OGH 13Os33/21h

OGH13Os33/21h14.7.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Juli 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Pentz in der Strafsache gegen Mag. Elisabeth R* wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 und 3 Z 1 StGB idF vor BGBl I 2019/105, AZ 64 Hv 34/20a des Landesgerichts Klagenfurt über den Antrag der Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132315

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Mit Strafantrag vom 9. März 2020 (ON 8) legte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt Mag. Elisabeth R* ein als Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 und 3 Z 1 StGB idF vor BGBl I 2019/105 beurteiltes Verhalten zur Last.

[2] Danach habe sie vom September 2012 bis zum Jänner 2014 in S* gegen ihren unmündigen Pflegesohn Deniz Ri* durch Misshandlungen am Körper längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem sie ihm mit einem Holzkochlöffel wiederholt Schläge auf seinen Handrücken und sein nasses Gesäß versetzte.

[3] Nachdem der Einzelrichter in der Hauptverhandlung vom 17. Juni 2020 im Sinn des § 262 StPO mit den Verfahrensbeteiligten erörtert hatte, dass „mit Blick auf die Verfahrensergebnisse allenfalls das Vergehen der Körperverletzung nach dem § 83 Abs 1 und Abs 2 StGB im Zusammenhang mit dem Tatzeitpunkt Herbst 2012 in Frage kommt“ (ON 17 S 6), wurde die Angeklagte mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 17. Juni 2020 (ON 18) des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB schuldig erkannt. Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat sie im Herbst 2012 in S* ihren Pflegesohn Deniz Ri* am Körper misshandelt und ihn dadurch fahrlässig verletzt, indem sie ihm mit einem Holzkochlöffel Schläge auf seinen Handrücken versetzte, wodurch er einen länger anhaltenden Bluterguss am Handrücken erlitt.

[4] Weiters wurde die Angeklagte schuldig erkannt, dem Privatbeteiligten Deniz Ri* binnen 14 Tagen 100 Euro zu zahlen.

[5] Der gegen dieses Urteil gerichteten Berufung der Angeklagten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe sowie wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche (ON 20) gab das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht mit Urteil vom 16. Dezember 2020, AZ 10 Bs 266/20y (ON 24), nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

[6] In Bezug auf die letztgenannte Entscheidung erhob die Verurteilte einen Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens, in welchem ein „Verstoß gegen den Anklagegrundsatz iSd Art 90 Abs 2 B‑VG iVm Art 6 EMRK“, eine Verletzung der Begründungspflicht und des Rechts „auf ein faires Berufungsverfahren“ jeweils im Sinn des Art 6 MRK sowie auf „Eigentum gemäß Art 5 StGG und Art 1 1. ZP‑EMRK“ geltend gemacht werden und überdies ein „Antrag auf Entschädigung gemäß Art 41 EMRK“ gestellt wird.

[7] Voranzustellen ist, dass Anträge auf Erneuerung des Strafverfahrens auch im erweiterten Anwendungsbereich des § 363a StPO – dessen Wortlaut folgend – nur wegen einer Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle gestellt werden können (RIS‑Justiz RS0132365). Auf die Behauptung der Verletzung des Art 90 Abs 2 B-VG und des Art 5 StGG ist daher nicht einzugehen.

[8] Bei einem – wie hier – nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag (RIS‑Justiz RS0122228), bei dem es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf handelt, gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 MRK sinngemäß (RIS‑Justiz RS0122737 und RS0128394).

[9] Da die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substanziiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein (Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 13 Rz 16), hat auch ein Erneuerungsantrag deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine vom Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei (RIS‑Justiz RS0122737 [T17]).

[10] Dabei hat er sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS‑Justiz RS0124359) und – soweit er auf Grundlage der Gesamtheit der Entscheidungsgründe nicht Begründungsmängel aufzuzeigen oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit getroffener Feststellungen zu wecken vermag – seine Argumentation auf der Basis der Tatsachenannahmen der bekämpften Entscheidung zu entwickeln (RIS‑Justiz RS0125393 [T1]).

