OGH 4Ob42/21m

OGH4Ob42/21m27.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden unddie Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Matzka sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj D***** M*****, geboren am ***** 2012, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter S***** B*****, vertreten durch Dr. Martin Mahrer, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 6. November 2020, GZ 44 R 348/20g‑277, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00042.21M.0527.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] Gemäß § 105 Abs 1 AußStrG hat das Gericht Minderjährige in Verfahren über Pflege und Erziehung oder die persönlichen Kontakte persönlich zu hören. Der Minderjährige kann auch durch den Kinder‑ und Jugendhilfeträger, die Familiengerichtshilfe, durch Einrichtungen der Jugendgerichtshilfe oder in anderer geeigneter Weise, etwa durch Sachverständige, gehört werden, wenn er das zehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, wenn dies seine Entwicklung oder sein Gesundheitszustand erfordert oder wenn sonst eine Äußerung der ernsthaften und unbeeinflussten Meinung des Minderjährigen nicht zu erwarten ist.

[2] Nach Abs 2 leg cit hat die Befragung zu unterbleiben, soweit durch sie oder durch einen damit verbundenen Aufschub der Verfügung das Wohl des Minderjährigen gefährdet wäre oder im Hinblick auf die Verständnisfähigkeit des Minderjährigen offenbar eine überlegte Äußerung zum Verfahrensgegenstand nicht zu erwarten ist.

[3] Im vorliegenden Obsorgestreit wäre die Anhörung des Minderjährigen bereits vom Erstgericht vorzunehmen oder zu veranlassen gewesen. Sie ist aber unterblieben. Das Rekursgericht, dem der Akt samt Rechtsmittel erst zehn Monate nach dem Datum der Entscheidung des Erstgerichts vorgelegt wurde, hat sodann ergänzende Erhebungen gepflogen und schließlich den Vater mit der vorläufigen alleinigen Obsorge für das Kind betraut. Zuvor hatte es ebenfalls den Minderjährigen nicht zur Frage des Obsorgewechsels angehört, und zwar erkennbar deshalb, weil durch einen weiteren Aufschub der vorläufigen Obsorgeentscheidung das Wohl des Minderjährigen gefährdet gewesen wäre. Dies ist unter den gegebenen Umständen im Verfahren über die vorläufige Obsorge noch vertretbar. Das Erstgericht wird aber im weiteren Verfahren über die endgültige Obsorge eine Anhörung des Minderjährigen nach § 105 Abs 1 AußStrG jedenfalls vorzunehmen haben.

[4] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter gegen die Übertragung der vorläufigen alleinigen Obsorge an den Vater zeigt abgesehen von der fehlenden Kindesanhörung keine rechtserheblichen Punkte auf. Er ist daher zurückzuweisen.

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