European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132230
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
I. Der Antrag der klagenden Partei auf Nichtigerklärung, in eventu Aufhebung des Beschlusses vom 15. Juni 2020, mit dem das Erstgericht den Streitwert mit 20.000 EUR festgesetzt hat, wird zurückgewiesen.
II. Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.332,54 EUR (darin 222,09 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] I. Eine Anrufung des Obersten Gerichtshofs in einer Kostenfrage scheidet wegen § 528 Abs 2 Z 3 ZPO jedenfalls aus (vgl zu § 7 RATG RS0120192). Der Antrag des Klägers ist daher zurückzuweisen.
[2] II. Am 23. Juli 2015 schloss der Kläger bei der Beklagten eine Rechtsschutzversicherung ab.
[3] Auf den Vertrag sind die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz‑Versicherung (ARB 2011) anzuwenden. Diese lauten auszugsweise wie folgt:
„ Artikel 2
Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?
1. […]
3. In den übrigen Fällen – insbesondere auch für die Geltendmachung eines reinen Vermögensschadens […], sowie für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen wegen reiner Vermögensschäden […] – gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen.
Bei mehreren Verstößen ist der erste, adäquat ursächliche Verstoß maßgeblich, wobei Verstöße, die länger als ein Jahr vor Versicherungsbeginn zurückliegen, für die Feststellung des Versicherungsfalles außer Betracht bleiben. […]
Artikel 3
Für welchen Zeitraum gilt die Versicherung?
(Zeitlicher Geltungsbereich)
1. Die Versicherung erstreckt sich grundsätzlich auf Versicherungsfälle, die während der Laufzeit des Versicherungsvertrages eintreten. [...]“
[4] Die Geschäfts- und Wahlordnung zum Landesorganisationsstatut des K* (in der Folge Verein) bestimmt, dass der Landesobmann den Verein nach außen vertritt. K* war langjähriger Obmann des Vereins. Er wurde am 11. Juni 2013 vom Landestag des Vereins neuerlich zum Obmann gewählt. Am 22. August 2013 hob das Landesschiedsgericht diese Wahl auf. In der Folge wurde Ing. C* am 20. Dezember 2013 vom Landestag des Vereins zum Obmann gewählt und im Vereinsregister eingetragen. Am 26. Februar 2014 stellte das Landesschiedsgericht fest, dass der am 20. Dezember 2013 stattgefundene Landestag und unter anderem auch die an diesem Tag durchgeführten Wahlen statutenkonform waren. Der Streit um die Frage, wer rechtmäßiger Obmann des Vereins sei, wurde in der Folge in mehreren Gerichtsverfahren behandelt, wie etwa im Verfahren 77 * (Widerklage zu 77 *) des Landesgerichts Klagenfurt zwischen dem Verein und K* oder im Verfahren 50 * des Bezirksgerichts Klagenfurt zwischen Mag. B* und (unter anderem) dem Verein (vgl dazu 9 Ob 24/15t [9 Ob 25/15i]).
[5] Mit Klage vom 22. Dezember 2016 begehrte der Kläger zu 35 * des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht (in der Folge Ausgangsverfahren) vom Verein (unter anderem) Zahlung von (brutto) 130.011,30 EUR. Er wäre aufgrund der Zusage von K* und seiner Bestellung zum Landesgeschäftsführer des Vereins ab 1. Jänner 2014 als Angestellter des Vereins zu entlohnen gewesen. Aufgrund der Streitigkeiten im Verein, die von Ing. C* ausgegangen seien und sich gegen die Obmannschaft von K* sowie gegen den diesem loyalen Kläger gerichtet hätten, sei es zu keiner (Weiter-)Beschäftigung des Klägers gekommen. Durch die „illegale Wahl“ von Ing. C* habe der Verein rechtswidrig in das Arbeitsverhältnis des Klägers eingegriffen. Bei normalem Lauf der Dinge wäre der Kläger bis 10. Juni 2017 als Landesgeschäftsführer des Vereins entgeltlich tätig gewesen und hätte auch seit 1. Jänner 2014 ein Gehalt bezogen, das nunmehr offen sei.
