OGH 9ObA45/21i

OGH9ObA45/21i28.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und Hon.‑Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Karl Schmid (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei * C*, vertreten durch Hon.‑Prof. Dr. Sieglinde Gahleitner, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei J* AG, *, vertreten durch Stapf Neuhauser Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Kündigungsanfechtung nach § 7f BEinstG (Streitwert 750 EUR sA), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Februar 2021, GZ 8 Ra 84/20m‑50, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 22. Juni 2020, GZ 15 Cga 60/17s‑44, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E133117

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das klagsabweisende Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 489,05 EUR (darin 81,51 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 335,64 EUR (darin 55,94 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Beklagte betreibt eine Süßwarenproduktion. Die am * 1988 geborene Klägerin war in diesem Betrieb seit 10. 9. 2007 als Süßwarenarbeiterin beschäftigt. Am 22. 3. 2017 sprach die Beklagte zum 23. 6. 2017 die Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus. Eine auf die Sozialwidrigkeit der Kündigung gestützte Klage wurde von der Klägerin zurückgezogen.

[2] Verfahrensgegenständlich ist das Begehren der Klägerin,die Kündigung gemäß § 7f BEinstG für rechtsunwirksam zu erklären, weil bei ihr zum Zeitpunkt der Kündigung eine Behinderung iSd § 3 BEinstG bestanden habe. Sie leide unter nicht vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigungen, die durch eine Wanderniere, ein chronisches Zervikalsyndrom und eine mikrozytäre Anämie verursacht seien und ihr die Teilnahme am Arbeitsleben erschwerten. Ihre Krankenstände seien jedenfalls im Zusammenhang mit diesen Funktionseinschränkungen gestanden. Die Beklagte habe keine geeigneten Maßnahmen gesetzt, um den Genesungsprozess der Klägerin nach ihrer Operation zu fördern. Der Kündigung liege zumindest eine mittelbare Diskriminierung wegen Behinderung zu Grunde, da die Beklagte undifferenziert auf vorhandene Krankenstandsstatistiken geblickt und damit die Kündigung begründet habe.

[3] Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, die Kündigungen mehrerer Arbeitnehmer seien betriebsbedingt erfolgt; die Klägerin sei eine der jüngsten Arbeitnehmer gewesen und leichter am Arbeitsmarkt vermittelbar. Vermehrte Krankenstände seien lediglich eines von zahlreichen Abwägungskriterien gewesen. Die Klägerin sei nicht aufgrund ihrer Wanderniere gekündigt worden. Die Beklagte sei auch nicht von einer wie immer gearteten Einschränkung oder Behinderung der Klägerin ausgegangen. „Krankheit“ und „Behinderung“ seien im Übrigen nicht gleichzusetzen. Die Berufung auf das BEinstG sei verfehlt.

