OGH 10ObS178/21f

OGH10ObS178/21f14.12.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Bernhard Kirchl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Gabriele Svirak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch RAe Gruber Partnerschafts KG in Wien, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86, vertreten durch Dr. Eva‑Maria Bachmann‑Lang und Dr. Christian Bachmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 27. Juli 2021, GZ 7 Rs 39/21 p‑14, mit dem das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 28. Jänner 2021, GZ 27 Cgs 244/20y‑10, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00178.21F.1214.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 501,91 EUR (darin enthalten 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger bezog für seine Tochter von 1. 9. bis 31. 10. 2013 Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens in Höhe von 4.026 EUR. In diesem Zeitraum ging er keiner Erwerbstätigkeit nach. Im Jahr 2013 war er lediglich in den Monaten Jänner bis August sowie November und Dezember selbständig erwerbstätig.

[2] Mit Bescheid vom 21. 10. 2020 widerrief die beklagte Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen die Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens für den Zeitraum von 1. 9. bis 31. 10. 2013 und verpflichtete den Kläger zur Rückzahlung von 4.026 EUR, weil die maßgebliche Zuverdienstgrenze für das Jahr 2013 überschritten worden sei.

[3] Der Kläger begehrt mit seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Klage die Feststellung, dass die Pflicht zum Rückersatz nicht bestehe, weil er in den beiden relevanten Monaten die Zuverdienstgrenze nicht überschritten habe.

[4] Die Beklagte wandte die Überschreitung der Zuverdienstgrenze für das Jahr 2013 ein. Der Einkommensnachweis sei außerhalb der zweimonatigen Frist des § 50 Abs 24 KBGG vorgelegt worden und daher nicht zu berücksichtigen.

[5] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und ließ die Revision zu, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob bei Überschreitung der gemäß § 50 Abs 24 KBGG vom Versicherungsträger gesetzten Frist ein Zuordnungsnachweis noch im Gerichtsverfahren erbracht werden könne.

Rechtliche Beurteilung

[7] Diebeantwortete – Revision der Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch unzulässig. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0112769 [T9]; RS0112921). Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt daher weg, wenn diese Rechtsfrage durch eine andere Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits vorher geklärt wurde.

[8] 1.1 Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 10 ObS 119/21d vom 19. 10. 2021 die auch hier wesentlichen Rechtsfragen mit umfassender Begründung beantwortet. Daraus ist Folgendes hervorzuheben:

[9] 1.2 § 50 Abs 24 KBGG richtet sich schon nach seinem Wortlaut an die im Verwaltungsverfahren tätig werdenden Krankenversicherungsträger, die im Rahmen dieses Verfahrens aufgrund einer Verständigung der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse (nunmehr Österreichische Gesundheitskasse) Kenntnis davon erlangen, dass die Zuverdienstgrenze überschritten wird. Das durch Klage eines Versicherten angerufene Arbeits‑ und Sozialgericht wird im Rahmen der sukzessiven Kompetenz tätig und hat über den Anspruch eigenständig zu entscheiden. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist daher auch nach Inkrafttreten des § 50 Abs 24 KBGG die Frage, ob der von der Beklagten geltend gemachte Rückforderungsanspruch wegen Überschreitens der Zuverdienstgrenze – bezogen auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz – zu Recht besteht. Die Rechtsansicht der Beklagten, das sozialgerichtliche Verfahren habe sich auf die Frage der Versäumung der Zweimonatsfrist im Verwaltungsverfahren zu beschränken, liefe auf eine verfassungsrechtlich unzulässige partielle Bindung der Gerichte an Teilergebnisse des vorangegangenen Verwaltungsverfahrens hinaus (Art 94 Abs 1 B‑VG; ein Fall des Art 94 Abs 2 B‑VG liegt nicht vor).

