OGH 9Ob9/21w

OGH9Ob9/21w27.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden und durch die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat Dr. Hargassner sowie die Hofrätin Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. M***** Betriebs‑ und Liegenschaftsgesellschaft mbH & Co KG und 2. M*****, beide per Adresse *****, beide vertreten durch Stanek Raidl Konlechner Rechtsanwälte OG in Wien, und des Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei M*****, vertreten durch Mag. Hans‑Rainer Rienmüller, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. K***** Rechtsanwälte OG, 2. MMag. T*****, Rechtsanwalt, 3. Dr. D*****, Rechtsanwalt, alle *****, alle vertreten durch Dr. Heinz Stöger, Rechtsanwalt in Wien, wegen 1. (erstklagende Partei) 1.000.272,20 EUR sA und Feststellung (Feststellungsinteresse 17.500 EUR) und 2. (zweitklagende Partei) 554.928,93 EUR sA und Feststellung (Feststellungsinteresse 17.500 EUR), (Gesamtstreitwert 1.590.201,13 EUR sA) infolge außerordentlicher Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. November 2020, GZ 2 R 69/20m‑45, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0090OB00009.21W.0527.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerinnen nehmen die Beklagten wegen Verstoßes gegen rechtsanwaltliche Aufklärungspflichten in Anspruch.

[2] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

[3] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerinnen nicht Folge und ließ die ordentliche Revision nicht zu.

[4] Die außerordentliche Revision der Klägerinnen ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

[5] 1. Wie weit die rechtsanwaltliche Belehrungs- und Aufklärungspflicht jeweils reicht, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0026419 [T10]).

[6] 2.1 Das Berufungsgericht hat die Rechtsprechung zur Haftung eines berufsmäßigen Vertragserrichters (Rechtsanwalts) zutreffend wiedergegeben. Danach ist der Vertragserrichter allen Vertragspartnern gegenüber zur sorgfältigen Wahrung ihrer Interessen verpflichtet. Die Vertragsparteien können darauf vertrauen, dass sie der Vertragsverfasser vor Nachteilen schützt und für ihre rechtliche und tatsächliche Sicherheit sorgt (7 Ob 104/10k mwN; RS0023549 [T6, T7, T17, T27]; RS0026380). Insbesondere hat ein Rechtsanwalt als Vertragsverfasser auf Bedenken gegen ein beabsichtigtes Geschäft aufmerksam zu machen, bevor er den Vertrag verbindlich festlegt (RS0026419).

[7] 2.2 Wollen die Parteien aber einen von ihnen bereits abgeschlossenen Vertrag nur mehr in die entsprechende juristische Form bringen, so trifft den Vertragserrichter in der Regel lediglich die Pflicht, das Vereinbarte entsprechend zu formulieren und sinnvolle Ergänzungen vorzunehmen. Es ist dann nicht seine Aufgabe, auf eine Abänderung des abgeschlossenen Vertrags hinzuwirken (1 Ob 53/10s; RS0026707 [T2]).

[8] 3.1 Nach den Feststellungen des Erstgerichts schuldete nicht die Erstbeklagte, sondern eine Dritte den Klägerinnen die Planung und Strukturierung der Gesamttransaktion (Liegenschaftstransaktion, Baurechtseinräumung). Die Beklagten waren in die Erstellung oder Präsentation des Finanzierungskonzepts nicht eingebunden. Erst nach Einigung über das Finanzierungsmodell (und Einholung weiterer Informationen durch die GmbH zur Grunderwerbssteuerbefreiung) wurde die Erstbeklagte von der Dritten beauftragt, den Kaufvertrag, den Baurechtsvertrag und die Anleihebedingungen zu erstellen und als Treuhänderin die Abwicklung der Transaktion zu übernehmen, wodurch der Zweitbeklagte die treuhändige Zahlungsabwicklung des Anleihebetrags und die Abwicklung der grundbücherlichen Durchführung (auch) für die Klägerinnen übernahm.

[9] 3.2 Dieser Sachverhalt ist im Sinne obiger Rechtsprechung dahin zu verstehen, dass die Klägerinnen schon im Vorfeld eine Wahl des Finanzierungskonzepts getroffen hatten. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Beklagten hätten unter diesen Umständen lediglich die Pflicht gehabt, das zwischen den Klägerinnen Vereinbarte (Kauf‑ und Baurechtsvertrag sowie den Bürgschaftsvertrag) entsprechend umzusetzen, nicht aber in den Willen der Klägerinnen über die gewählte Finanzierungskonstruktion einzugreifen und ihnen von sich aus mögliche andere Finanzierungsmodelle vorzuschlagen und gebührenvermeidende Alternativen zu präsentieren, hält sich im Rahmen der erörterten Judikatur und wirft keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Ist den Beklagten keine Aufklärungspflichtverletzung anzulasten, stellen sich Fragen zum hypothetischen Kausalverlauf nicht.