[4] Nach dem (vom Berufungsgericht teilweise abändernd) festgestellten Sachverhalt arbeitete die Klägerin in der Verpackungsstation einer Produktionslinie (Fülltätigkeiten, Heben der fertigen Kartons [Hebelast von max 7 kg] auf Paletten, wofür ein Hubstapler zur Verfügung stand). Am 2. 7. 2015 wurde bei ihr eine Wanderniere diagnostiziert, die operativ fixiert werden sollte. Die für den 29. 12. 2015 geplante Operation wurde aufgrund der bei der Klägerin bestehenden Anämie auf den 8. 2. 2016 verschoben. Die Klägerin war von 8. 2. 2016 bis 14. 2. 2016 stationär aufgenommen und befand sich in der Folge bis einschließlich 26. 4. 2016 im Krankenstand. Im Zuge der Rückkehrgespräche teilte sie dem Abteilungsleiter mit, dass sie nicht schwer heben dürfe und legte dazu einen Arztbrief ihrer behandelnden Ärztin vom 21. 3. 2016 mit folgendem Inhalt vor: „[…] Therapievorschlag: in den nächsten 3 Monaten nicht über 10 kg heben [...]“. Der Abteilungsleiter versetzte die Klägerin auf einen Einzelarbeitsplatz in die Rollierstation jener Produktlinie, wo sie eine Kontrollfunktion mit leichten Arbeiten im Sitzen ausübte. Hebetätigkeiten fielen dort nicht an. Die Klägerin übte diese Kontrolltätigkeit nur einige Tage aus. Auf ihren ausdrücklichen Wunsch setzte sie der Abteilungsleiter wieder an ihrem alten Arbeitsplatz in der Verpackungsstation ein. Er teilte der Klägerin jedoch mit, dass sie sich bei auftretenden Problemen an ihn wenden solle und wies zudem den Schichtleiter an, sich regelmäßig nach ihrem Wohlergehen zu erkundigen. Die Klägerin legte dem Abteilungsleiter weiter einen Arztbrief ihrer Ärztin vom 30. 5. 2016 mit folgendem Inhalt vor: „[…] Therapievorschlag: wenn arbeitstechnisch möglich noch Vermeiden von Überkopfarbeiten und Bücken zum Heben im Stand für ca. 3 Monate […]“. Danach gab es bei der Klägerin keine weiteren Einschränkungen mehr. Seitens der behandelnden Ärztin gab es keinerlei Empfehlungen mehr, dass die Klägerin bestimmte Arbeitsvorgänge vermeiden sollte. Sowohl der Abteilungsleiter als auch der Schichtleiter erkundigten sich regelmäßig nach dem Wohlergehen der Klägerin und berücksichtigten bei der Einteilung der Klägerin stets die oben erwähnten Einschränkungen. Sie musste zu keiner Zeit Überkopfarbeiten durchführen, sich bücken zum Heben im Stand oder über 10 kg heben. Die Klägerin äußerte sich auch nach Vorlage der erwähnten Arztbriefe bei keinem ihrer Vorgesetzten dahin, dass sie Schmerzen aufgrund der Operation oder Probleme bei der Ausführung ihrer Arbeit habe bzw dass die erwähnten Einschränkungen nicht berücksichtigt werden.

[5] Die Krankenstände der Klägerin setzten sich ab 2014 wie folgt zusammen:

2014 4 Krankenstände, insgesamt 11 Tage,

2015 6 Krankenstände, insgesamt 26 Tage,

2016 3 Krankenstände, insgesamt 87 Tage,

2017 1 Krankenstand, insgesamt 13 Tage.

[6] Bei der Klägerin bestand seit 2009 und auch noch zum Kündigungszeitpunkt 2017 ein chronisches Zervikalsyndrom, wegen dem folgende Krankenstände erforderlich waren: 12. 5. bis 24. 5. 2009, 11. 2. bis 27. 2. 2015 und 13. 1. bis 15. 1. 2016. Davon ausgehend ist und war die Klägerin zum Kündigungszeitpunkt in der Lage, leichte, mittelschwere und fallweise schwere Arbeiten zu verrichten. Ausgeschlossen sind bei ihr Arbeiten bei ständiger Nässe/Kälte/Hitze sowie mehr als fallweise Überkopfarbeit. Der Grad der Funktionsbeeinträchtigung aufgrund des Zervikalsyndroms und der leichten Abnützungserscheinungen beträgt 10 bis 20 %. Bei Einhaltung des genannten Kalküls besteht keine Funktionsbeeinträchtigung der Klägerin, sodass die Teilhabe am Arbeitsleben gewährleistet ist.

[7] Seit 2009 und auch zum Kündigungszeitpunkt 22. 3. 2017 bestand bei der Klägerin weiter eine chronische Anämie, wie sie bei vielen Menschen vorliegt. Keiner der angeführten Krankenstände stand im Zusammenhang mit der Anämie der Klägerin. Diese Anämie äußert sich in Müdigkeit, eine weitere Funktionsbeeinträchtigung besteht daraus resultierend nicht. Die Klägerin war zum Kündigungszeitpunkt in der Lage, leichte und mittelschwere Arbeiten ohne weitere Einschränkungen durchzuführen. Der Grad der Funktionsbeeinträchtigung aufgrund der Anämie beträgt 10 %.

[8] Ab 8. 2. 2016 war die Nephroptose rechts („Wanderniere“) bereits operativ saniert. Bis Ende 2016 war seitens des operierenden Arztes eine Hebebeschränkung von maximal 10 kg ausgesprochen worden.

