OGH 13Os46/21w

OGH13Os46/21w29.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. September 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Vizthum in der Finanzstrafsache gegen * S* und einen anderen Angeklagten wegen Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten * G* sowie die Berufung der Finanzstrafbehörde gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirchals Schöffengericht vom 23. September 2020, GZ 16 Hv 36/18b‑109, ferner über die Beschwerde des Angeklagten * G* gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Erteilung einer Weisung, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132953

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen, demzufolge auch in den Strafaussprüchen, sowie der Beschluss auf Erteilung einer Weisung aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Feldkirch verwiesen.

Mit ihren Rechtsmitteln werden der Angeklagte * G* und die Finanzstrafbehörde auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Freispruch enthält, wurden * S* und * G* jeweils mehrerer Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG (A), Letzterer zudem nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG (B I 1) und nach § 33 Abs 2 lit b FinStrG (B I 2) sowie mehrerer Vergehen des betrügerischen Anmeldens zur Sozialversicherung oder Bauarbeiter‑Urlaubs‑ und Abfertigungskasse nach § 153d Abs 1 StGB (B II), schuldig erkannt.

[2] Danach haben als Geschäftsführer und abgabenrechtlich Verantwortliche der U* Ltd

(A) * S* und * G* im einverständlichen Zusammenwirken (§ 11 erster Fall FinStrG) im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel vorsätzlich unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten durch Unterlassen der auf jeden der Kalendermonate April bis August 2012 bezogenen Abgabenabfuhr bis zum 20. des dem Entstehen der Abgabenschuld folgenden Kalendermonats eine Verkürzung an Glücksspielabgabe bewirkt, und zwar um jeweils 25.000 Euro (insgesamt somit 125.000 Euro), weiters

(B) * G*

(I) im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts Feldkirch vorsätzlich unter Verletzung der Verpflichtung

(1) zur Abgabe von § 21 UStG entsprechenden Voranmeldungen eine Verkürzung an Umsatzsteuer, und zwar um (im Urteil nach Entrichtungszeiträumen aufgegliedert) insgesamt 75.255,12 Euro, und

(2) zur Führung von § 76 EStG sowie dazu ergangenen Verordnungen entsprechenden Lohnkonten eine Verkürzung an Lohnsteuer, Dienstgeberbeiträgen zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen und Zuschlägen zu den Dienstgeberbeiträgen, und zwar um (im Urteil nach Entrichtungszeiträumen und Abgabenarten aufgegliedert) insgesamt 245.360,24 Euro,

für jeden der Kalendermonate April bis August 2012 bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten, ferner

(II) vom April bis zum August 2012 die Anmeldung mehrerer Personen zur Sozialversicherung in dem Wissen, dass die in Folge der Anmeldung auflaufenden Sozialversicherungsbeiträge nicht vollständig geleistet werden sollten, in Auftrag gegeben, wobei die aufgelaufenen Sozialversicherungsbeiträge von zusammen 9.683,54 Euro nicht geleistet wurden.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 1, 4, 5 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten G*.

[4] Aus ihrem Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, dass dem angefochtenen Urteil nicht geltend gemachte Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO anhaftet, die zum Nachteil der Angeklagten wirkt und daher von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

[5] Die Strafbarkeit eines Finanzvergehens erlischt durch Verjährung (§ 31 Abs 1 erster Satz FinStrG). Die Verjährungsfrist für Finanzvergehen beträgt – soweit hier von Interesse – fünf Jahre (§ 31 Abs 2 FinStrG) und beginnt, wenn zum Tatbestand ein Erfolg gehört, mit dessen Eintritt zu laufen (§ 31 Abs 1 dritter Satz FinStrG).

[6] Zur Erfüllung der Tatbestände der Abgabenhinterziehung (§ 33 Abs 1 oder 2 FinStrG) muss eine Abgabenverkürzung bewirkt werden, somit ein – von der Tathandlung trennbarer – Erfolg eintreten (Lässig in WK² FinStrG § 31 Rz 4).

[7] Bei Abgaben, die selbst zu berechnen sind, ist die Abgabenverkürzung bewirkt, wenn sie bis zum Ablauf der Leistungsfrist (ganz oder teilweise) nicht abgeführt wurden (§ 33 Abs 3 lit b FinStrG), wobei sich die jeweilige Leistungsfrist aus den Abgabenvorschriften ergibt (Lässig in WK² FinStrG § 33 Rz 38).

