OGH 9ObA83/21b

OGH9ObA83/21b15.12.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Hon.‑Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Prof. Dr. Klaus Mayr (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei DI (FH) D*, vertreten durch Dr. Kurt Fassl und Mag. Alexander Haase, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei W* GmbH, *, vertreten durch Dr. Florian Leitinger, Rechtsanwalt in Weiz, wegen Feststellung (Streitwert 36.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 4. Mai 2021, GZ 6 Ra 4/21m‑24, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 28. Oktober 2020, GZ 32 Cga 100/20t‑18, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:009OBA00083.21B.1215.000

 

Spruch:

Die Revision wirdzurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.197,80 EUR (darin 366,30 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin war ab 2. 3. 2020 bei der Beklagten als Grafikdesignerin beschäftigt. Die Beklagte nahm ab 1. 4. 2020 bis 30. 9. 2020 für einen Teil der Arbeitnehmer „Corona‑Kurzarbeit“ in Anspruch. Auch mit der Klägerin wurde ab 1. 4. 2020 Kurzarbeit vereinbart.

[2] Die zugrunde liegende Sozialpartnervereinbarung‑Einzelvereinbarung (idF Kurzarbeitsvereinbarung) beinhaltet auszugsweise folgende Regelungen:

2. Aufrechterhaltung des Beschäftigtenstandes

a) Während der Kurzarbeit (Behaltepflicht)

Der/die Arbeitgeber/In ist verpflichtet, jenen Beschäftigtenstand im Betrieb aufrecht zu erhalten, der unmittelbar vor Beginn des Kurzarbeitszeitraums ... bestanden hat, sofern nicht bereits vorher festgelegt Änderungen, welche gemäß lit c zulässig sind, berücksichtigt werden (Behaltepflicht). (...)

b) Nach der Kurzarbeit (Behaltefrist):

Die Dauer der Behaltepflicht nach Ende der Kurzarbeit beträgt einen Monat. (...)

c) Gemeinsame Bestimmungen:

Arbeitgeberkündigungen dürfen frühestens nach Ablauf der Behaltefrist ausgesprochen werden. Davon ausgenommen sind jedoch Kündigungen in den unten angeführten Fällen.

Folgende Beendigungen während der Kurzarbeit bzw innerhalb der Behaltefrist lösen keine Auffüllverpflichtung aus:

...

Folgende Beendigungen während der Kurzarbeit bzw innerhalb der Behaltefrist führen zu einer Auffüllverpflichtung:

Kündigung durch den/die Arbeitgeber/In aus personenbezogenen Gründen, wenn die Kündigung während der Kurzarbeit oder vor Ablauf der Behaltefrist ausgesprochen wird,

...“

[3] Mit Schreiben vom 27. 7. 2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 15. 9. 2020 auf.

[4] Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis über den 15. 9. 2020 hinaus aufrecht sei. Die Kurzarbeitsvereinbarung enthalte einen individuellen Kündigungsschutz. Entgegen den Vorgaben der Sozialpartnervereinbarung ausgesprochene Kündigungen seien nichtig und rechtsunwirksam. Da die Kündigung frühestens einen Monat nach Ablauf der Behaltefrist (somit erst ab 31. 10. 2020) ausgesprochen hätte werden dürfen, habe sie das Arbeitsverhältnis nicht beendet. Personenbezogene Gründe lägen nicht vor.

[5] Die Beklagte bestreitet. Die Kündigung stehe im Einklang mit den Bestimmungen der Sozialpartnervereinbarung und der Bundesrichtlinie Kurzarbeit und sei aus (näher vorgebrachten) personenbezogenen Gründen erfolgt. Der Auffüllverpflichtung sei durch Einstellung einer neuen Arbeitnehmerin entsprochen worden.

[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Eine am Wortlaut und Zweck der Sozialpartnervereinbarung orientierte Auslegung ergebe, dass den einzelnen Arbeitnehmern kein subjektiver Anspruch auf Bestand des Arbeitsverhältnisses eingeräumt werden sollte.

