European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00099.21H.0623.000
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
[1] Die Eltern lebten mit dem Kind im Haus der Mutter in P***** im Sprengel des Bezirksgerichts Mattighofen. Im Jänner 2019 trennten sich die Eltern und der Vater verließ das Haus. Die Obsorge für das Kind kommt den Eltern gemeinsam zu, sein hauptsächlicher Aufenthalt ist bei der Mutter festgelegt. Ein Verfahren zur Regelung des Kontaktrechts wurde letztlich am 5. 11. 2020 einvernehmlich beendet.
[2] Am 28. 12. 2020 beantragte der Vater die Herabsetzung seiner Unterhaltsverpflichtung, weil sich sein Einkommen verringert habe. Im Zuge der zustimmenden Äußerung zu diesem Antrag beantragte das Kind am 13. 1. 2021 die Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 JN an das Bezirksgericht Thalgau. Es sei seit 1. 12. 2020 unter der Adresse ***** H*****, wohnsitzlich gemeldet und habe dort seinen Lebensmittelpunkt. Es wohne – gemeinsam mit der Mutter – im Haus der mütterlichen Großeltern.
[3] Mit Beschluss vom 19. 1. 2021, GZ 9 Pu 84/19h‑25, verfügte das Bezirksgericht Mattighofen durch seine Rechtspflegerin die entsprechende Zuständigkeitsübertragung hinsichtlich der Personensorge/Unterhaltssache.
[4] Mit Eingabe vom 29. 1. 2021 beantragte die Mutter beim Bezirksgericht Mattighofen die Aussetzung des Kontaktrechts des Vaters und stellte mit der oben angeführten Begründung (neuerlich) einen Antrag auf Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 JN an das Bezirksgericht Thalgau. Der Vater beantragte die Abweisung dieser Anträge, die Verhängung einer Beugestrafe über die Mutter wegen Vereitelung des Kontaktrechts, die Entziehung der mütterlichen und die Übertragung der gemeinsamen Obsorge neben dem Vater an den Kinder- und Jugendhilfeträger. Mit Ausnahme einer Information an den Kinder- und Jugendhilfeträger führte das Bezirksgericht Mattighofen bisher kein Beweisverfahren durch.
[5] Das Bezirksgericht Thalgau lehnte die Übernahme der Zuständigkeit ab. Nach der Aktenlage halte sich das Kind nur an den Wochenenden bei den mütterlichen Großeltern auf. Eine Verlegung des Lebensmittelpunkts des Kindes sei daher nicht gegeben; von einem stabilen Aufenthalt im Sprengel des übernehmenden Gerichts könne jedenfalls nicht gesprochen werden.
[6] Daraufhin stellte das Bezirksgericht Mattighofen den Übertragungsbeschluss vom 19. 1. 2021 den Verfahrensbeteiligten zu. Nach Eintritt der Rechtskraft legte es den Akt dem Oberlandesgericht Linz zur Entscheidung nach § 111 Abs 2 JN vor.
[7] Mit dem angefochtenen Beschluss sprach das Oberlandesgericht Linz als übergeordnetes Gericht iSd § 111 Abs 2 JN aus, die Übertragung der Zuständigkeit nicht zu genehmigen. Die polizeiliche Meldung des Wohnsitzes sei nicht alleine entscheidend, weil es primär auf den tatsächlichen Mittelpunkt der Lebensführung ankomme. Nach der Aktenlage sei aber nicht gesichert, dass das Kind nunmehr seinen Lebensmittelpunkt im Sinne eines dauerhaften stabilen Aufenthalts in H***** habe. Die Mutter sei nach wie vor Alleineigentümerin der bisherigen Wohnsitzliegenschaft in P*****. Noch im November 2020 habe die Mutter ausgesagt, dass sie mit ihrer Tochter grundsätzlich jede Woche ab Montag oder Dienstag im Haus in P***** sei. Wenn sie am Freitag arbeiten müsse, würde sie bereits Freitagmittag nach H***** zu ihren Eltern fahren (die das Kind währenddessen betreuen), ansonsten erst am Samstag. Am Sonntag arbeite sie grundsätzlich immer. Ab 1. 12. 2020 arbeite sie zwar (statt 11) 20 Stunden pro Woche, die sich aber ebenfalls auf Freitag, Samstag und Sonntag aufteilten. Angaben, warum bzw inwiefern sich die Wohnsituation des Kindes nunmehr dauerhaft geändert haben sollte, seien nicht erfolgt. Überdies wäre eine Übertragung nur des Unterhalts‑(teil‑)akts, auf die sich der Übertragungsbeschluss offenbar beziehe, wegen der offenen weiteren Anträge nicht zweckmäßig.
