OGH 20Ds5/21x

OGH20Ds5/21x9.9.2021

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 9. September 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Rothner und Dr. Mitterlehner als Anwaltsrichter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Vizthum als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung über die Berufungen des Disziplinarbeschuldigten (wegen Schuld und Strafe) und des Kammeranwalts (wegen Strafe) gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 18. Jänner 2021, AZ D 42/19, 3 DV 39/20, TZ 75, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Artner und des Kammeranwalts Mag. Kammler zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0200DS00005.21X.0909.000

 

Spruch:

 

Das angefochtene Erkenntnis, das im Übrigen unberührt bleibt, wird

1) in Stattgebung der Berufung des Beschuldigten im Schuldspruch 1.1.b) hinsichtlich des Vorwurfs, er habe im Verfahren AZ ***** des Bezirksgerichts ***** seine Mandantin A***** GmbH vom Verhandlungstermin am 26. Februar 2019 nicht rechtzeitig verständigt, sodass diese zur vorgesehenen Einvernahme nicht erscheinen konnte, ersatzlos und

2) aus deren Anlass im Schuldspruch 1.1.a),

somit auch im Strafausspruch und im Ausspruch der Verpflichtung zum teilweisen Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens

aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

***** wird von dem wider ihn erhobenen Vorwurf, er habe zu AZ ***** des Bezirksgerichts***** für die A***** GmbH am 5. Oktober 2018 eine Klage eingebracht, bei der er sich auf die erteile Vollmacht berufen habe, obwohl der Auftrag zur Klageeinbringung von der O***** GesmbH & Co KG erteilt worden und mit der A***** GmbH kein direkter Kontakt erfolgt sei, gemäß §§ 38 Abs 1 erster Fall, 54 Abs 3 DSt

freigesprochen.

Mit ihren gegen den Ausspruch über die Strafe gerichteten Berufungen werden der Beschuldigte und der Kammeranwalt auf die kassatorische Entscheidung verwiesen, der Beschuldigte überdies mit seinem sonstigen Vorbringen auf die amtswegige Maßnahme.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde ua ***** der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt in zwei Fällen (Schuldsprüche 1.1.a und 1.1.b) schuldig erkannt und unter Bedachtnahme (§ 16 Abs 5 zweiter Satz DSt iVm §§ 31 Abs 1, 40 StGB) auf das Erkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 15. Juni 2020, GZ D 53/19‑27, zu einer Zusatzgeldbuße von 1.500 Euro verurteilt.

[2] Nach dem Inhalt dieser Schuldsprüche hat der Beschuldigte

1.1.a) zu AZ ***** des Bezirksgerichts ***** für die A***** GmbH am 5. Oktober 2018 eine Klage eingebracht, bei der er sich auf eine von dieser Vollmacht berief, obwohl der Auftrag dazu von der O***** GesmbH & Co KG erteilt worden und mit der A***** GmbH kein direkter Kontakt erfolgt war,

und

1.1.b) im Verfahren AZ [richtig:] ***** des Bezirksgerichts ***** seine Mandantin A***** GmbH vom Verhandlungstermin am 26. Februar 2019 nicht rechtzeitig verständigt, sodass diese zur vorgesehenen Vernehmung nicht erscheinen konnte.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen dieses Erkenntnis richten sich die auch Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 3, 8 und 9 lit a StPO relevierende Berufung des Beschuldigten wegen der Aussprüche über die Schuld und die Strafe sowie jene des Kammeranwalts wegen Strafe.

[4] Der Beschuldigte (der auf Teilnahme an der Berufungsverhandlung verzichtet hat) reklamiert unter Bezugnahme auf den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 8 StPO zu Recht, dass die dem Schuldspruch 1.1.b) zugrunde gelegte Tat nicht Gegenstand des Einleitungsbeschlusses des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 14. September 2020 (TZ 51) war.

[5] Dies bestätigt auch der Kammeranwalt in seinen Gegenausführungen (TZ 81), der die Berufung des Beschuldigten in diesem Punkt als zutreffend bezeichnet und weiters darauf hinweist, dass zu diesem Faktum 1.1.b) sogar ein Einstellungsbeschluss des Disziplinarrats vorliegt, nämlich jener vom 14. September 2020, TZ 50, Spruchpunkt b).

[6] Das angefochtene Erkenntnis überschreitet – wie bereits die Generalprokuratur zutreffend ausführte – solcherart den vom Einleitungsbeschluss des Disziplinarrats vom 14. September 2020, TZ 51, gesteckten Rahmen (§§ 28 Abs 2, 36 Abs 1 und 2 DSt; RIS‑Justiz RS0056978 [T13 und T20], RS0102147 [T8]; Gartner in Csoklich/Scheuba, Standesrecht der Rechtsanwälte3, 130; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 28 DSt, 931). Damit wird der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 8 StPO verwirklicht, was zur ersatzlosen Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses in diesem Punkt zu führen hat, ohne dass ein Freispruch erforderlich ist, weil eben keine Anklage vorliegt (Birklbauer im Linzer Kommentar zur StPO § 281 Abs 1 Z 8 Rz 46 mwN). Überdies wurde im Hinblick auf den Einstellungsbeschluss des Disziplinarrats vom 14. September 2020, TZ 50, Spruchpunkt b), durch den bekämpften Schuldspruch zu 1.1.b) der Grundsatz ne bis in idem verletzt.

[7] Aus Anlass der Berufung des Beschuldigten hat sich der Oberste Gerichtshof davon überzeugt (§ 77 Abs 3 DSt iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), dass die Unterstellung der zum Schuldspruch 1.1.a) angeführten Tat unter das Disziplinarvergehen der Verletzung der Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt an einen Rechtsfehler mangels Feststellungen leidet (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO).

