European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0050OB00216.21G.1216.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
[1] Die Revisionsrekurswerberin ist Eigentümerin einer Liegenschaft unter anderem mit den Grundstücken 110/11 und 159/1.
[2] Der Magistrat der L* teilte dem Erstgericht schriftlich mit, hinsichtlich einer Teilfläche von 54 m² des Grundstücks Nr 110/11 und einer Teilfläche von 125 m² des Grundstücks Nr 159/1 habe die S* die Enteignung beantragt. Aufgrund eines gemäß § 35 Oö‑Straßengesetz 1991 (idF: Oö‑StrG) zu erlassenden Enteignungsbescheids sollten diese Teilflächen lastenfrei vom Gutsbestand der Liegenschaft abgeschrieben und dem öffentlichen Gut zugeschrieben werden, um für eine straßenrechtlich bereits bewilligte Verlängerung der M*straße zu einem zu errichtenden Wendehammer notwendige Flächen zu erwerben. Ein den gesetzlichen Erfordernissen entsprechender Enteignungsantrag liege vor, sodass das Enteignungsverfahren eingeleitet werde. In analoger Anwendung des Eisenbahn‑Enteignungsentschädigungsgesetzes (EisbEG) werde die Einleitung des Enteignungsverfahrens dem Grundbuchsgericht angezeigt und die amtswegige Anmerkung der Einleitung des Enteignungsverfahrens bei den genannten Grundstücken angeregt.
[3] Das Erstgericht ordnete die Anmerkung der Einleitung des Enteignungsverfahrens hinsichtlich der Grundstücke 110/11 und 159/1 an.
[4] Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Liegenschaftseigentümerin nicht Folge. Art 13 des Verwaltungsentlastungsgesetzes (VEG) sei mit Ablauf des 31. 12. 2006 aufgehoben worden. Die Bestimmung habe angeordnet, dass – sofern die Gesetze Enteignungen zulassen und nichts anderes anordnen – für das bei der Durchführung der Enteignung und bei der Festsetzung der Entschädigung zu beobachtende Verfahren sinngemäß die Bestimmungen des Gesetzes vom 18. 2. 1878 RGBl Nr 30 betreffend die Enteignung zum Zwecke der Herstellung und des Betriebs von Eisenbahnen Anwendung finden und zur Entscheidung über die Enteignung in erster Instanz der Landeshauptmann, in zweiter Instanz das Bundeskanzleramt zuständig sei. Eine Ersatzregelung hiefür gebe es nicht. Die Lehre befürworte weiterhin, das EisbEG für Enteignungsverfahren sinngemäß anzuwenden. Auch der Oberste Gerichtshof sei zu 3 Ob 1/19x davon ausgegangen, dass angesichts des Fehlens einer vom Gesetzgeber beabsichtigten, letztlich doch nicht geschaffenen Ersatzregelung für Art 13 VEG kein Zweifel am Vorliegen einer planwidrigen Unvollständigkeit des Regelwerks bestehe. Das EisbEG sei „Rückgrat des österreichischen Enteignungsrechts weshalb es auf der Hand liege, die entstandene Lücke im Weg der Analogie zu schließen und die verfahrensrechtliche Regelung des EisbEG anzuwenden. § 36 Abs 2 Oö‑StrG ordne an, dass über die Notwendigkeit, den Gegenstand und den Umfang der Enteignung sowie die Kosten des Enteignungsverfahrens die Behörde unter sinngemäßer Anwendung des EisbEG zu entscheiden habe, wobei auf die Wirtschaftlichkeit der Bauausführung Bedacht zu nehmen sei. Die Anmerkung der Einleitung des Enteignungsverfahrens im Grundbuch werde in dieser Gesetzesbestimmung nicht geregelt. Dessen ungeachtet sei eine solche Anmerkung unter sinngemäßer Anwendung des § 13 EisbEG zulässig, zumal die im § 20 lit a GBG enthaltene Aufzählung der anzumerkenden persönlichen Verhältnisse bloß beispielhaft sei. Umstände, die im Gegenstand und Funktion einer der Anmerkung zugänglichen Tatsachen entsprechen, könnten im Analogieweg Gegenstand einer Anmerkung sein. Auch die Aufzählung in § 20 lit b GBG sei nicht taxativ. Eine Anmerkung könne dann als zulässig angesehen werden, wenn sie ihrer Art nach auf Dispositionsbeschränkungen hinweise oder ihre Zulassung wegen des Prinzips der Grundbuchswahrheit geboten sei. Dies sei hier der Fall, sodass die Anmerkung der Einleitung des Enteignungsentschädigungsverfahrens grundsätzlich im Sinn des § 20 lit b GBG zulässig sei.