[9] Zum Kündigungszeitpunkt 22. 3. 2017, also mehr als ein Jahr nach der erfolgten Operation (laparoskopische Nephropexie), lag keine Funktionsbeeinträchtigung durch die Wanderniere mehr vor. Auch zuvor (dh vor der Operation) gab es keine Funktionseinschränkung mit Ausnahme der Schmerzsymptomatik. Bis auf den Krankenstand vom 28. 12. bis 29. 12. 2015 und vom 8. 2. 2016 bis 26. 4. 2016 ist keiner der angeführten Krankenstände auf die Wanderniere zurückzuführen oder steht damit in Zusammenhang.

[10] Nach der Operation war die Klägerin noch zweimal im Krankenstand (15. 11. bis 18. 11. 2016 [Herpesausbruch]; 8. 3. bis 19. 3. 2017 [Eierstockentzündung]). Zusammengefasst sind in den Jahren 2015 17 Krankenstandstage und im Jahr 2016 3 Krankenstandstage auf das Zervikalsyndrom zurückzuführen. Der Krankenstand vom Dezember 2015 und vom Februar bis April 2016, somit 79 Krankenstandstage, ist auf die Operation der Wanderniere zurückzuführen. Alle übrigen Krankenstände stehen weder im Zusammenhang mit der Wanderniere noch mit dem Zervikalsyndrom oder der Anämie.

[11] Im Jahr 2017 ordnete der Vorstand der Beklagten wegen schlechter Auslastungsprognosen aus Kostengründen eine Personalreduktion an. Aus diesem Grund wurden betriebsbedingt drei Mitarbeiter gekündigt, darunter auch die Klägerin. Da der Abteilungsleiter soziale Härten vermeiden wollte und die Klägerin die jüngste Mitarbeiterin seiner Abteilung war, schlug er schlussendlich die Klägerin für die Kündigung vor, zumal sie in den letzten Jahren auch viele Fehlzeiten hatte. Die beiden anderen Mitarbeiter wurden ausgewählt, weil sie als unzuverlässig galten. Auf Nachfrage der Klägerin über den Grund der Kündigung teilte ihr der Abteilungsleiter mit, dass der Vorstand aus Kostengründen angeordnet habe, Personal zu kündigen und die Auswahl aufgrund der vielen Fehlzeiten auf sie gefallen sei. Wenn die Krankenstände im Zusammenhang mit der Wanderniere nicht vorgelegen wären, wäre die Klägerin von der Beklagten nicht gekündigt worden.

[12] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil die Kündigung – zusammengefasst – weder im mittelbaren noch unmittelbaren Zusammenhang mit einer Behinderung der Klägerin gestanden sei.

[13] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nach Beweiswiederholung und teilweiser Abänderung des festgestellten Sachverhalts im eingangs dargelegten Sinn Folge und erklärte die Kündigung für rechtsunwirksam. Zwar seien die Anämie und das Zervikalsyndrom keine ausreichende Beeinträchtigung iSd § 3 BEinstG, dazu seien die Beeinträchtigungen bzw Krankenstände viel zu gering. Ausgehend von der Annahme einer festgestellten Hebebeschränkung mit 10 kg bis Ende 2016 sei der Klägerin aber der Nachweis gelungen, dass bei ihr eine Behinderung iSd § 3 BEinstG (aufgrund der Wanderniere) bestanden habe, deretwegen bzw aufgrund deretwegen aufgelaufener Fehlzeiten (zumindest mitursächlich) die Kündigung erfolgt sei. Die gerichtliche Anfechtung der Beendigungserklärung durch sie iSd § 7f BEinstG sei daher berechtigt.

[14] In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[15] Die Klägerin beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[16] Die Revision der Beklagten ist zulässig und berechtigt.

[17] 1. Gemäß § 7b Abs 1 Z 7 BEinstG darf niemand aufgrund einer Behinderung im Zusammenhang mit einem Dienstverhältnis, insbesondere auch nicht bei der Beendigung des Dienstverhältnisses, unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden.

