OGH 8ObA37/21f

OGH8ObA37/21f3.8.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Stefula und die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Johanna Biereder (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Thomas Kallab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Arbeiterbetriebsrat der P***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch die Moser Mutz Rechtsanwälte GesbR in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei P***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. Kleinszig/Dr. Puswald Partnerschaft in St. Veit an der Glan, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 1 ASGG, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 23. März 2021, GZ 6 Ra 17/21y‑16, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 2. November 2020, GZ 32 Cga 31/20z‑12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:008OBA00037.21F.0803.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.489,86 EUR (darin enthalten 248,31 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Beklagte ist unter anderem im Bereich der Abfallwirtschaft tätig und führt Müllentsorgung mit eigenen Fahrzeugen durch. Auf die Dienstverhältnisse der Arbeiter, die in der Müllentsorgung mit Kraftfahrzeugen unterwegs sind, findet der Kollektivvertrag für das Güterbeförderungsgewerbe Österreichs Anwendung. Einen Bestandteil desselben bildet die „Lohn- und Zulagenordnung“, die unter anderem folgende Bestimmungen enthält:

D. Erschwernis-, Gefahren- und Schmutzzulagen

[...]

c) Beim Einsammeln von Abfällen gem. § 2 Abfallwirtschaftsgesetz in der Fassung BGBl. Nr. I 102/2002, gebührt pro Arbeitnehmer und Einsatztag eine Zulage von € 16,19.

Die Zulage gebührt ausschließlich jenen Arbeitnehmern, die Abfälle händisch einsammeln und/oder Beladungen/Entladungen händisch durchführen und dabei einer besonderen körperlichen Anstrengung und Erschwernis unterliegen. Eine besondere körperliche Anstrengung und Erschwernis wird durch die Verwendung von einfachen, mechanischen Be- und/oder Entladehilfsmitteln, wie Hubwagen oder Transportrodel nicht ausgeschlossen. Bei Be- und/oder Entladungen unter Verwendung von elektrischen/motorischen Hilfsmitteln besteht mangels besonderer körperlicher Anstrengung und Erschwernis kein Anspruch auf die Zulage.

d) Dienstnehmer erhalten für folgende Tätigkeiten eine Schmutzzulage von 10 % des jeweiligen KV‑Lohnes:

Die Schmutzzulage gebührt nicht bei mechanischer Be- und Entladung (ausgenommen Hausmüll, Mülltrennung und Fäkalien).“

 

[2] Die Mitarbeiter der Beklagten holen mit entsprechend ausgerüsteten Fahrzeugen Altpapier von Haushalten und Gewerbetreibenden ab. Bei den Haushalten sind grundsätzlich Sammeltonnen vorhanden, die mechanisch eingeladen werden. Bei Gewerbekundschaften gibt es auch lose Altpapiersammlungen, die händisch gesammelt und zu einem jeweiligen Entsorgungs-LKW gebracht werden müssen. Die Papiertonnen selbst werden maschinell mittels Hebevorrichtung geleert und von den Mitarbeitern wieder zurückgestellt. Das Leergebinde von gewerblichen Kunden ohne Entsorgungstonne wird von den Mitarbeitern händisch auf den LKW aufgeladen, wobei die Kunden angehalten sind, dieses Material möglichst witterungsgeschützt zu lagern, was jedoch nicht immer der Fall ist. Die Entsorgungsfahrzeuge erhalten Listen mit den Namen der Kunden, ob ein Behälter oder lose Sammlungen zu entsorgen sind und in welchem zeitlichen Abstand die Entsorgung stattzufinden hat. Eine Anordnung, dass loses beigefügtes Altpapier nicht mitgenommen werden darf oder mitgenommen werden muss, existiert nicht.

[3] Die Sammelbehälter beim Haus sind entweder graue „Hausmülltonnen“, Tonnen mit braunem Deckel für den Bioabfall, grüne Tonnen mit rotem Deckel für Altpapier und dunkle Tonnen mit gelbem Deckel bzw gelbe Säcke für Plastikflaschen oder Behälter. Im Laufe des Jahres 2020 erhielten die Ausfahrer für den Abfallwirtschaftsverband S***** Merkzettel für die Privatkunden, dass nur mehr in den Behältern befindliches Altpapier mitgenommen wird; diese Merkzettel waren bei den Kunden auszuteilen.

[4] Der klagende Arbeitsbetriebsrat begehrt nach § 54 Abs 1 ASGG gegenüber der Beklagten festzustellen, „dass die in ihrem Betrieb beschäftigten Arbeiter, die im Bereich der Altpapierentsorgung tätig sind, Anspruch auf Schmutzzulage gemäß der Lohn‑ und Zulagenordnung des Kollektivvertrages für das Güterbeförderungsgewerbe Österreich laut Punkt D.d) im Ausmaß von 10 % des jeweiligen KV-Lohns haben“. Wenn die Arbeiter Altpapier abholten, so stelle dies eine „Beseitigung von Müll“ im Sinne des Punktes D.d) der Lohn‑ und Zulagenordnung des Kollektivvertrags dar. Der letzte Satz dieser Bestimmung stehe dem Anspruch auf Schmutzzulage nicht entgegen, weil es sich um Hausmüll handle bzw bei Gewerbekunden das Altpapier auch händisch aufgeladen werden müsse.