[8] Dagegen richtet sich der rechtzeitige Rekurs der Mutter mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die Übertragung der Zuständigkeit genehmigt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[9] Der Vater beteiligte sich nicht am Rekursverfahren.
Rechtliche Beurteilung
[10] Der Rekurs ist zulässig (RS0047005; 3 Ob 137/14i), er ist aber nicht berechtigt.
[11] 1. Die Übertragung der Zuständigkeit an ein anderes Gericht nach § 111 JN setzt voraus, dass dies im Interesse des Pflegebefohlenen gelegen erscheint. Dies trifft dann zu, wenn dadurch die wirksame Handhabung des dem Pflegebefohlenen zugedachten Schutzes voraussichtlich gefördert wird (RS0046929). In der Regel entspricht es den Kindesinteressen besser, wenn als Pflegschaftsgericht jenes Gericht tätig wird, in dessen Sprengel der tatsächliche Mittelpunkt der Lebensführung des Kindes liegt (RS0047300). Darauf, wo das Kind polizeilich gemeldet ist, kommt es nicht an (6 Ob 22/18i; vgl RS0047300 [T6]). Ein örtliches Naheverhältnis zwischen dem Pflegschaftsgericht und dem Minderjährigen ist regelmäßig zweckmäßig und von wesentlicher Bedeutung. Besteht daher dieses Naheverhältnis zwischen dem ursprünglich zuständigen Gericht und dem Minderjährigen nicht mehr, verlegt dieser also insbesondere den Mittelpunkt seiner gesamten Lebensführung (stabil) in einen anderen Gerichtssprengel, so kann die Zuständigkeit übertragen werden (6 Ob 21/17s).
[12] 2. Das Oberlandesgericht Linz hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Behauptung, das Kind habe den Mittelpunkt seiner Lebensführung nunmehr bei den mütterlichen Großeltern, nicht der Aktenlage entspricht. Danach hält sich das Kind mit der Mutter an fast allen Wochentagen am bisherigen Wohnort im Haus der Mutter in P***** und lediglich an den Wochenenden bei den mütterlichen Großeltern auf. Dass das Kind nunmehr ausschließlich bei den Großeltern wohne und sich an den aktenkundigen Wohn- und Betreuungsverhältnissen etwas geändert hätte, wurde auch gar nicht behauptet. Der bloße Umstand, dass das Kind bei den mütterlichen Großeltern polizeilich gemeldet ist, ist nicht ausschlaggebend.
[13] Die Beurteilung des Oberlandesgerichts Linz, dass daher nicht von einem Lebensmittelpunkt im Sinne eines dauernden stabilen Aufenthalts bei den mütterlichen Großeltern gesprochen werden kann und daher derzeit keine ausreichende Grundlage für eine Zuständigkeitsübertragung vorliegt, ist nicht zu beanstanden; im Übrigen hat schon die Entscheidung 8 Ob 13/19y bei vergleichbaren Sachverhalten ausgeführt, dass in einer solchen Situation das für den Aufenthaltsort während der Woche zuständige Pflegschaftsgericht besser für die Führung des Verfahrens geeignet sei. Daran ändert auch der erstmals im Rekurs erfolgte Hinweis darauf, dass das Kind ab Herbst 2021 einen Kindergarten am Wohnort der Großeltern besuchen werde, nichts. Solange eine Verlegung des Lebensmittelpunkts noch nicht erfolgt ist, kommt eine Änderung der Zuständigkeit grundsätzlich nicht in Betracht.
[14] 3. Weshalb das Bezirksgericht Thalgau derzeit dennoch besser für die Führung des Verfahrens geeignet sein sollte, legt die Mutter in ihrem Rechtsmittel ohnehin nicht dar. Eine Anfahrt zu Gericht ist in der Regel nur an Werktagen erforderlich, sodass die in erster Instanz behaupteten kürzeren Anfahrtswege dem Kind und der Mutter nicht zugute kämen.
[15] 4. Dem unberechtigten Rekurs ist somit ein Erfolg zu versagen.
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