[6] Im Ausgangsverfahren beantragte der Kläger in der (vorbereitenden) Tagsatzung am 21. Februar 2017 die Erlassung eines Versäumungsurteils mit der wesentlichen Begründung, die Beklagtenvertreter seien nicht vom rechtmäßigen organschaftlichen Vertreter des Vereins (K*), sondern vom „illegal gewählten“ Ing. C* bevollmächtigt worden, sodass der beklagte Verein nicht wirksam vertreten sei. Diesen Antrag wies das Landesgericht Klagenfurt mit Beschluss vom 4. Oktober 2017 ab. Das Oberlandesgericht Graz gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Klägers mit Beschluss vom 22. März 2018 zu 6 * keine Folge. Den Revisionsrekurs des Klägers wies der Oberste Gerichtshof zu 9 ObA 69/18i gemäß § 528 Abs 2 Z 2 ZPO zurück.
[7] Im vorliegenden Verfahren begehrt der Kläger Rechtsschutzdeckung für ein von ihm anzustrengendes Amtshaftungsverfahren gegen die Republik Österreich mit der wesentlichen Begründung, die Abweisung des Antrags auf Erlassung des Versäumungsurteils durch das Erstgericht und die bestätigende Entscheidung des Rekursgerichts im Ausgangsverfahren seien unvertretbar gewesen. Der Versicherungsfall sei die Rekursentscheidung aus dem Jahr 2018.
[8] Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Sie wendet (unter anderem) mangelnde Erfolgsaussicht der Amtshaftungsklage sowie Vorvertraglichkeit des Schadensereignisses ein, weil der Schaden in der behaupteten rechtswidrigen Wahl aus dem Jahr 2013 liege.
[9] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und führte rechtlich zusammengefasst aus, der Kläger behaupte einen schuldhaften Verstoß gegen Rechtsvorschriften bei der Beurteilung der Voraussetzungen einer Säumnis, welcher mit dem Zeitpunkt der Rekursentscheidung im Ausgangsverfahren aus dem Jahr 2018 anzunehmen sei. Das vom Kläger beabsichtigte Amtshaftungsverfahren sei jedoch aussichtslos. Eine besondere Sorgfaltswidrigkeit im Sinn des Abgehens von einer klaren Gesetzeslage oder der ständigen Rechtsprechung zeige der Kläger nämlich gar nicht auf.
[10] Das Berufungsgericht gab der dagegen vom Kläger erhobenen Berufung nicht Folge. Es ging rechtlich davon aus, dass die Amtshaftungsklage ausgehend vom Klagsvorbringen schon deshalb aussichtslos sei, weil wegen der unwirksamen Zustellung der Ladung an die Beklagte im Ausgangsverfahren kein Versäumungsurteil erlassen hätte werden dürfen. Die ordentliche Revision wurde mit der Begründung zugelassen, dass die Frage der Heilung nach § 7 ZustG wegen tatsächlichen Zukommens einer Sendung durch Übermittlung einer elektronisch ausgefertigten Ladung als Kopie im Zuge einer Streitverkündung in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs noch nicht behandelt worden sei.
[11] Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[12] Die Beklagte beantragt in ihrerRevisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[13] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
[14] 1. Die geltend gemachten Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens sowie der Aktenwidrigkeit wurden geprüft; sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
[15] 2. Nach Art 2.1 ARB 2011 gilt im Schadenersatz-Rechtsschutz grundsätzlich das zugrundeliegende Schadensereignis als Versicherungsfall, dies gilt jedoch nicht für reine Vermögensschäden, die weder auf einen Personen- noch auf einen Sachschaden zurückgehen – dh Schäden, die jemand ohne Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts erleidet (vgl näher 7 Ob 140/12g zu den ARB 2005; 7 Ob 32/18h zu den ARB 2007).