[18] Gemäß § 7b Abs 4 BEinstG ist auf den Behinderungsbegriff der Abs 1 bis 3 die Bestimmung des § 3 BEinstG mit der Maßgabe anzuwenden, dass ein festgestellter Grad der Behinderung nicht erforderlich ist.

[19] Gemäß § 7f Abs 1 BEinstG kann eine Kündigung, wenn das Dienstverhältnis vom Dienstgeber wegen einer Behinderung des Dienstnehmers gekündigt worden ist, bei Gericht angefochten werden.

[20] 2. Nach § 3 BEinstG ist eine Behinderung die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Arbeitsleben zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

[21] 3. Eine „Funktionsbeeinträchtigung“ bzw eine „Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen“ iSd § 3 BEinstG ist nach herrschender Ansicht eine Einschränkung jener Funktionen, die bei einem gesunden Gleichaltrigen in der Regel vorhanden sind (Auer-Mayer in Widy, Behinderteneinstellungsgesetz8 [2016] § 3 Erl 4; ausführlich S. Mayer, Behinderung und Arbeitswelt [2010], 44 ff, jeweils mwN; Körber‑Risak in Mazal/Risak, Arbeitsrecht System, Kap VIII Rz 96). Nicht jede Funktionsbeeinträchtigung ist allerdings auch eine Behinderung (S. Mayer, Behinderung und Arbeitswelt [2010], 46 u 47). Zusätzlich ist erforderlich, dass die Auswirkung der Beeinträchtigung die Teilhabe des Betroffenen am Arbeitsleben erschweren kann, wobei auch auf gesellschaftliche Konstrukte („Stigmatisierung“) Bedacht zu nehmen ist, wie etwa bei der Diagnose HIV positiv ohne Merkmale von Aids (8 ObA 66/18s unter Verweis auf RV 836 BlgNR 22. GP  7). Die Funktionsbeeinträchtigung darf zudem nicht nur vorübergehend sein.

[22] 4. Maßgeblich für das Vorliegen einer Behinderung ist nicht deren Grad, sondern nur der Umstand, dass sich daran eine Diskriminierung knüpfen kann (9 ObA 107/15y; K. Mayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 3 BEinstG Rz 1). Dementsprechend wurde bei der Definition der Behinderung bewusst eine weite Definition gewählt (s RV 836 BlgNR 22. GP  6, 13). Ein bestimmter Mindestgrad der Funktionsbeeinträchtigung an sich oder deren Auswirkung ist im Zusammenhang mit dem Diskriminierungschutz der §§ 7a ff BEinstG nicht erforderlich (s nur Auer‑Mayer in Widy, Behinderteneinstellungsgesetz8, § 3 Erl 14).

[23] 5. Die Bestimmung des § 3 BEinstG steht mit der Umsetzung der RL 2000/78/EG in Zusammenhang.

[24] 6. Zur Frage nach der Abgrenzung von Krankheit und Behinderung stellte der EuGH zunächst fest (C‑13/05 Chacón Navas), dass Krankheit von Behinderung zu unterscheiden ist und Krankheit per se nicht als Diskriminierungsgrund nach der RL 2000/78/EG zu qualifizieren ist. In der Folge hielt er differenzierend fest, dass der Begriff „Behinderung“ iSd RL 2000/78/EG dahin auszulegen ist, dass er einen Zustand einschließt, der durch eine ärztlich diagnostizierte heilbare oder unheilbare Krankheit verursacht wird, wenn diese Krankheit eine Einschränkung mit sich bringt, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern können, und wenn diese Einschränkung von langer Dauer ist (EuGH C‑335/11 , 337/11 Ring und Werge).

[25] Relevante Funktionsbeeinträchtigungen können sich danach auch als Folge einer Krankheit ergeben und den Behinderungstatbestand verwirklichen (vgl nur Auer‑Mayer in Widy, Behinderteneinstellungsgesetz8 § 3 Erl 6 mwN).