[5] Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht unter Hinweis auf das Fehlen höchstgerichtlicher Judikatur zur Zulässigkeit der analogen Anwendung von § 13 EisbEG im Zusammenhang mit dem Oö‑StrG zu.
[6] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Liegenschaftseigentümerin, mit dem sie die Abweisung des Antrags auf Anmerkung anstrebt.
Rechtliche Beurteilung
[7] Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Er ist aber nicht berechtigt.
[8] 1. Der behauptete Nichtigkeitsgrund liegt nicht vor. Die Ausfertigung der Rekursentscheidung nennt – der Geschäftsverteilung des Rekursgerichts entsprechend – korrekt die drei Senatsmitglieder, allerdings wurde in der Urschrift – offenkundig irrtümlich – die Unterfertigungsstampiglie der Abteilung 15 (ohne Nennung des Richters) angefügt. Der Sitzungsvermerk entspricht den Vorgaben des § 120 Abs 5 Geo, enthält den Tag der Beratung, die Abteilungsnummer des Senats und die Namen der Senatsmitglieder. Er ist auch vom Vorsitzenden korrekt unterfertigt. Richtig ist, dass die den Parteien zugestellte Ausfertigung der Entscheidung eine falsche Unterfertigungsstampiglie (mit dem Namen eines Richters, der bei Beschlussfassung gar nicht mitwirkte) trägt. Diese Divergenzen zwischen der Urschrift und der Ausfertigung des Beschlusses sind durch Berichtigung der Ausfertigung zu beseitigen, die ohne Rücksicht darauf zulässig ist, ob die Abweichung für die Parteien offenkundig ist. Sie begründet weder eine Aktenwidrigkeit noch eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens oder eine Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0041530 [T2, T4]; RS0041601; 2 Ob 679/85).
[9] 2. Inhaltlich wendet sich die Revisionsrekurswerberin gegen die analoge Anwendung des § 13 EisbEG durch das Rekursgericht. Die hier verfügte grundbücherliche Anmerkung habe keine Grundlage im Gesetz und sei daher unzulässig. Dem ist nicht zu folgen.
[10] 2.1. Grundbücherliche Anmerkungen können zur Ersichtlichmachung persönlicher Verhältnisse (§ 20 lit a GBG) oder zur Begründung bestimmter nach den Vorschriften dieses oder eines anderen Gesetzes damit verbundenen Rechtswirkungen eingetragen werden (§ 20 lit b GBG). Anmerkungen nach § 20 lit b GBG bedürfen einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage (RS0060628; RS0060679). Anmerkungen, die in keinem Gesetz vorgesehen sind und deren Wirkungen auch gesetzlich nicht geregelt sind, sind unzulässig (5 Ob 10/09w mwN; 5 Ob 56/17x mwN).
