OGH 8ObA25/21s

OGH8ObA25/21s26.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Stelzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Miller, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei R***** GmbH, *****, vertreten durch Schima Mayer Starlinger Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 1.885,17 EUR brutto abzüglich 300 EUR netto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Februar 2021, GZ 7 Ra 13/21i ‑ 21, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:008OBA00025.21S.0526.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger, ein chilenischer Staatsangehöriger, reiste mit einem Working‑Holiday‑Visum für ein Jahr nach Österreich, um Deutsch zu lernen, in Österreich zu arbeiten und Europa zu bereisen. Er befand sich damals nicht in einer Ausbildung.

[2] Vom 26. 3. 2019 bis (zur Dienstnehmerkündigung per) 9. 5. 2019 war er bei der Beklagten beschäftigt. Zu den Aufgaben des Klägers zählten Hilfsarbeitertätigkeiten wie das Grundieren, das Mischen von Mörtel, Reinigungsarbeiten, das Wegräumen von Schutt, die Mithilfe beim Abreißen einer Ziegelmauer und Materialtransport.

[3] Auf das Dienstverhältnis ist der Kollektivvertrag für Bauindustrie und Baugewerbe anwendbar. Nach Punkt VII. der Lohntafel dieses Kollektivvertras sind Praktikanten

a) Pflichtpraktikanten, das sind Schüler und Studenten, die eine im Rahmen des Lehrplanes bzw der Studienordnung vorgeschriebene oder übliche praktische Tätigkeit verrichten, sowie

b) Ferialarbeitnehmer, das sind solche, die nicht unter lit a) fallen und in Zeiten von Schulferien vorübergehend beschäftigt werden.

[4] Die Vorinstanzen gaben dem der Höhe nach unstrittigen Klagebegehren auf Zahlung der sich aus der Einstufung als Praktikant nach Lohngruppe VII. b) des Kollektivvertrags und als Hilfsarbeiter ergebenden Lohndifferenz übereinstimmend statt.

[5] Die außerordentliche Revision der Beklagten zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

Rechtliche Beurteilung

[6] 1. Der Auslegung einer Kollektivvertragsbestimmung kommt dann keine erhebliche Bedeutung zu, wenn die Bestimmung klar und eindeutig ist (RIS-Justiz RS0109942 [T1, T6]).

[7] 2. In erster Linie ist bei der Auslegung eines Kollektivvertrags der Wortsinn zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RS0010089 [T29]). Eine über die Wortinterpretation hinausgehende Auslegung ist (nur) dann erforderlich, wenn die Formulierung mehrdeutig, missverständlich oder unvollständig ist, wobei der äußerst mögliche Wortsinn die Grenze jeglicher Auslegung bildet (RS0031382; RS0010089 [T38]). Weist der Kollektivvertrag eine planwidrige Lücke auf, ist diese entsprechend den allgemeinen Grundsätzen für die Gesetzesauslegung im Weg der Analogie zu schließen (RS0010089 [T40]; RS0008845).

[8] 3.1 Die Vorinstanzen sind zu dem Schluss gekommen, dass der Kläger nach dem Wortlaut des Punktes VII. b) der Lohntafel nicht als „Ferialarbeitnehmer“ einzustufen ist, weil er nicht in Zeiten von Schulferien vorübergehend beschäftigt wurde. Das scheint auch die Beklagte nicht zu bezweifeln. Ihrer Ansicht nach wäre der Kläger aber als „Ferialarbeitnehmer“ im Sinn des Kollektivvertrags einzustufen, weil er über eine Bestätigung des AMS nach § 3 Abs 8 AuslBG (iVm § 1 Abs 4 AuslBG) verfügte, dass die in § 1 Z 14 AuslBVO normierten Voraussetzungen erfüllt sind.

[9] 3.2 Nach § 1 Z 14 AuslBVO sind (unter anderem) Staatsangehörige von Chile, die das 18. Lebensjahr vollendet und das 31. Lebensjahr nicht überschritten haben, hinsichtlich ihrer Beschäftigung während eines längstens zwölfmonatigen Ferienaufenthalts im Bundesgebiet, sofern österreichische StaatsbürgerInnen in diesen Staaten und Gebieten jeweils auf Basis der Gegenseitigkeit unter den gleichen Voraussetzungen eine Beschäftigung aufnehmen dürfen, vom Geltungsbereich des AuslBG ausgenommen. Ziel dieser „Working Holiday Programme“ ist, dass Personen, die einen längerfristigen Ferienaufenthalt in Österreich verbringen wollen, bewilligungsfrei in Österreich arbeiten dürfen, um so den Aufenthalt mitfinanzieren zu können ( Ornezeder in Schrefler‑König/Szymanski , Fremdenpolizei‑ und Asylrecht § 20 FPG 2005 Anm 5). Die von der Anwendung des AuslBG ausgenommenen Arbeitsurlauber dürfen jede beliebige Beschäftigung – unter Einhaltung der in Österreich geltenden Lohn- und Arbeitsbedingungen einschließlich der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften (vgl Erläut zur VO des BMASK BGBl II 2017/257 [Dokumentennummer RIS‑BEGUT_COO_2026_100_2_1403425]) – aufnehmen ( Gerhartl , AuslBG [2019] § 1 Rz 47).

[10] 3.3 Daran zeigt sich, dass die Schlussfolgerung der Beklagten, allein aus der vorgelegten Bestätigung gemäß § 3 Abs 8 AuslBG müsse die Einstufung als „Ferialarbeitnehmer“ im Sinn des Kollektivvertrags folgen, weil in § 1 Z 14 AuslBVO von einem „Ferienaufenthalt“ die Rede sei, nicht zutrifft und keine planwidrige Lücke vorliegt. Entgegen der Meinung der Beklagten hat das Berufungsgericht eine Einstufung eines Arbeitsurlaubers iSd § 1 Z 14 AuslBVO nach Punkt VII. b) des Kollektivvertrages auch keineswegs generell ausgeschlossen, sondern nur im konkreten Einzelfall verneint, ohne dass ihm dabei eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (vgl RS0110650).

[11] 4. Die außerordentliche Revision der Beklagten war daher zurückzuweisen.

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