[26] Es entspricht auch der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass Krankheit und Behinderung nicht ohne weiteres miteinander gleichgesetzt werden können (9 ObA 165/13z ua). Krankheit kann als solche nicht als ein weiterer Grund neben den Gründen angesehen werden, derentwegen Personen zu diskriminieren nach der RL 2000/78/EG verboten ist. Läuft eine undifferenzierte Berechnung krankheitsbedingter Fehlzeiten eines Arbeitnehmers aber darauf hinaus, dass Fehlzeiten wegen mit einer Behinderung im Zusammenhang stehenden Krankheit Zeiten allgemeiner „schlichter“ Krankheiten gleichgesetzt werden, so kann dies aber eine mittelbare Diskriminierung eines Arbeitnehmers bewirken. Ein behinderter Arbeitnehmer hat nämlich aufgrund seiner Behinderung typischerweise ein zusätzliches Risiko von mit seiner Krankheit zusammenhängenden Krankenständen und ist auf diese Weise einem höheren Risiko im Zusammenhang mit der Beendigung seines Dienstverhältnisses ausgesetzt als ein nicht behinderter (RS0129453 = 9 ObA 165/13z; K. Mayr in ZellKomm3 § 7b BEinstG Rz 2 mwN).

[27] 7. Das Vorliegen einer Behinderung iSd § 3 BEinstG ist im Zweifel von der Person zu beweisen, die sie behauptet (8 ObA 66/18s mwN).

[28] 8. Von diesen Grundsätzen ausgehend, ist zunächst eine unmittelbare Diskriminierung der Klägerin zu verneinen.

[29] Eine solche liegt dann vor, wenn eine Person aufgrund einer Behinderung in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde (s § 7c Abs 1 BEinstG).

[30] Zur Frage des inneren Zusammenhangs zwischen einer gegenüber einem Arbeitnehmer gesetzten Verhaltensweise und dem geschützten Merkmal („auf Grund“) wurde bereits zur Diskriminierungsbestimmung des § 7d BEinstG (Belästigung wegen Behinderung) ausgesprochen, dass eine Belästigung dann mit dem geschützten Merkmal „im Zusammenhang“ steht, wenn die konkrete belästigende Verhaltensweise der Tatsache, dass ein geschütztes Merkmal vorliegt bzw dessen Vorliegen angenommen wird, zugerechnet werden kann (vgl RS0124663, RS0124664). Spielen mehrere Motive eine Rolle („Motivbündel“), so genügt es, wenn das geschützte Merkmal (bzw damit in Verbindung stehende Eigenschaften, Handlungen, Verhaltensweisen oder Zustände) innerhalb des „Motivbündels“ eine Rolle spielt, also zumindest mitursächlich für die Belästigung ist. Das Erfordernis des Zusammenhangs darf dabei, um den Zweck des Gesetzes zu wahren, Diskriminierungen wegen eines geschützten Merkmals hintanzuhalten, nicht zu eng gesehen werden (RS0124664). Diese Grundsätze können im Fall einer Beendigungsdiskriminierung wegen Behinderung nach § 7b Abs 1 Z 7 BEinstG nicht anders gelten (9 ObA 107/15y; s auch K. Mayr in ZellKomm3 § 7b BEinstG Rz 2 mwN; Hopf/K. Mayr/Eichinger/Erler, GlBG2 § 7b BEinstG Rz 2/1).

[31] 9. Hier steht fest, dass die Beklagte im Zuge der Personalreduktion das Dienstverhältnis der Klägerin deshalb kündigte, weil die Auswahl „aufgrund der vielen Fehlzeiten“ auf sie gefallen war und die Kündigung nicht ausgesprochen worden wäre, wenn die Krankenstände im Zusammenhang mit der Wanderniere nicht vorgelegen wären. Die Kündigung erfolgte sohin nicht wegen einer Behinderung (Funktionsbeeinträchtigung), sondern wegen der Krankenstände der Klägerin, in denen auch ihre Fehlzeiten begründet waren. Die Krankenstände erreichten weder für sich noch in ihrer Gesamtheit die für das Vorliegen einer Behinderung erforderliche längere Dauer (sechs Monate). Das gilt insbesondere auch für den postoperativen Krankenstand (8. 2. 2016 bis 26. 4. 2016) in jener Phase, in der die Klägerin noch bestimmte Hebeleistungen und Überkopfarbeiten vermeiden sollte. Waren aber ausschließlich die „Fehlzeiten“ der Klägerin der Grund für ihre Kündigung, wurde die Klägerin nicht unmittelbar aufgrund einer Behinderung diskriminiert. Soweit die Klägerin ihren Vorgesetzten vorübergehende postoperative Einschränkungen anzeigte, reagierte man auf Beklagtenseite mit Verständnis und Entgegenkommen und schränkte die Belastungen im Einvernehmen mit der Klägerin ein.