[11] Dem Erfordernis der Ausschöpfung des Rechtswegs (Art 35 Abs 1 MRK) wird entsprochen, wenn von allen effektiven Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht (vertikale Erschöpfung) und die geltend gemachte Konventionsverletzung zumindest der Sache nach und in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften im Instanzenzug vorgebracht worden ist (horizontale Erschöpfung; RIS‑Justiz RS0122737 [T13]).

[12] Diesen Kriterien wird der vorliegende Erneuerungsantrag nicht gerecht.

[13] Als „Verstoß gegen den Anklagegrundsatz iSd Art 90 Abs 2 B‑VG iVm Art 6 EMRK“ macht die Erneuerungswerberin geltend, sie sei wegen eines „nicht angeklagten Lebenssachverhalts“ verurteilt worden. Es sei einem Richter nicht möglich, „durch eine nicht angebrachte rechtswidrige Belehrung den Fehler der Staatsanwaltschaft [zu] verbessern“.

[14] Damit wird der Antrag bezogen auf die hier (wie eingangs dargestellt) allein relevante Behauptung einer Verletzung des Art 6 MRK – im Übrigen unter grundlegender Verkennung des prozessualen Tatbegriffs (vgl Lewisch, WK‑StPO § 262 Rz 27 ff) – ohne methodengerechte Ableitung der aufgestellten Rechtsbehauptung aus der reklamierten Grundrechtsverheißung bloß unter scheinbarer Berufung auf ein Grundrecht gestellt (vgl RIS‑Justiz RS0128393).

[15] Soweit eine Verletzung der Begründungspflicht nach Art 6 Abs 1 MRK behauptet wird, wiederholt der Antrag bloß das Berufungsvorbringen und stellt der Beweiswürdigung des Oberlandesgerichts weitwendig eigenständige Erwägungen gegenüber. Damit verkennt er, dass die Behandlung von Erneuerungsanträgen gerade nicht eine Auseinandersetzung nach Art einer zusätzlichen Beschwerde- oder Berufungsinstanz bedeutet, sondern sich vielmehr auf die Prüfung der reklamierten Verletzung eines Rechts nach der MRK oder einem ihrer Zusatzprotokolle beschränkt (RIS‑Justiz RS0129606 [insbesondere T3]).

[16] Im Übrigen liegt eine Verletzung der Begründungspflicht aus dem Blickwinkel des Art 6 Abs 1 MRK nur bei willkürlichen oder grob unvernünftigen („arbitrary or manifestly unreasonable“) Urteilsannahmen vor. Dies ist dann der Fall, wenn die Begründung eindeutig unzureichend oder offensichtlich widersprüchlich ist oder eindeutig einen Irrtum erkennen lässt (RIS‑Justiz RS0129981), was auf die eingehende Begründung des Oberlandesgerichts nicht zutrifft (vgl insbesondere US 3 f).

[17] Weshalb Art 6 Abs 3 lit c MRK verletzt sein soll, obwohl die Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht Graz in – vom Erneuerungsantrag gar nicht in Abrede gestellter – Anwesenheit sowohl der Angeklagten als auch ihres Verteidigers durchgeführt worden ist, wird nicht klar (erneut RIS‑Justiz RS0128393).

[18] Ein Verstoß gegen Art 1 des 1. ZPMRK durch den Zuspruch an den Privatbeteiligten wird – auch der Sache nach – erstmals im Erneuerungsverfahren behauptet. Die Antragstellerin hätte bereits im Beschwerdeverfahren nicht nur auf einfachgesetzlicher Ebene argumentieren dürfen, sondern eine Verletzung des nunmehr angesprochenen Grundrechts relevieren müssen (vgl 15 Os 54/16d mwN).

[19] Der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens war daher – im Ergebnis in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 363b Abs 1 und Abs 2 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung als unzulässig zurückzuweisen.

[20] Zum „Antrag auf Entschädigung nach Art 41 EMRK“ ist darauf zu verweisen, dass die StPO einen antragsgebundenen Kostenbeitrag des Bundes nur für den Fall vorsieht, dass der ursprünglich Angeklagte im erneuerten Verfahren freigesprochen oder das erneuerte Verfahren eingestellt wird (§ 393a StPO).

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