[8] Bei der Glücksspielabgabe (A), den Umsatzsteuervorauszahlungen (B I 1) sowie der Lohnsteuer, den Dienstgeberbeiträgen zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen und den Zuschlägen zum Dienstgeberbeitrag (B I 2) handelt es sich jeweils um selbst zu berechnende Abgaben (§ 59 Abs 3 erster Satz GSpG, § 21 Abs 1 erster Satz UStG, § 78 Abs 1 erster Satz EStG, § 41 Abs 3 erster Satz FLAG, § 122 Abs 8 zweiter Satz WKG).

[9] Für sie gelten folgende Leistungsfristen: Glücksspielabgaben (§ 57 Abs 3 GSpG: Für Ausspielungen mit Glücksspielautomaten) sind bis zum 20. des dem Entstehen der Abgabenschuld folgenden Kalendermonats zu entrichten (§ 59 Abs 3 GSpG). Die Umsatzsteuer‑vorauszahlung ist bis zum 15. des auf einen Kalendermonat (Voranmeldungszeitraum) zweitfolgenden Kalendermonats zu leisten (§ 21 Abs 1 UStG). Bis zum 15. des nachfolgenden Monats hat der Arbeitgeber die in einem Kalendermonat einzubehaltende Lohnsteuer (§ 79 Abs 1 EStG), den Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen für einen Monat (§ 43 Abs 1 FLAG) und den monatlichen Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag (§ 122 Abs 8 vorletzter Satz WKG iVm § 43 Abs 1 FLAG) abzuführen (zum Ganzen Lässig in WK² FinStrG § 33 Rz 38 f).

[10] Im Fall der Nichtentrichtung einer der genannten Abgaben tritt der – in der dadurch bewirkten (§ 33 Abs 3 lit b FinStrG) Abgabenverkürzung gelegene – tatbestandsmäßige (§ 33 Abs 1 oder 2 FinStrG) Erfolg demnach mit Ablauf der betreffenden Leistungsfrist ein.

[11] Bei Tatmehrheit verjähren die einzelnen Taten grundsätzlich jeweils für sich (RIS‑Justiz RS0128998). Selbständige Tat (§ 21 Abs 1 FinStrG) ist hier das Unterlassen der auf einen bestimmten Kalendermonat bezogenen Abfuhr der jeweiligen Abgabe unter Verletzung der korrespondierenden Anzeige- oder Anmeldungspflicht (RIS‑Justiz RS0130303, RS0124712, RS0118311).

[12] § 31 FinStrG normiert in Abs 3 eine (Ablauf‑)Hemmung durch später begangene vorsätzliche Finanzvergehen bis zum Ablauf der Verjährungsfrist auch für die letzte dieser Taten, in Abs 4 lit b – betreffend (wie hier) gerichtlich zu ahndende Finanzvergehen – eine (Fortlauf‑)Hemmung für die Zeit, während der wegen der Taten gegen den Täter ein Strafverfahren bei der Staatsanwaltschaft oder bei Gericht geführt wird (RIS‑Justiz RS0132861; Lässig in WK² FinStrG § 31 Rz 7 und 11).

[13] Nach § 31 Abs 1 letzter Satz FinStrG beginnt die Verjährungsfrist nie früher zu laufen als jene für die Festsetzung der Abgabe, gegen die sich die Straftat richtet, womit eine (durch abgabenrechtliche Vorschriften determinierte) Anlaufhemmung normiert wird. Dies ist als generelle – also auf alle Abgaben bezogene – Anordnung zu verstehen, bei der Berechnung der Frist zur finanzstrafrechtlichen Verfolgungsverjährung auf die Bestimmungen des § 208 BAO Bedacht zu nehmen (Lässig in WK² FinStrG § 31 Rz 5 mwN).

[14] Nach § 208 Abs 1 lit a BAO beginnt die Verjährung bei den in Rede stehenden Abgaben (§ 207 Abs 2 BAO) mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist. Der Abgabenanspruch entsteht, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Abgabepflicht knüpft (§ 4 Abs 1 BAO).