[32] 10. Das Vorgesagte schließt allerdings das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung noch nicht aus.

[33] Eine mittelbare Diskriminierung liegt dann vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sowie Merkmale gestalteter Lebensbereiche Menschen mit Behinderungen gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sowie Merkmale gestalteter Lebensbereiche sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich (§ 7c Abs 2 BEinstG). Eine mittelbare Diskriminierung könnte etwa vorliegen, wenn Arbeitnehmer mit Behinderung im Vergleich zu solchen ohne Behinderung ohne gerechtfertigtes Ziel und ohne angemessene und erforderliche Mittel in besonderer Weise durch Krankenstände als dem Anschein nach neutrales Kriterium benachteiligt würden. Wie dargelegt, kann es auch eine mittelbare Diskriminierung eines Arbeitnehmers bewirken, wenn eine undifferenzierte Berechnung krankheitsbedingter Fehlzeiten eines Arbeitnehmers darauf hinausläuft, dass Fehlzeiten wegen mit einer Behinderung im Zusammenhang stehenden Krankheit Zeiten allgemeiner „schlichter“ Krankheiten gleichgesetzt werden (oben Pkt 6.).

[34] 11. Im vorliegenden Fall lässt sich dem festgestellten Sachverhalt – anders als vom Berufungsgericht angenommen – nicht mit Gewissheit entnehmen, dass die Klägerin überhaupt eine Funktionsbeeinträchtigung iSd § 3 BEinstG in der für das Vorliegen einer Behinderung erforderlichen Dauer von mehr als sechs Monaten gehabt hätte:

[35] Zum Zervikalsyndrom und zur Anämie wurden zwar prozentuell Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt, sie gewährleisteten aber bei Einhaltung des festgestellten Kalküls die Teilhabe am Arbeitsleben. Die Wanderniere hatte im Zustand vor der Operation zwar eine Schmerzsymptomatik, aber keine Funktionseinschränkung bei der Klägerin zur Folge, womit sie per se zu keiner Behinderung führte. Für den postoperativen Heilungsprozess ging das Berufungsgericht unter Verweis auf die Feststellung „insbesondere Hebebeschränkung mit 10 kg bis Ende 2016“ von einer Funktionsbeeinträchtigung bei der Klägerin von jedenfalls über einem halben Jahr aus. Ex post betrachtet war bei der Klägerin keine so lange Funktionsbeeinträchtigung gegeben. Ex ante betrachtet (operationsbedingter Beginn des Krankenstands am 8. 2. 2016) geht aus den Feststellungen hervor, dass der Operateur eine Hebebeschränkung von maximal 10 kg bis Ende 2016 ausgesprochen hatte. Die die Klägerin behandelnde Ärztin empfahl dagegen mit Arztbrief vom 21. 3. 2016 als Therapievorschlag, dass die Klägerin in den nächsten drei Monaten (sohin bis 21. 6. 2016) nicht über 10 kg heben sollte, und mit Arztbrief vom 30. 5. 2016, dass sie, „wenn arbeitstechnisch möglich“, noch Überkopfarbeiten und Bücken zum Heben im Stand für ca drei Monate (sohin bis Ende August 2016) vermeiden sollte. Der zuletzt genannte Vorschlag der behandelnden Ärztin wurde damit nicht unbedingt, sondern nur noch nach Maßgabe der arbeitstechnischen Möglichkeiten ausgesprochen, woraus auf eine ärztliche Empfehlung, nicht aber auf eine jedenfalls bestehende Funktionseinschränkung zu schließen ist. Nach Ende August 2016 (sohin spätestens nach sechs Monaten und 22 Tagen nach der Operation) bestanden festgestelltermaßen keine weiteren Einschränkungen bei der Klägerin mehr. Es gab insbesondere auch keine weiteren Empfehlungen der behandelnden Ärztin zur Vermeidung bestimmter Arbeitsvorgänge. Angesichts dieser Feststellungen zu den unterschiedlichen Empfehlungen der Ärzte wäre aber auch prognostisch gesehen noch keine Funktionsbeeinträchtigung erwiesen, die „voraussichtlich“ jedenfalls von „langer Dauer“ im Sinn von einer mehr als sechsmonatigen Beschränkung gewesen wäre.

