Treuepflicht bei der eingetragenen Partnerschaft? Was bedeutet der Begriff „Vertrauensbeziehung“, 97). Diesbezüglich hat jedoch bereits Aichhorn (in Schwimann/Kodek aaO § 8 EPG Rz 4) darauf hingewiesen, dass bei dieser Auffassung eindeutig das Vorurteil durchklinge, dass insbesondere homosexuelle Männer keine stabilen Beziehungen pflegen (können) und auch keine sexuelle Treue erwarten. Diese Sichtweise würde jedoch einen klaren Verstoß gegen Art 14 iVm Art 8 EMRK darstellen, zumal der EGMR in der Entscheidung L gegen Österreich (9. 1. 2003, Beschwerde Nr 45330/99 Rz 44) ausdrücklich festgehalten hat, dass das Vorurteil der heterosexuellen Mehrheit gegenüber einer homosexuellen Minderheit keine ausreichende Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung in einer Gesetzesbestimmung sei (Aichhorn aaO § 8 EPG Rz 4 aE). In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die eingetragene Partnerschaft nach dem Willen des Gesetzgebers gerade keine „Schmalspurehe“ und keine „Ehe light“ darstellen soll (ErläutRV 485 BlgNR 24. GP  5).

[11] 5.1. Fragen der Verschuldensbemessung bei der Ehescheidung werfen – abgesehen von einer hier nicht vorliegenden groben Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen – wegen ihrer regelmäßigen Einzelfallbezogenheit im Allgemeinen keine Rechtsfragen der von § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung auf (RS0118125; RS0119414). Diese Rechtsprechung lässt sich auf die Auflösung einer eingetragenen Partnerschaft nach §§ 15 ff EPG übertragen (Aichhorn in Schwimann/Kodek ABGB5 § 17 EPG Rz 1).

[12] 5.2. Die behaupteten Verfahrensmängel liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Soweit sich die Revision gegen die Feststellungen der Vorinstanzen wendet, ist darauf zu verweisen, dass die Beweiswürdigung nicht der Kognition des Obersten Gerichtshofs unterliegt (RS0069246).

[13] 6. Zusammenfassend bringt die Revision somit keine Rechtsfragen der von § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass sie spruchgemäß zurückzuweisen war.

[14] 7. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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