[11] 2.2. § 13 Abs 1 EisbEG bildet nach der – insoweit nicht in Zweifel gezogenen – Auffassung des Rekursgerichts eine ausreichende gesetzliche Grundlage für eine Anmerkung im Sinn des § 20 lit b GBG jedenfalls dann, wenn auf das Enteignungsverfahren die Bestimmungen des EisbEG anzuwenden sind. Nach § 13 Abs 1 EisbEG hat die Behörde die Einleitung des Verfahrens dem zuständigen Grundbuchsgericht anzuzeigen. Das Grundbuchsgericht hat die Einleitung des Verfahrens im Grundbuch anzumerken. Diese Anmerkung hat zur Folge, dass der Enteignungsbescheid gegenüber jeder Person wirkt, zu deren Gunsten im Rang nach der Anmerkung ein bücherliches Recht eingetragen wird. Die Revisionsrekurswerberin meint allerdings, § 36 des Oö‑StrG regle das Enteignungsverfahren abschließend und sehe keine derartige Anmerkung vor. Diese Auffassung ist nicht zu teilen.
[12] 2.3. § 36 Abs 1 Oö‑StrG ordnet an, dass die antragstellende Straßenverwaltung unter Vorlage näher bezeichneter Urkunden bei der Behörde um Enteignung anzusuchen und dabei glaubhaft zu machen hat, dass eine privatrechtliche Einigung mit dem Grundeigentümer nicht erzielt werden konnte. § 36 Abs 2 Oö‑StrG sieht vor, dass über die Notwendigkeit, den Gegenstand und den Umfang der Enteignung sowie die Kosten des Enteignungsverfahrens die Behörde unter sinngemäßer Anwendung des EisbEG entscheidet, wobei auch auf die Wirtschaftlichkeit der Bauausführung Bedacht zu nehmen ist. § 36 Abs 3 Oö‑StrG bezieht sich auf den Fall, dass bei Enteignungen nur eines Teils eines Grundstücks nach Enteignung verbleibende Grundstücksreste nicht mehr zweckmäßig nutzbar sind, weshalb diesfalls auf Antrag des Grundeigentümers auch die Grundstücksreste miteinzulösen sind. § 36 Abs 4 und 5 Oö‑StrG betreffen die Enteignungsentschädigung und deren Anfechtung auf den Zivilrechtsweg. Die Bestimmungen sehen für das gerichtliche Verfahren zur Ermittlung der Entschädigung die sinngemäße Anwendung des EisbEG vor. Nach § 36 Abs 6 Oö‑StrG kann der Vollzug des rechtskräftigen Enteignungsbescheids nach Auszahlung oder gerichtlichem Erlag der Entschädigung bzw Sicherheitsleistung nicht gehindert werden.
[13] 2.4. Im Revisionsrekursverfahren ist nun strittig, ob aus diesen Bestimmungen (allenfalls unter Berücksichtigung des 2006 außer Kraft getretenen Art 13 VEG) die von den Vorinstanzen vorausgesetzte sinngemäße/analoge Anwendung von § 13 Abs 1 EisbEG abgeleitet werden kann. Dies bedingt zunächst eine Gesetzesauslegung von § 36 Oö‑StrG.
[14] 2.5. Am Anfang jeder Gesetzesauslegung steht die wörtliche (sprachliche, grammatikalische) Auslegung, die nach dem Wortsinn der Norm und innerhalb des durch den äußerst möglichen Wortsinn abgesteckten Rahmens nach der Bedeutung eines Ausdrucks im allgemeinen Sprachgebrauch oder dem des Gesetzgebers und in seinem Zusammenhang innerhalb der Regelung fragt (RS0008896 [T4]; RS0008895). Die Gesetzesauslegung darf aber bei der Wortinterpretation nicht stehen bleiben. Der Sinn einer Bestimmung ist unter Bedachtnahme auf deren Zweck zu erfassen (objektiv‑teleologische Interpretation). Die gesetzgeberische Regelung und die darin zum Ausdruck kommenden Wertmaßstäbe sind selbstständig weiter und zu Ende zu denken (RS0008836 [T4]; RS0008788 [T3]). Der Zusammenhang der auszulegenden Worte und Sätze mit anderen Worten und Sätzen der betreffenden Gesamtregelung und ihre systematische Stellung sind zu berücksichtigen (RS0008787). Ein kundgemachtes Gesetz ist aus sich selbst auszulegen. Andere Erkenntnisquellen über die Absicht des Gesetzgebers sind erst dann heranzuziehen, wenn die Ausdrucksweise des Gesetzgebers zweifelhaft ist (RS0008806).