[36] 12. Die unterschiedlichen Prognosen der Ärzte zum postoperativen Schonbedarf der Klägerin nach dem Krankheitsbild Wanderniere bedürfen hier aber auch keiner weiteren Aufklärung:

[37] Nach der zitierten Rechtsprechung kann sich eine mittelbare (hier: Kündigungs‑)Diskriminierung aus dem undifferenzierten Heranziehen auch von Fehlzeiten wegen mit einer Behinderung im Zusammenhang stehenden Krankheit ergeben. Hier liegen jedoch keine solchen Fehlzeiten vor, weil die maßgeblichen Fehlzeiten der Klägerin zwar primär auf die in der Wanderniere gelegene Erkrankung zurückzuführen waren (wie vom Berufungsgericht ausgeführt, verursachten das Zervikalsyndrom und die Anämie keine nennenswerten Krankenstände). Diese Erkrankung stand aber mit keiner Behinderung im Zusammenhang, weil die Wanderniere präoperativ zu keiner Funktionsbeeinträchtigung geführt hatte, operativ saniert werden konnte und sich die Funktionsbeeinträchtigungen in der Folge erst aus dem postoperativen Heilungsverlauf ergaben. Ein Fall, in dem die Klägerin aufgrund einer Behinderung typischerweise ein zusätzliches Risiko von Krankenständen gehabt hätte, liegt sohin nicht vor.

[38] 13. Ungeachtet dessen waren die Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin im Kündigungszeitpunkt – sohin nahezu ein Jahr nach ihrem Krankenstand und etliche Monate nach dem Zeitpunkt, zu dem sie keinen Funktionseinschränkungen mehr unterlag – nach den im Revisionsverfahren nicht mehr bekämpfbaren Feststellungen auch nicht mehr gegeben. Selbst wenn man die Klägerin vorübergehend als iSd § 3 BEinstG behindert ansähe, gehörte sie im Kündigungszeitpunkt nicht der geschützten Personengruppe der Behinderten an. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass Personen auch wegen einer in der Vergangenheit liegenden Behinderung (zB infolge einer ausgeheilten funktionsbeeinträchtigenden Krankheit) gekündigt werden und insofern der dargestellte innere Zusammenhang zwischen der gegenüber einem Arbeitnehmer gesetzten Verhaltensweise und dem geschützten Merkmal noch zu bejahen sein könnte (diesfalls als unmittelbare Diskriminierung). Dies war aber auf der Motivebene des Arbeitgebers nicht der Fall. Liegt der Verhaltensweise aber ein an sich neutrales Kriterium zu Grunde, ist ein solcher innerer Zusammenhang bei Personen, die nicht oder nicht mehr dem geschützten Personenkreis angehören, nicht gegeben. Eine mittelbare Diskriminierung ist in diesem Zusammenhang daher zu verneinen.

[39] 14. Das gilt auch für die Klägerin. Da sie im Kündigungszeitpunkt nicht (mehr) behindert war, scheidet eine auf ihre Krankenstände gestützte Kündigung als Grund einer allenfalls mittelbaren Diskriminierung iSd § 7c Abs 2 BEinstG sohin ebenfalls aus.

[40] 15.  Da der vorliegende Fall danach insgesamt keinen Grund zur Annahme bietet, dass die Beklagte bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Klägerin iSd § 7b Abs 1 BEinstG aufgrund einer Behinderung unmittelbar oder mittelbar diskriminiert hätte, ist der Revision der Beklagten Folge zu geben und das klagsabweisende Urteil wiederherzustellen.

[41] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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