[8] Die Revision wurde vom Berufungsgericht mit der Begründung als zulässig erachtet, dass keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage besteht, ob aus der „Corona‑Kurzarbeit Sozialpartnervereinbarung/Einzelvereinbarung“ für den einzelnen Arbeitnehmer ein individueller Kündigungsschutz mit der Rechtsfolge der Nichtigkeit während der Kurzarbeit ausgesprochener Kündigungen abzuleiten sei.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision der Klägerin ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig:

[10] 1. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (RS0112921, RS0112769). Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt weg, wenn diese durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits vorher geklärt wurde (RS0112921 [T5]). Dies ist hier der Fall:

[11] 2.1 Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung vom 22. 10. 2021, 8 ObA 48/21y, zu der vom Berufungsgericht für erheblich erachteten Frage mit eingehender Begründung Stellung genommen. Zusammenfassend wurde die Frage, ob die Kündigungsbeschränkungen in einer vergleichbaren Kurzarbeitsvereinbarung bloß den Beschäftigtenstand in den Unternehmen schützen sollen oder auch dem Arbeitnehmer einen individuellen Kündigungsschutz gewähren sollen, dahin gelöst, dass sich aus den Bestimmungen des § 37b AMSG in Verbindung mit den maßgeblichen Regelungen der Kurzarbeitsvereinbarungen keine Unwirksamkeit einer während der Kurzarbeit oder der anschließenden Behaltefrist ausgesprochenen Kündigung ergibt, sondern die Förderung im Rahmen einer allfälligen Kündigungsanfechtung bei der Beurteilung des Vorliegens „betrieblicher Erfordernisse“ für die Kündigung (§ 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG) zu berücksichtigen ist. Ebensowenig resultiere daraus eine Änderung der Kündigungsfristen und ‑termine.

[12] 2.2 In der Entscheidung vom 29. 11. 2021, 8 ObA 50/21t, hat der Oberste Gerichtshof an die Ausführungen in der Entscheidung 8 ObA 48/21y anknüpfend weiters zu der Frage Stellung genommen, ob es einen Unterschied mache, wenn der (die) Arbeitnehmer/In (Kläger/In) die Sozialpartnervereinbarung zur Kurzarbeit – wie auch im vorliegend zu beurteilenden Fall – (mit‑)unterfertigt hat und ist zu dem Ergebnis gelangt, aus der Formulierung, nach der Arbeitgeberkündigungen frühestens nach Ablauf der Behaltefrist ausgesprochen werden dürfen,sei auch kein individuell vereinbarter Kündigungsschutz abzuleiten.

[13] Auf die Begründung dieser Entscheidung kann ebenfalls verwiesen werden.

[14] 3.1 Dem setzt die Revisionswerberin in ihrem Rechtsmittel keine neuen Argumente entgegen:

[15] Wie sich bereits aus der Entscheidung 8 ObA 48/21y ergibt, ist wesentlicher Zweck der auf der Sozialpartnervereinbarung gegründeten Corona‑Kurzarbeitsvereinbarungen, die Voraussetzungen für die Erlangung von Kurzarbeitsbeihilfen gemäß § 37b Abs 2 AMSG zu schaffen. Alle Vereinbarungen zur Umsetzung (durch Betriebsvereinbarung oder Einzelvereinbarung) sind daher im Lichte der Erfordernisse des Gesetzes zu lesen, dass der „Beschäftigtenstand“ sichergestellt sein muss. Das Gesetz stellt explizit auf die Zahl der insgesamt Beschäftigten ab, ohne einen individuellen Kündigungsschutz zu statuieren. Einen über die Zwecke der Kurzarbeitsbeihilfe hinausgehenden Eingriff in das System des bestehenden Beendigungsschutzes (§ 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG) hat der Gesetzgeber offenbar nicht für geeignet erachtet.

[16] 3.2 Soweit die Revisionswerberin darauf verweist, dass es sich nach der Kurzarbeitsvereinbarung ausdrücklich um einen Vertrag zu Gunsten Dritter (§ 881 ABGB) handle und sie daraus für sich als begünstigte Dritte unmittelbare Rechte (ua das Recht auf Erhalt ihres Arbeitsplatzes) ableiten will, wurde auch darauf bereits in der Entscheidung 8 ObA 50/21t eingegangen.

[17] 4. Die Beurteilung der Vorinstanzen, mangels eines individuellen Kündigungsschutzes sei das auf Feststellung des aufrechten Bestands des Arbeitsverhältnisses gerichtete Klagebegehren abzuweisen, entspricht damit höchstgerichtlicher Rechtsprechung.

[18] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte konnte bei Einbringung der Revisionsbeantwortung die Unzulässigkeit der Revision noch nicht erkennen, weil die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs 8 ObA 48/21y und 8 ObA 50/21t zu dem Zeitpunkt noch nicht vorlagen. Der fehlende Hinweis auf die Unzulässigkeit der Revision schadet daher nicht (RS0123861).

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