[15] 2.6. Unter Anwendung dieser Kriterien ist zu berücksichtigen, dass § 36 Oö‑StrG schon nach seiner Überschrift das Enteignungsverfahren an sich regelt. Dessen Absatz zwei ordnet dann – in Bezug auf einzelne dort genannte Themen des Enteignungsverfahrens (nämlich die Notwendigkeit, den Gegenstand, den Umfang der Enteignung auch die Kosten des Enteignungsverfahrens) sowie die sinngemäße Anwendung des EisbEG an. In logischer und systematischer Hinsicht ist dies dahin auszulegen, dass diese Bestimmung nicht nur festlegt, was Gegenstand des Behördenverfahrens ist, sondern auch nach welchen Verfahrensbestimmungen die Behörde zu entscheiden hat, nämlich unter analoger Anwendung des EisbEG. Anders etwa als § 11 Abs 3 Nö‑StrG (der eben gerade keinen Verweis auf die Bestimmung des EisbEG in Bezug auf das Enteignungsverfahren enthält) ist hier daher von einem Verweis auf dessen Verfahrensbestimmungen, somit §§ 11 ff EisbEG auszugehen. Abgesehen von § 36 Abs 1 Oö‑StrG, der die Antragstellung regelt, kennt dieses Gesetz nämlich keine Regeln, wie die Verwaltungsbehörde das eigentliche Enteignungsverfahren durchführen soll. Dies hat nach der Anordnung des Landesgesetzgebers vielmehr in sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen des EisbEG zu geschehen. Dass das Verfahren nach §§ 11 ff EisbEG einen weitgehend identen Verfahrensgegenstand hat wie ein Enteignungsverfahren nach dem Oö‑StrG, kann nicht ernsthaft bezweifelt werden. Damit ist davon auszugehen, dass § 36 Abs 2 Oö‑StrG die sinngemäße Anwendung der Verfahrensbestimmungen des EisbEG im verwaltungsbehördlichen Enteignungsverfahren nach dem Oö‑StrG anordnet, somit auch die Anwendung von § 13 Abs 1 EisbEG. Auf die (vom Rekursgericht mit beachtlichen Argumenten bejahte) planwidrige Gesetzeslücke nach Aufhebung von Art 13 VEG kommt es daher nicht an.
[16] 2.7. Bei sinngemäßer Anwendung von § 13 Abs 1 EisbEG hat die Behörde die Einleitung des Verfahrens dem zuständigen Grundbuchsgericht anzuzeigen, dieses hat die Einleitung des Verfahrens im Grundbuch anzumerken. Die mit einer derartigen Anmerkung nach § 13 Abs 1 EisbEG einhergehenden Rechtswirkungen (insb die Wirksamkeit des Enteignungsbescheids gegenüber jeder Person, zu deren Gunsten im Rang nach der Anmerkung ein bücherliches Recht eingetragen wird), ist aus Publizitätsgründen auch im Enteignungsverfahren nach dem Oö‑StrG nicht nur zweckmäßig, sondern geboten. Diese – im Weg des Verweises analog anzuwendende – Gesetzesbestimmung, die die Anmerkung der Einleitung des Enteignungsverfahrens ausdrücklich anordnet, reicht aus, um den Anforderungen des § 20 lit b GBG zu entsprechen (RS0060679 [T2]; vgl auch RS0060628).
[17] 3. Damit konnte dem Revisionsrekurs kein Erfolg beschieden sein.
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