[16] Der Kläger macht keinen Eingriff in ein absolut geschütztes Rechtsgut geltend, sondern begehrt Deckung für die Geltendmachung reiner Vermögensschäden, die sich nach Art 2.3. ARB 2011 richtet. Der Versicherungsfall für die vom Kläger angestrebte Amtshaftungsklage wird somit durch die Verstoßtheorie bestimmt (im Gegensatz zu anderen Bedingungslagen: RS0123768).
[17] 3. Bei reinen Vermögensschäden gilt nach Art 2.3 ARB 2011 der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften als Versicherungsfall.
[18] 3.1. Es bedarf daher eines gesetzwidrigen oder vertragswidrigen Verhaltens eines Beteiligten, das als solches nicht sofort oder nicht ohne Weiteres nach außen zu dringen braucht. Ein Verstoß ist ein tatsächlich objektiv feststellbarer Vorgang, der immer dann, wenn er wirklich vorliegt oder ernsthaft behauptet wird, den Keim eines Rechtskonflikts in sich trägt, der zur Aufwendung von Rechtskosten führen kann. Damit beginnt sich die vom Rechtsschutzversicherer übernommene Gefahr konkret zu verwirklichen. Es kommt nicht darauf an, ob der Handelnde sich des Verstoßes bewusst oder infolge von Fahrlässigkeit oder unverschuldet nicht bewusst war. Es soll sich um einen möglichst eindeutig bestimmbaren Vorgang handeln, der in seiner konfliktauslösenden Bedeutung für alle Beteiligten, wenn auch erst nachträglich, erkennbar ist. Es kommt weder auf den Zeitpunkt an, zu dem die Beteiligten von ihm Kenntnis erlangten, noch darauf, wann aufgrund des Verstoßes Ansprüche geltend gemacht oder abgewehrt werden (RS0114001). Ein Gesetzes- oder Pflichtenverstoß, mag er auch die spätere Rechtsverfolgung des Versicherungsnehmers adäquat‑kausal begründet haben, kann den Versicherungsfall aber erst auslösen und damit den Zeitpunkt des Verstoßes in Bezug auf den konkreten Versicherungsnehmer in der Rechtsschutzversicherung festlegen, wenn dieser erstmals davon betroffen, dh in seinen Rechten beeinträchtigt wird oder worden sein soll (vgl 7 Ob 32/18h). Das Erfordernis der Adäquanz bedeutet, dass der Verstoß für sich betrachtet geeignet sein muss, den Konflikt auszulösen, oder zumindest erkennbar nachgewirkt und den Streit nach dem Vorliegen weiterer Verstöße noch mitausgelöst haben muss (vgl RS0114001 [T3]; Maier in Harbauer, Rechts‑schutzversicherung8 § 4 ARB 2000 Rn 46; Piontek in Prölss/Martin, VVG31 ARB 2010 § 4 Rn 52). Entscheidend ist daher, ob die behauptete Pflichtverletzung Grundlage einer rechtlichen Streitigkeit wird (Maier aaO).
[19] 3.2. Bei mehreren (gleichartigen) Verstößen ist auf den ersten abzustellen (RS0114209). Ist kein einheitliches Verstoßverhalten des Schädigers erkennbar, handelt es sich bei einzelnen schädigenden Verhaltensweisen jeweils um einen rechtlich selbständigen neuen Verstoß. Die Beweislast für den Eintritt des Versicherungsfalls im versicherten Zeitraum in einem solchen Fall trifft den Versicherungsnehmer. War nach der Sachlage schon beim ersten Verstoß mit weiteren gleichartigen Verstößen zu rechnen, liegen in der Regel nicht mehrere selbständige Verstöße, sondern es liegt ein einheitlicher Verstoß im Rechtssinn vor. Dies kann sowohl bei vorsätzlichen Verstößen der Fall sein, bei denen der Wille des Handelnden von vornherein den Gesamterfolg umfasst und auf dessen „stoßweise Verwirklichung“ durch mehrere gleichartige Einzelhandlungen gerichtet ist, wie auch bei Fällen gleichartiger fahrlässiger Verstöße, die unter wiederholter Außerachtlassung derselben Pflichtenlage begangen werden (RS0111811).
