OGH 8Ob96/21g

OGH8Ob96/21g14.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Christof Joham, Mag. Andreas Voggenberger, Rechtsanwälte in Eugendorf, gegen die beklagte Partei F***** GmbH, *****, vertreten durch Goldsteiner Rechtsanwalt GmbH in Wiener Neustadt, wegen 6.828,60 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 17. Mai 2021, GZ 58 R 17/21d‑78, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom 14. Jänner 2021, GZ 2 C 1042/17i‑72, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0080OB00096.21G.0914.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin führt Bodenlegerarbeiten bei diversen Bauprojekten durch. Sie kaufte von der Beklagten zehn Stück HM‑Boxen um je 599 EUR netto. Dabei handelt es sich um hygrometrische Messgeräte zur Messung der relativen Luftfeuchte von unterschiedlichen Baustoffen zur Ermittlung der Belegreife für den Beginn von Bodenverlegungsarbeiten. Die Geräte wurden der Klägerin von der Beklagten kurz vor Rechnungslegung am 25. 8. 2017 übergeben. Bis zum Ankauf der HM‑Boxen verwendete die Klägerin zur Überprüfung der Belegreife von Estrichen die Calciumcarbitmethode (CM‑Methode). Die neuen HM‑Boxen der Beklagten wenden demgegenüber die Messmethode nach dem Prinzipder korrespondierenden relativen Luftfeuchtigkeit (KRL‑Methode) an. Am 23. 8. 2017 fand eine mehrstündige Einschulung der Klägerin durch den Vermittler der Beklagten statt. Dabei erklärte dieser einem der beiden Geschäftsführer der Klägerin unter anderem, dass die Geräte bereits erprobt seien, deren Messung mittels sicherer Methode wesentlich einfacher und genauer sei und die KRL‑Methode die CM‑Methode später ablösen werde.

[2] DieKlägerin begehrte die Rückzahlung des bezahlten Kaufpreises von insgesamt 6.828,60 EUR sA Zug um Zug gegen die Rückstellung der zehn HM‑Boxen. Nachdem sie fünf der zehn erworbenen Geräte an verschiedenen Orten im Einsatz gehabt habe, ohne dass es zu ordentlichen Ergebnissen gekommen sei, habe sich bei einer Überprüfung der Bodenfeuchte mit der CM-Methode ergeben, dass die Messdaten der HM‑Boxen nicht mit den Daten nach der CM-Methode übereinstimmten. Die Geräte seien daher unbrauchbar und bereits im Zeitpunkt der Geschäftserfüllung zufolge Funktionsuntüchtigkeit mangelhaft gewesen. Das Klagebegehren werde insbesondere auf einen von der Beklagten verschuldeten, unbehebbaren und wesentlichen Irrtum, Gewährleistung, Schadenersatz, laesio enormis sowie auf die sich daraus ergebenden bereicherungsrechtlichen Rückabwicklungsansprüche gestützt.

[3] DieBeklagtebestritt eine Mangelhaftigkeit der gelieferten HM‑Boxen. Insbesondere wendete sie ein, dass binnen der 14‑tägigen Frist nach Übergabe keine hinreichend konkretisierte Mängelrüge seitens der ebenfalls unternehmerisch tätigen Klägerin erfolgt sei.

[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach den Feststellungen habe die Beklagte keine sich nachträglich als falsch herausgestellten Angaben gegenüber der Klägerin gemacht und liege ein Mangel der HM‑Boxen nicht vor. Vielmehr seien die unbrauchbaren Messergebnisse auf einen Anwendungsfehler derKlägerin zurückzuführen, die die HM-Boxen auf nicht normenkonform ausgeheizte Estriche angebracht habe. Auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten zur fehlenden Mängelrüge nach § 377 UGB müsse daher nicht mehr näher eingegangen werden. Da der festgestellte Verkehrswert dem Kaufpreis entspreche, scheide auch eine Verkürzung über die Hälfte nach § 934 ABGB aus.

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Dabei ließ es die von der Klägerin gegen die Feststellungsgrundlage erhobene Verfahrens‑ und Beweisrüge aus rechtlichen Erwägungen unerledigt. Die Klägerin sei ihrer Behauptungs‑ und Beweislast, die Mängelrüge rechtzeitig und gehörig erhoben zu haben, nicht nachgekommen. Dies führe dazu, dass sie ihre Ansprüche auf Gewährleistung, Schadenersatz wegen des Mangels selbst, Irrtum über die Mangelfreiheit der Sache und auch wegen laesio enormis nicht mehr geltend machen könne. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin davon ausgehen wollte, laesio enormis sei von § 377 Abs 2 UGB nicht umfasst, so wäre die Klägerin gehalten gewesen, die rechtserzeugenden Tatsachen vorzubringen, was sie jedoch nicht getan habe.

[6] Die ordentliche Revision sei zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der in der Lehre umstrittenen Frage vorliege, ob laesio enormis unter § 377 Abs 2 UGB zu subsumieren sei.