[5] Die Beklagte bestritt und nahm zusammengefasst den Rechtsstandpunkt ein, dass Altpapier weder Müll noch Hausmüll im Sinne des Kollektivvertrags sei und damit keine Schmutzzulage anfalle. Mit seiner Entsorgung gehe auch keine erhebliche, eine Schmutzzulage erst rechtfertigende Verschmutzung der eigenen Person oder der Kleidung einher. Im Übrigen stelle die Beklagte in Umsetzung von Punkt Art IV.5 des Kollektivvertrags den Arbeitern die Arbeitskleidung zur Verfügung und reinige sie auch, weshalb eine zusätzliche Schmutzzulage sachwidrig wäre.

[6] Das Erstgericht stellte im Wesentlichen den eingangs angeführten Sachverhalt fest. Es trat im Ergebnis dem Rechtsstandpunkt des Klägers bei und verurteilte die Beklagten antragsgemäß.

[7] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Mit der Begründung, dass das Abfallwirtschaftsgesetz für „Müll“ und „Hausmüll“ keine Definitionen enthalte und auf dieses in der Lohn- und Zulagenordnung allein bei der Erschwerniszulage nach Punkt D.c), nicht aber bei der Schmutzzulage nach Punkt D.d) erster Unterpunkt iVm letzter Satz verwiesen werde, legte das Berufungsgericht die Begriffe nach dem allgemeinen Sprachgebrauch aus. Zumal hier die Begriffe „Müllinsel“ und „Müllabfuhr“ auch das Altpapier bzw dessen Entsorgung erfassten, sei das von den Arbeitern abtransportierte Altpapier bedenkenlos unter den Begriff „Müll“ und den – allein der Abgrenzung von Gewerbemüll und Industrieabfall dienenden – Begriff „Hausmüll“ in Punkt D.d) der Lohn‑ und Zulagenordnung zu subsumieren. Für die Arbeiter bestehe auch eine Gefahr der Verschmutzung, so wenn größere Schachteln oder auch zusammengelegte Kartonagen von den „Abfallbesitzern“ ungeachtet der Witterungssituation einfach neben den Mülltonnen abgestellt oder diese überfüllt wurden und so die Notwendigkeit bestehe, die Papierabfälle händisch zu zerkleinern oder als solche in den Fassungsraum der Fahrzeuge zu verfrachten. Eine „erhebliche Verschmutzung“ verlange die Lohn‑ und Zulagenordnung nur im dritten Unterpunkt von Punkt D.d). Dass die Zurverfügungstellung von Arbeitskleidung oder deren Reinigung die Schmutzzulage ausschließe, gehe aus der Lohn‑ und Zulagenordnung nicht hervor.

[8] Das Berufungsgericht ließ die Revision mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Auslegung der gegenständlichen kollektivvertraglichen Bestimmung und wegen deren über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung zu.

[9] Gegen das Berufungsurteil richtet sich die aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Beklagten mit einem auf Abweisung der Klage gerichteten Abänderungs‑, hilfsweise mit einem Aufhebungs‑ und Zurückverweisungsantrag.

[10] Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision, hilfsweise ihr den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, jedoch nicht berechtigt.

[12] 1. Der Oberste Gerichtshof erachtet die – zuvor zusammengefasst wiedergegebene – Begründung des Berufungsgerichts für zutreffend und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf sie (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Der Revision ist in aller Kürze ergänzend Folgendes zu erwidern.

[13] 2. Entgegen der Ansicht der Beklagten regelt Punkt D.c) der Lohn- und Zulagenordnung des Kollektivvertrags nicht die Schmutzzulage, sondern – wie bereits vom Berufungsgericht ausgeführt – eine Erschwerniszulage. Daraus, dass Punkt D.c) eine händische Tätigkeit und eine besondere körperliche Anstrengung verlangt, ist daher für die Frage, ob den Arbeitern hier eine Schmutzzulage nach Punkt D.d) zusteht, nichts zu gewinnen.

[14] 3. Nach Ansicht der Beklagten würden Schmutzzulagen nach allgemeinem Verständnis dafür gewährt, dass die Arbeit in erheblichem Maß zwangsläufig eine Verschmutzung des Dienstnehmers und seiner Kleidung bewirke, ihrer Beurteilung nach fehle es im vorliegenden Fall an dieser Voraussetzung.