[8] Der Disziplinarrat ging im angefochtenen Erkenntnis von folgenden Annahmen aus:

[9] Die G***** OG brachte am 5. Oktober 2018 für die A***** GmbH eine Klage gegen B***** zu AZ ***** des Bezirksgerichts ***** ein und berief sich auf die von der klagenden Partei erteilte Vollmacht. Deren Geschäftsführerin I***** hatte am 6. September 2018 der O***** GesmbH & Co KG eine Vollmacht erteilt (Beilage ./B), wobei sich auf dem Formular die Passage „Ich erteile Herrn/Frau Rechtsanwalt Dr. … Prozessvollmacht im Sinne des Par. 31 ZPO und ermächtige ihn, Geld und Geldeswert in Empfang zu nehmen.“ findet. Ein bestimmter Rechtsanwalt ist in der Urkunde nicht genannt. In der Folge habe die O***** GesmbH & Co KG der Kanzlei G***** die Unterlagen für eine Mahnklage „eingespielt“. In dieser Kanzlei gibt es eine eigene Sachbearbeiterin, die Mahnklagen erstellt. Diese untersteht dem Beschuldigten. Wer in diesem Fall allerdings die Mahnklage im Web‑ERV an das Gericht zur Einbringung freigegeben hat, kann nicht festgestellt werden.

[10] Insbesondere die zuletzt zitierte Sachverhaltsannahme des Disziplinarrats (vgl RIS‑Justiz RS0099810 [insb T1]), wonach die Klageeinbringung keiner bestimmten Person und damit auch nicht dem Beschuldigten zur Last gelegt werden kann, vermag – unabhängig von der Frage ihrer allfälligen Standeswidrigkeit – den Schuldspruch 1.1.a) nicht zu tragen, weshalb in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur das angefochtene Erkenntnis im Schuldspruch 1.1.a) wegen Nichtigkeit aus dem Grunde des § 77 Abs 3 DSt iVm § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO aufzuheben ist und in der Sache selbst mit einem Freispruch vorzugehen war.

[11] Die Aufhebungen der Schuldsprüche zieht die Kassation des Strafausspruchs und der Verpflichtung zum teilweisen Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens durch den Beschuldigten nach sich.

[12] Dementsprechend waren der Beschuldigte und der Kammeranwalt mit ihren gegen den Ausspruch über die Strafe gerichteten Berufungen auf die obige Entscheidung zu verweisen, der Beschuldigte überdies mit seinem Vorbringen auf die amtswegige Maßnahme.

[13] Obiter dictum sit:

[14] Die in Rede stehende Klageeinbringung trüge – wie bereits die Generalprokuratur zutreffend ausführte – aufgrund der übrigen Sachverhaltsannahmen des Disziplinarrats dennoch die Unterstellung der zum Schuldspruch 1.1.a) angeführten Tat unter das Disziplinarvergehen der Verletzung der Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt nicht (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO).

[15] Nach § 7 RL‑BA 2015 darf der Rechtsanwalt Auftrag und Vollmacht in der Regel nur von demjenigen annehmen, dessen Interessen ihm anvertraut werden. § 8 RL‑BA 2015 normiert ergänzend, dass der Rechtsanwalt einen Auftrag eines Dritten nur dann übernehmen darf, wenn der Klient, dessen Interessen er (auch) wahrnehmen soll, in der freien Auswahl seines Rechtsanwalts nicht unangemessen eingeschränkt ist.

[16] Demnach ist die Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts durch einen Dritten nicht generell untersagt. So fallen etwa bei der Mandatierung durch Rechtsschutzversicherungen oder – wie im vorliegenden Fall – durch Inkassounternehmen Auftrags- und Vollmachtsverhältnis regelmäßig auseinander. Solche Konstellationen sind als Ausnahmefälle von der Grundsatzregel des § 7 RL‑BA 2015 zulässig (Engelhart in Engelhart et al, RAO10 § 7–9 RL‑BA 2015 Rz 4, 6; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 §§ 1–12a RL‑BA 1977, 674).

[17] Mit Blick auf die Übermittlung der von der Geschäftsführerin der klagenden Partei am 6. September 2018 unterfertigten Vollmacht an das Inkassounternehmen sowie die von diesem erfolgte Beauftragung der G***** OG mit der Klageführung erweist sich die sodann auftragskonform vorgenommene Einbringung einer Mahnklage als zulässig: die klagende Partei ließ im Vollmachtsformular den einfügbaren Namen des zu beauftragenden Rechtsanwalts offen und war daher in ihrer freien Auswahl des Rechtsanwalts nicht unangemessen eingeschränkt.

[18] Bleibt zu bemerken:

[19] Das im Erkenntnis relevierte Unterbleiben einer zeitnahen Information der I***** als Geschäftsführerin der A***** GmbH über die Klageeinbringung gegen B***** am 5. Oktober 2018 (vgl Engelhart in Engelhart et al, RAO10 §§ 7–9 RL‑BA 2015 Rz 13; Csoklich in Csoklich/Scheuba, Standesrecht der Rechtsanwälte3, 42) ist vom Schuldspruch I./1./a./ (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) nicht umfasst und somit nicht entscheidungsrelevant. Die bloße Erwähnung des angesprochenen Umstands in den Entscheidungsgründen ist einem Schuldspruch nicht gleichzuhalten (vgl RIS‑Justiz RS0116266 [T5]).

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