[7] Die von der Beklagten beantwortete Revision der Klägerin ist entgegen dem – nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[8] 1. In der Entscheidung 10 Ob 32/15a wurde offen gelassen, ob die Anfechtung eines als beidseitig unternehmensbezogenen Geschäfts geschlossenen Kaufvertrags wegen Verkürzung über die Hälfte nach § 934 ABGB eine rechtzeitige Mängelrüge im Sinn des § 377 Abs 1 UGB voraussetzt. In der in den Rechtsmittelschriften zitierten Entscheidung 10 Ob 48/20m wurde eine Rügeobliegenheit des Käufers zwar verneint. Allerdings lag nach den dortigen Feststellungen der Grund für das Missverhältnis zwischen dem objektiven Wert von Leistung und Gegenleistung nicht in schon bei Vertragsabschluss bestehenden anfänglichen Mängeln (die Gewährleistungsansprüche begründen könnten), sodass sich die Rechtsfrage, ob sich ein Käufer bei Unterlassung einer rechtzeitigen Rüge auf § 934 ABGB berufen kann, wenn der Kaufgegenstand an einem anfänglichen Mangel litt, der Mangel bei der Ermittlung des Wertmissverhältnisses berücksichtigt wird und zu einer Verletzung über die Hälfte führt, gar nicht stellte.

[9] Auch hier kommt es nicht auf diese Rechtsfrage an, sodass deren Beantwortung bloß theoretischen Charakter hätte (vgl RS0111271):

[10] Nach den allgemeinen Regeln über die Beweislastverteilung trifft für die Verkürzung im Sinn des § 934 ABGB den „Verkürzten“ die Beweislast (RS0108170). Zur schlüssigen Geltendmachung der Anfechtung des Vertrags wegen laesio enormis bedarf es daher konkreter Behauptungen und Beweisanbote, die eine nachvollziehbare Bewertung der beiderseitigen Leistungen ermöglichen (zuletzt etwa 8 Ob 52/21m). Die bloße Behauptung, dass Leistung und Gegenleistung in einem auffallenden Missverhältnis stünden bzw dass die Voraussetzungen des § 934 ABGB gegeben seien, reicht nicht aus (RS0016915 [T3]).

[11] Bereits das Berufungsgericht hat darauf hingewiesen, dass es an einem entsprechenden Tatsachenvorbringen der Klägerin fehlt. Mit dieser selbständig tragenden Hilfsbegründung setzt sich die Revision nicht auseinander (RS0118709).

[12] 2. Die Klägerin beruft sich in ihrer Revision erstmals auf den Ausnahmetatbestand des § 377 Abs 5 UGB. Danach kann sich der Verkäufer auf die Rügeobliegenheit des Käufers nicht berufen, wenn der Käufer beweist, dass der Verkäufer den Mangel vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht oder verschwiegen hat.

[13] Es trifft zwar zu, dass der Käufer – um seiner Behauptungslast zu genügen – die Einrede des vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verursachens oder Verschweigens des Mangels nicht ausdrücklich erheben muss; es genügt ein entsprechendes Tatsachenvorbringen (2 Ob 78/15g, Pkt 5.4).

[14] Im Anlassfall hat die Klägerin aber das Vorbringen der Beklagten in der letzten Tagsatzung, die Klägerin habe eine fristgerechte Mängelrüge unterlassen, sodass die geltend gemachten Ansprüche verfristet seien überhaupt nur unsubstantiiert bestritten. Sie hat im erstinstanzlichen Verfahren nicht zu erkennen gegeben, dass sie aus ihrem zur Irrtumsanfechtung erstatteten Vorbringen, die Beklagte habe ihr gegenüber unrichtig behauptet, dass die von den HM‑Boxen angewendete Messmethode genauer und einfacher als die CM-Methode und 100 % sicher sei und die CM‑Methode ablösen werde, und habe sie zudem nicht über die unzureichend getestete Tauglichkeit bzw Praxistauglichkeit der Geräte aufgeklärt, Rechtsfolgen nach § 377 Abs 5 UGB ableiten will. Die Klägerin hat in keiner Weise zum Ausdruck gebracht, dass sie dem Einwand der verspäteten Mängelrüge ihrerseits einen bestimmten Einwand, insbesondere die Einrede des § 377 Abs 5 UGB, entgegensetzen will (vgl auch RS0034198 [T3]). Abgesehen davon hat sie auch kein konkretes Vorbringen der Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit begründenden Tatsachen erstattet. Die bloße Behauptung, dass zugesicherte Eigenschaften fehlen, genügt für § 377 Abs 5 UGB nicht (RS0062345; Cohen/Eckert in Zib/Dellinger, UGB § 378 Rz 122; Kerschner in Artmann, UGB³ zu §§ 377–378 UGB Rz 67).

[15] Ebenso wie neues Tatsachenvorbringen können auch neue Einreden rechtlicher Natur in der Revisionsinstanz nicht mehr vorgebracht werden (RS0042025). Dass das Berufungsgericht die Beweis‑ und Verfahrensrüge unerledigt gelassen hat, ist vor diesem Hintergrund nicht relevant. Mit ihren Revisionsausführungen zu § 377 UGB vermag die Klägerin daher keine erhebliche hier relevante Rechtsfrage aufzuzeigen.

[16] 3.  Mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision zurückzuweisen.

[17] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision der Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0035979 [T16]).

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