[10] 4. Dass der Abschluss der Verträge gemeinderatspflichtig war und vor Genehmigung durch das Land als Aufsichtsbehörde schwebend unwirksam war (RS0014664 [T22]), vermag nichts daran zu ändern, dass nach den Feststellungen bereits zum Zeitpunkt der Beauftragung der Erstbeklagten durch die Dritte eine Wahl des Finanzierungsmodells getroffen war. Wie weiters auch feststeht, hatten die Klägerinnen bei dieser Entscheidung das Vorliegen eines Befreiungstatbestands nach § 17 GrESt nicht als Voraussetzung oder Bedingung angesehen.

[11] 5. Im Übrigen hat die Erstbeklagte bzw der Zweitbeklagte nach Vorliegen der Bescheide des Finanzamts für Gebühren und Verkehrssteuern und Glücksspiel vom 29. 11. 2013, mit denen die Anträge auf Nichtfestsetzung der Grunderwerbssteuer für den Kauf- und Baurechtsvertrag (erstmals) abgewiesen worden waren, nicht nur zur Bekämpfung dieser Bescheide im Instanzenzug geraten, sondern ist mit dem Geschäftsführer der Dritten übereingekommen, dass dieser den Klägerinnen ein von der GmbH entworfenes, abgeändertes Konzept einer besicherten, direkt von der Zweitklägerin begebenen Anleihe („Direktanleihe“) als Alternative präsentieren sollte. Dieses Modell wies den Vorteil auf, dass sich die Frage nach einer Grunderwerbssteuer mangels Liegenschaftstransaktionen nicht gestellt hätte und auch keine Eintragungsgebühr angefallen wäre. Wie feststeht, wurde dieses Modell aber vom damaligen Bürgermeister der Zweitklägerin und deren damaligen Amtsleiter mit der Begründung abgelehnt, dass die Anleihe allein mit den Liegenschaften der Zweitklägerin nicht hätte besichert werden können, sodass sie das mit dem zuvor bereits gewählten Modell verbundene „Restrisiko“ (der Grunderwerbssteuerpflicht) in Kauf nahmen. Davon wurde der Zweitbeklagte in Kenntnis gesetzt. Ausgehend von diesen Feststellungen hält sich die Ansicht des Berufungsgerichts im Rahmen der ständigen Rechtsprechung, nach der sich das erforderliche Ausmaß der Belehrung ua nach dem Wissensstand und den Kenntnissen der Parteien richtet (RS0026584 [T19]). Vom Vertragsverfasser wird nicht verlangt, die Vertragsschließenden zusätzlich selbst noch über Umstände aufzuklären, die sie bereits kannten (RS0023549 [T20]).

[12] 6. Auch mit dem Vorbringen, die Vorinstanzen hätten übersehen, dass die Überlegungen eines Amtsleiters oder Amtsleiterstellvertreters nicht den Willen einer Gemeinde als Gebietskörperschaft definieren könnten, sondern bei gemeinderatspflichtigen Geschäften allein die Willensbildung im Gemeinderat entscheidend sei, wird keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt. Die Vorinstanzen sind in jedenfalls vertretbarer Weise davon ausgegangen, dass der Nebenintervenient auf Seiten der Klägerinnen als Geschäftsführer der Komplementärin der Erstklägerin und (stellvertretender) Amtsleiter der Zweitklägerin (in dessen Zuständigkeitsbereich Finanzierungsangelegenheiten fielen), Erklärungsempfänger der Klägerinnen war und sie sich sein Verhalten und auch seinen Wissensstand zurechnen lassen müssen (RS0016312 [T4], RS0009172 [T3, T17]).

[13] 7. Nach den Feststellungen hat der Zweitbeklagte auch nach Vorliegen der abschlägigen Bescheide des Finanzamts die Möglichkeit, doch noch eine Grunderwerbssteuerbefreiung zu erlangen, positiv eingeschätzt, aber zu keinem Zeitpunkt eine Grunderwerbssteuerfreiheit der Transaktionen garantiert oder zugesagt (Ersturteil AS 26). Von dieser Feststellung entfernt sich die außerordentliche Revision, wenn sie aus einer Passage der vom Zweitbeklagten adaptierten Vertragsentwürfe eine derartige Zusage ableiten will, lag doch der Zweck dieser (nach Vertragsaufhebung) adaptierten neuen Vertragsentwürfe nur darin, die von den Vertretern des Finanzamts im Rahmen einer Besprechung ausgesendeten „Signale“ durch eine entsprechende Vertragsgestaltung mit dem Ziel umzusetzen, (in einem zweiten Versuch) durch einen neuerlichen Antrag auf Nichtfestsetzung der Grunderwerbssteuer die Grunderwerbssteuerfreiheit doch noch zu erreichen.

