OGH 1Ob136/21p

OGH1Ob136/21p21.7.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj L*****, geboren am ***** 2011, und der mj L*****, geboren am ***** 2015, *****, wegen Obsorge, über den Revisionsrekurs des Vaters N*****, vertreten durch die Schmelz Rechtsanwälte OG, Klosterneuburg, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 25. Mai 2021, GZ 44 R 190/21y‑98, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 26. März 2021, GZ 90 Ps 91/18f‑87, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00136.21P.0721.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Seit dem KindNamRÄG 2013 soll die Obsorge beider Elternteile (eher) der Regelfall sein (RIS‑Justiz RS0128811 [T1]). Eine sinnvolle Ausübung der Obsorge beider Elternteile setzt jedoch ein gewisses Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit zwischen ihnen voraus. Um Entscheidungen gemeinsam im Sinn des Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und einen Entschluss zu fassen. Es ist daher vom Gericht zu beurteilen, ob eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden oder in absehbarer Zeit mit einer solchen zu rechnen ist (RS0128812). Diese Beurteilung kann nur nach den Umständen des Einzelfalls erfolgen und begründet typischerweise keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG (RS0128812 [T5, T15, T19]). Eine solche vermag der Revisionsrekurswerber nicht aufzuzeigen.

[2] 2. Nach den erstinstanzlichen Feststellungen ist es den Eltern nicht möglich, sich über die Betreuung der Kinder zu einigen. Es kam immer wieder zu Auseinandersetzungen, die auf ihre konfliktbeladene Trennung sowie ihre unterschiedlichen Erziehungsvorstellungen und -stile zurückzuführen waren. Die Eltern haben konträre Ansichten dazu, wie die Kinder aufwachsen sollen, und kein Verständnis für die Meinung des anderen. Der Vater boykottierte die Erziehungsmethoden der Mutter und wertete diese ab. Auch die Mutter verhielt sich wenig kooperativ. Bei Übergabe der Kinder kam es regelmäßig zum Streit, den die Eltern auch vor diesen austrugen, wobei sie einander – auch in Bezug auf den Umgang mit den Kindern – zahlreiche Vorwürfe machten. Sie waren dabei derart in ihrem Konflikt verhaftet und darauf konzentriert, das vermeintliche Fehlverhalten des anderen aufzuzeigen, dass sie die Bedürfnisse der Kinder nicht wahrnahmen.

[3] Seitdem das Kontaktrecht des Vaters mit Beschluss vom 25. 6. 2020 vorläufig gerichtlich geregelt wurde, hat sich die Situation für die Kinder entspannt. Es besteht allerdings eine nach wie vor unzureichende Kommunikationsbasis zwischen den Eltern, die sich teilweise auch über relativ geringfügige Angelegenheiten (etwa eine Änderung des Übergabeorts der Kinder im „Lockdown“ oder die Vorlage einer Arbeitsbestätigung des Vaters zur Sicherung eines Hortplatzes für das ältere Kind; der Vater weigerte sich auch, der Mutter seine neue Adresse bekanntzugeben) nicht einigen können. Wenngleich es ihnen vereinzelt gelang, Vereinbarungen über alltägliche Dinge (etwa das Besorgen von Schulmaterial oder ein Treffen mit der Halbschwester der Kinder) zu schließen, so ist die hauptsächlich per SMS erfolgende Kommunikation (bei der die Elternteile manchmal nicht oder „nicht unmittelbar“ auf Nachrichten des anderen reagieren) immer noch stark von den elterlichen Konflikten geprägt. Eine vom Gericht aufgetragene Elternberatung wurde von den Eltern abgebrochen. Eine weitere gemeinsame Beratung ist derzeit aufgrund der bestehenden Konflikte und gegenseitigen Vorwürfe nicht zielführend. Mit der Herstellung einer gemeinsamen Kommunikationsbasis ist in absehbarer Zeit nicht zu rechnen.

[4] Die Kinder sind durch die Auseinandersetzungen der Eltern stark beeinträchtigt. Durch das Fehlen der elterlichen Kooperationsfähigkeit wären sie bei Beibehaltung der gemeinsamen Obsorge in einer ihrem Wohl abträglichen Weise in ihrem Stabilitäts- und Sicherheitsbedürfnis gefährdet. Die mangelnde Gesprächsbasis würde ihre Loyalitätskonflikte verstärken und sie stark belasten.

[5] 3. Dass die Vorinstanzen auf dieser Grundlage die für die gemeinsame Obsorge erforderliche Kommunikationsbasis und Kooperationsbereitschaft der Eltern verneinten, bedarf keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof. Der Vater zeigt in seinem Rechtsmittel, das weitestgehend nicht auf dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt beruht, keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung und damit keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf.

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