[20] 3.3. Nach Ansicht des Klägers war der Obmannwechsel rechtswidrig und Vertretungshandlungen von Ing. C* im Namen des Vereins ihm gegenüber unwirksam. Diese behauptete „illegale Wahl“ war der Zeitpunkt, zu dem Dritte (Ing. C* und die Gruppe um ihn) begonnen haben sollen, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. In seinen Rechten beeinträchtigt war der Kläger durch den behaupteten rechtswidrigen Obmannwechsel aber erst, als er im Verein ab 1. Jänner 2014 nicht mehr (bis zum 10. Juni 2017) „weiterbeschäftigt“ wurde und daher auch kein Gehalt erhielt. Erst damit begann sich die vom Rechtsschutzversicherer in Bezug auf den Kläger konkret übernommene Gefahr durch den Dauerverstoß zu verwirklichen.
[21] Für das am 22. Dezember 2016 eingeleitete Ausgangsverfahren, in dem er sein ausstehendes Gehalt (seit 1. Jänner 2014) einklagte, bestand keine Rechtsschutzdeckung. Der Rechtsschutzversicherungsvertrag wurde erst am 23. Juli 2015 geschlossen. Aufgrund des Dauerverstoßes (Handlungen eines nicht befugten Vertreters des Arbeitgebers) ist Vorvertraglichkeit gegeben. Die in Art 2.3 ARB 2011 normierte Jahresfrist bezieht sich ihrem Wortlaut nach nur auf das Vorliegen mehrerer Verstöße und nicht auf einen – wie hier – Dauerverstoß (vgl 7 Ob 32/18h zu ARB 2007). In diesem Vorverfahren war die Frage, ob rechtmäßig ein Obmannwechsel stattgefunden hat und ob Ing. C* oder sein Vorgänger vertretungsbefugt für den beklagten Verein ist, sowohl für die Beurteilung der Klagsforderung als auch (ident) für den Antrag des Klägers auf Erlassung eines Versäumungsurteils, weil der seiner Meinung nach rechtmäßige Obmann untätig geblieben sei, zentral.
[22] Der Amtshaftungsanspruch stützt sich neuerlich nur auf genau diese Streitigkeit, wenn auch im Sinn des AHG. Diese Frage sei von den Gerichten unvertretbar gelöst worden. Mit der Amtshaftungsklage will der Kläger damit gleichsam nachträglich (wenn auch mit durch das AHG eingeschränkten Prüfungsumfang) Rechtsschutzdeckung für dieselbe Streitigkeit, für die wegen Vorvertraglichkeit keine Deckung besteht, erlangen. Der Verstoß (Obmannwechsel) wirkte erkennbar nach und löste damit nach der Lebenserfahrung auch weitere gerichtliche Verfahren aus. Insofern war er für die beabsichtigte Geltendmachung des Amtshaftungsanspruchs „adäquat kausal“, dh mitverantwortlich. Der vorvertragliche Streit war der Keim des Rechtskonflikts für das Ausgangsverfahren und das nun beabsichtigte Amtshaftungsverfahren. Wird also ein Amtshaftungsanspruch ausschließlich auf die Fehlbeurteilung von Streitigkeiten (Rechtsfrage) gestützt, für deren Durchsetzung wegen Vorvertraglichkeit keine Rechtsschutzdeckung besteht, so besteht auch für dessen beabsichtigte Geltendmachung kein Deckungsanspruch, weil der vorvertragliche Verstoß dafür mitverantwortlich und damit für das Amtshaftungsverfahren adäquat kausal ist.
[23] 3.4. Das Klagebegehren ist somit wegen Vorvertraglichkeit abzuweisen.
[24] 4. Die Revision ist daher nicht berechtigt.
[25] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
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