[10] 1.3 Nach § 31 Abs 2 3. Fall KBGG besteht eine Verpflichtung zum Ersatz der empfangenen Leistung auch dann, wenn die zur Ermittlung des Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte (§§ 8, 8b KBGG) erforderliche Mitwirkung trotz Aufforderung innerhalb angemessener Frist verweigert wird. Die Rückforderung ist nach dieser Bestimmung auf jene Fälle beschränkt, in denen der Krankenversicherungsträger ohne die entsprechende Mitwirkung zur Feststellung des maßgeblichen Gesamtbetrags der Einkünfte nicht in der Lage ist. Ist der Krankenversicherungsträger vom Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte bereits in Kenntnis, weil ihm dieser Betrag durch die Abgabenbehörde mitgeteilt worden war, so folgt aus dem Umstand, dass ein Elternteil von der Wahlmöglichkeit der Abgrenzung seiner Einkünfte (aus selbständiger Erwerbstätigkeit, § 8 Abs 1 Z 2 KBGG) keinen Gebrauch macht, ohne gegenüber dem Krankenversicherungsträger die dafür gegebenen Gründe offen zu legen, keine Verletzung einer verfahrensrechtlichen Mitwirkungspflicht, die den Krankenversicherungsträger an der Feststellung des maßgeblichen Gesamtbetrags der Einkünfte hindern könnte und aus diesem Grund zur Rückforderung der empfangenen Leistung führt.

[11] 2.1 Die Entscheidung des Berufungsgerichts entspricht diesen Grundsätzen:

[12] 2.2 Für die Ermittlung der Zuverdienstgrenze sind nach ständiger Rechtsprechung nur jene Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit iSd § 8 Abs 1 Z 2 KBGG maßgeblich, die aus einer während des Anspruchszeitraums ausgeübten Tätigkeit stammen (10 ObS 144/19b SSV‑NF 33/77; RIS‑Justiz RS0132947). Das Zuflussprinzip gilt uneingeschränkt nur für Einkünfte aus nichtselbständiger Erwerbstätigkeit iSd § 8 Abs 1 Z 1 KBGG (10 ObS 31/20m mwN; RS0132947 [T1]).

[13] 2.3 Das Berufungsgericht hat begründet dargelegt, dass der Kläger (spätestens) im sozialgerichtlichen Verfahren seine Einkünfte für den hier relevanten Zeitraum klar abgegrenzt hat. Die Beklagte hat die inhaltliche Richtigkeit der vorgelegten Urkunden im Verfahren erster Instanz nicht substantiiert bestritten und in ihrer Berufung die Feststellung des Erstgerichts, dass der Kläger im relevanten Zeitraum keine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, nicht bekämpft.

[14] 2.4 Nach § 31 Abs 2 3. Fall KBGG besteht eine Verpflichtung zum Ersatz der empfangenen Leistung auch dann, wenn die zur Ermittlung des Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte (§§ 8, 8b KBGG) erforderliche Mitwirkung trotz Aufforderung innerhalb angemessener Frist verweigert wird.

[15] 2.5 Die Beklagte macht geltend, dass der Kläger seine Mitwirkungspflicht verletzt hätte. Sie beruft sich (insbesondere) auf ihr Schreiben vom 27. 2. 2020 – übernommen am 2. 3. 2020 – mit dem Hinweis auf die Möglichkeit, binnen 2 Monaten nach Zustellung des Schreibens die Einkünfte der relevanten Anspruchsmonate abzugrenzen. Dieses Schreiben enthält auch den Hinweis auf die der Beklagten vom Finanzamt übermittelten selbständigen Jahreseinkünfte.

[16] Aufgrund der Kenntnis der Beklagten vom Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte des Klägers kommt nach den in 10 ObS 119/21d dargelegten Grundsätzen eine Verletzung der Mitwirkungspflicht gemäß § 31 Abs 2 3. Fall KBGG, die eine Rückforderung der Leistung durch die Beklagte rechtfertigen könnte, nicht in Frage (10 ObS 124/21i).

[17] 3. Mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision zurückzuweisen.

[18] 4. Die Kostenentscheidung zugunsten der Klägerin gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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