[15] Die Beklagte übersieht, dass es sich dabei lediglich um eine in § 68 Abs 5 EStG 1988 genannte Voraussetzung handelt, damit eine in einem Kollektivvertrag oder in einer – auf einer kollektivvertraglichen Ermächtigung beruhenden – Betriebsvereinbarung vorgesehene Schmutzzulage auch als solche steuerrechtlich anerkannt, nämlich dem (günstigen) Regime nach § 68 Abs 1 ff EStG unterworfen wird (vgl UFS Wien RV/2644‑W/06 mwN und dazu VwGH 2007/15/0124; Doralt in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn , EStG 17 § 68 Rz 22). Es handelt sich demnach um keine Voraussetzung für die Annahme einer Schmutzzulage im arbeitsrechtlichen Sinne. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine Schmutzzulage richten sich allein nach dem Kollektivvertrag (bzw der Betriebsvereinbarung). Dass die Arbeit in erheblichem Maß zwangsläufig eine Verschmutzung des Dienstnehmers und seiner Kleidung bewirkt, ist dem Kollektivvertrag als Voraussetzung für die Schmutzzulage nach Punkt D.d) erster Unterpunkt iVm letzter Satz nicht zu entnehmen.

[16] 4. Dem Kollektivvertrag ist ebensowenig zu entnehmen, dass keine Schmutzzulage zustehe, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Schutzkleidung zur Verfügung stellt und/oder die Reinigungskosten übernimmt. Die Schmutzzulage nach Punkt D.d) erster Unterpunkt besitzt – auch angesichts von Punkt IV.5. des Kollektivvertrags über die Verpflichtung des Dienstgebers zur Zurverfügungstellung von Arbeitskleidung – nicht den Charakter einer Aufwandsentschädigung, sondern Entgeltcharakter. Sie soll doch abgelten, bei der Beseitigung von Müll mit Schmutz in Kontakt zu kommen (vgl OLG Wien 10 Ra 66/09p = ARD 6063/4/2010; LGZ Wien 44 Cg 24/64 = Arb 7899).

[17] 5. Die Annahme der Beklagten, wenn Altpapier unter den Begriff „Müll“ subsumiert wird, könne es nicht zugleich unter den Begriff „Hausmüll“ subsumiert werden, überzeugt nicht.

[18] Bei „Müll“ handelt es sich schlicht um den Oberbegriff. Bereits aus dem im allgemeinen Sprachgebrauch heute weitverbreiteten Begriff „Mülltrennung“ geht hervor, dass es sich auch bei Papier um Müll handelt, der aber – ebenso wie zB Flaschen, Plastik oder Batterien – getrennt zu entsorgen ist. Was übrig bleibt, ist der „ Rest müll“.

[19] Bei „Hausmüll“ handelt es sich – wie bereits vom Berufungsgericht erkannt – um einen Unterbegriff, der der Abgrenzung zum (weiteren Unterbegriff) „gewerblicher Müll“ (bzw Industrieabfall) dient, somit nach der Herkunft des Mülls unterscheidet. Die Unterbegriffe Papier, Glas, Plastik, Batterien, Restmüll betreffen dagegen die Beschaffenheit des Mülls. Der Begriff „Hausmüll“ kann – wovon die Beklagte aber ausgeht – nicht mit „Restmüll“ gleichgesetzt werden; er erfasst auch das Altpapier.

[20] 6. Bei von Privathaushalten stammendem Altpapier muss im Übrigen auch deshalb mit Verschmutzungen gerechnet werden, da hier nach der Lebenserfahrung immer wieder „Falscheinwürfe“ vorkommen, etwa wenn Pizzakartons, benutzte Taschentücher oder Windeln fälschlicherweise „mit dem Altpapier“ entsorgt werden. Von einem möglichen Kontakt der Arbeiter mit diesen Verschmutzungen ist schon deshalb auszugehen, weil sie gehalten sind, die Altpapiertonnen zur Überprüfung der Einhaltung der Entsorgungsvorschriften zu öffnen. Selbst wenn sie hierauf eine Tonne wegen Verunreinigung nicht entleeren, haben sie doch jedenfalls zwingend über den Geruch, allenfalls auch über aus der Tonne entweichende Fliegen mit der Verschmutzung Kontakt.

[21] 7. Zumal den Arbeitern der Beklagten im Sinne von Punkt D.d) erster Unterpunkt der Lohn‑ und Zulagenordnung des Kollektivvertrags die „Beseitigung von Müll“, nämlich von Altpapier, als Tätigkeit obliegt, gebührt ihnen eine Schmutzzulage von 10 % des jeweiligen KV‑Lohnes. Der letzte Satz der Bestimmung steht dem Anspruch nicht entgegen. Soweit es sich um Privathäuser handelt, liegt „Hausmüll“ vor. Soweit es sich um Gewerbekunden handelt, kann zwar kein „Hausmüll“ angenommen werden, es fehlt diesfalls aber, da die Gewerbekunden nach den Feststellungen das Altpapier zumindest zum Teil lose lagern, an einer die Schmutzzulage ausschließenden „mechanischen Beladung“.

[22] 8. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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