[15] Auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen sind alle hier gegenständlichen Abgabenansprüche im Jahr 2012 entstanden (§ 59 Abs 1 Z 2 GSpG, § 19 Abs 2 Z 1 UStG, § 78 Abs 1 EStG, § 43 Abs 2 FLAG iVm § 78 Abs 1 EStG sowie § 122 Abs 8 vorletzter Satz WKG iVm § 43 FLAG und § 78 Abs 1 EStG). Hiervon ausgehend wurde der Anlauf der ansonsten – mit Blick auf § 31 Abs 3 FinStrG – hinsichtlich S* mit 20. September 2012 (A) und hinsichtlich G* mit 15. Oktober 2012 (B I 1) in Gang gesetzten Verjährungsfrist jeweils bis zum Ablauf des Jahres 2012 gehemmt.

[16] Tatumstände, die den Eintritt der Verjährung (jeweils) mit 1. Jänner 2018 gehindert hätten, hat das Erstgericht nicht festgestellt. Seit wann das Strafverfahren gegen den jeweiligen Angeklagten wegen der vom jeweiligen Schuldspruch umfassten Finanzvergehen bei der Staatsanwaltschaft (oder bei Gericht) im Sinn des § 31 Abs 4 lit b FinStrG „geführt“ (vgl Lässig in WK2 FinStrG § 31 Rz 11) wurde, ist dem Ersturteil nicht zu entnehmen.

[17] Auch in Bezug auf jene Taten, die vom Schuldspruch des G* nach dem StGB (B II) umfasst sind, enthält das Ersturteil keine Feststellung von Tatumständen, die den Eintritt der Verjährung der Strafbarkeit (§ 57 StGB) bereits vor der Urteilsfällung in erster Instanz gehindert (§ 58 StGB) hätten.

[18] Nach dem Urteilssachverhalt waren die Dienstnehmer * S* vom 7. März 2012 bis zum 2. August 2012, * G* vom 7. März 2012 bis zum 7. September 2012 und * K* vom 1. Juni 2012 bis zum 30. Juni 2012 sowie vom 1. Juli 2012 bis zum 7. September 2012 über Auftrag des G* bei der Tiroler Gebietskrankenkasse angemeldet (US 14 f). Da die nicht vollständige Leistung der Sozialversicherungsbeiträge kein zum Tatbild des § 153d Abs 1 StGB gehörender Erfolg (vgl § 58 Abs 1 StGB), sondern objektive Bedingung der Strafbarkeit ist (Kirchbacher/Sadoghi in WK² StGB § 153d Rz 23/1 f und 25; RIS‑Justiz RS0131527), begann die diesbezügliche Verjährungsfrist, sobald die mit Strafe bedrohte Tätigkeit abgeschlossen war (§ 57 Abs 2 StGB). An welchen Tagen G* die Anmeldungen bei der Sozialversicherung in Auftrag gab, ist dem Ersturteil nicht zu entnehmen. Ausgehend davon, dass – mit Blick auf die zeitlich letzte Anmeldung des K* am 1. Juli 2012 – die letzte (vgl § 58 Abs 2 StGB) dieser gleichartigen Taten spätestens an diesem Tag begangen wurde, hätte die – bei einer Strafdrohung bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe (§ 153d Abs 1 StGB) maßgebliche – Verjährungsfrist von fünf Jahren (§ 57 Abs 3 StGB) auf der Basis des Urteilssachverhalts (isoliert betrachtet) mit Ablauf des 1. Juli 2017 geendet (§ 57 Abs 2 StGB; zur Fristberechnung siehe § 68 StGB). Unter gebotener (13 Os 35/15v) Berücksichtigung der während dieser Frist begangenen Finanzvergehen (zuletzt B I 1), soweit sie auf der gleichen schädlichen Neigung (§ 71 StGB) beruhten, wäre die Verjährung dieser Taten demnach (ebenfalls) mit 1. Jänner 2018 eingetreten (§ 58 Abs 2 StGB).

[19] Machen aber fehlende Feststellungen – wie hier zu verjährungshemmenden Umständen (dazu RIS‑Justiz RS0091794 und RS0118545) – die (implizite rechtliche) Annahme der Beseitigung eines (nach dem Urteilssachverhalt gegebenen) Ausnahmesatzes (vorliegend Verjährung) unschlüssig, liegt ein Rechtsfehler mangels Feststellungen (hier Z 9 lit b) vor (RIS‑Justiz RS0122332 [T11]).

[20] Dies erfordert die Aufhebung des angefochtenen Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 285e, 290 Abs 1 zweiter Satz StPO).

[21] Mit ihren Rechtsmitteln waren der Angeklagte G* und die Finanzstrafbehörde auf diese Entscheidung zu verweisen.

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