[14] 8. In den vom Zweitbeklagten im Namen der Erstbeklagten verfassten Entwürfen des Kauf- und Baurechtsvertrags wird auf eine etwaige anfallende Grunderwerbssteuer ausdrücklich hingewiesen und auf dem Treuhandkonto für die möglicherweise anfallende Grunderwerbssteuer ein Betrag einbehalten. Demgegenüber findet sich in der Bürgschaftserklärung kein Hinweis auf damit verbundene Gebühren (die bis zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung noch nicht angefallen sind). Nach den erstgerichtlichen Feststellungen war diese – den Beklagten von den Klägerinnen zur Last gelegte – Unterlassung aber nicht schadenskausal, weil nicht festgestellt werden konnte, dass die Klägerinnen die Bürgschaft nicht abgeschlossen oder vom gewählten Modell Abstand genommen hätten, wenn sie die Erstbeklagte über etwaige Gebühren im Zusammenhang mit der Bürgschaft in Kenntnis gesetzt hätte. Das Berufungsgericht hat die dazu erhobene Tatsachenrüge als nicht stichhältig erachtet, sodass der Oberste Gerichtshof an diese Feststellung gebunden ist. Sie kann im Revisionsverfahren nicht mehr angegriffen werden (RS0123663 [T2]).

[15] 9.1 Letztlich bezeichnen die Revisionswerberinnen die Rechtsansicht des Zweitbeklagten, nach Adaptierung der Verträge wäre eine Grunderwerbssteuerfreiheit doch noch erreichbar, als unvertretbar und erheben den Vorwurf, die Beklagten hätten die Rechtslage völlig verkannt. Dabei setzen sie sich aber über die von der Dritten in Absprache mit den Klägerinnen eingeholte gutachterliche Stellungnahme einer Universitätsprofessorin hinweg, aus der das Fehlen gesicherter Rechtsprechung zur Grunderwerbssteuerfreiheit des Baurechts beim gewählten Anlagemodell deutlich wird. Die Gutachterin gelangte zur Schlussfolgerung, der adaptierte Kauf- und Baurechtsvertrag sei grunderwerbssteuerfrei, machte aber zugleich darauf aufmerksam, dass während der Laufzeit des Vertrags ein „Mehr“ zu Gunsten der Zweitklägerin vorliege, das sich aus der Differenz von Baurecht und Bauwerk ergäbe, welche Differenz man als einen vom GrEStG erfassten Erwerbsvorgang ansehen könnte. Wie man diese „Mehr“ bewerte, könne sie nicht beurteilen. Daraus und aus den (im Einzelnen hier nicht wiedergegebenen weiteren Feststellungen) gelangte das Berufungsgericht zur Ansicht, dass eine mit Risiken behaftete rechtliche Situation im Zusammenhang mit der Grunderwerbssteuerpflicht der abgeschlossenen Vereinbarungen vorlag und den Klägerinnen das Fehlen einer dazu vorhandenen Spruchpraxis bekannt war. Aus welchen konkreten Gründen bei dieser Sachlage die Vorgangsweise des Zweitbeklagten bei pflichtgemäßer Überlegung nicht mehr als vertretbar zu bezeichnen sein sollte, wird in der außerordentlichen Revision nicht dargelegt.

[16] 9.2 Hat sich eine Spruchpraxis zu einer bestimmten Rechtsfrage noch nicht gebildet, kann dem Rechtsanwalt dann kein Vorwurf gemacht werden, wenn ein von ihm eingenommener, an sich vertretbarer Rechtsstandpunkt in der Folge von der Rechtsprechung nicht geteilt werden sollte (RS0023526). Die Ansicht des Berufungsgerichts, den Beklagten könne die (auch auf Grundlage der adaptierten Verträge) erfolgte neuerliche Abweisung des Antrags auf Erlangung der Grunderwerbssteuerfreiheit im Hinblick auf die im vorliegenden Einzelfall gegebenen Umstände nicht als haftungsbegründende Sorgfaltspflichtverletzung zur Last gelegt werden, hält sich im Rahmen dieser Rechtsprechung.

[17] Die außerordentliche Revision der Klägerinnen ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

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