OGH 9Ob22/21g

OGH9Ob22/21g29.4.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Fichtenau, Hon.‑Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch Dr. Heinrich Fassl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei W*–GmbH & Co KG, *, vertreten durch Mag. Stefan Faulhaber, Rechtsanwalt in Wien, wegen 18.800 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 6.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Oktober 2020, GZ 4 R 67/20g‑32, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 28. April 2020, GZ 42 Cg 64/19f‑28, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131726

 

Spruch:

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger suchte zu einer Behandlung das von der Beklagten betriebene Krankenhaus auf. Als er sich nach dem Ausfüllen des Aufnahmeformulars bei der Portierloge nach links wandte, stürzte er nach einem oder zwei Schritten über eine dort von einem Postmitarbeiter abgestellte Postkiste und verletzte sich.

[2] Der Kläger begehrt von der Beklagten 18.800 EUR sA an Schadenersatz sowie die Feststellung, dass ihm die Beklagte für alle zukünftigen, derzeit nicht bekannten Schäden hafte, welche auf den Vorfall zurückzuführen seien. Die Beklagte sei ihren Schutz‑ und Sorgfaltspflichten nicht ausreichend nachgekommen.

[3] Die Beklagte bestritt. Die Kiste sei erst kurz vor dem Sturz des Klägers abgestellt worden, sodass die Mitarbeiter der Beklagten nicht in der Lage gewesen seien, die Gefahrenquelle zu beseitigen. Hätte der Kläger vor seine Füße gesehen, wäre ihm die Kiste aufgefallen und er hätte den Sturz vermeiden können.

[4] Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Die Beklagte habe die Postmitarbeiter generell angewiesen, Poststücke nicht auf dem Boden vor der Portierloge, sondern auf dem Tresen abzustellen. Eine lückenlose Überwachung aller im Spitalsbereich aufhältigen Postzusteller oder Lieferanten ließe sich mit dem grundsätzlichen Aufgabenbereich eines Portiers in einem Krankenhaus, nur schwer vereinbaren. Auch das Abstellen eines eigenen Portiers zur Kontrolle der Postzusteller würde zu einer Überspannung der Verkehrssicherungspflichten der Beklagten führen. Der Kläger hätte demgegenüber die abgestellte Postkiste selbst erkennen und ihr ausweichen können. Der Beklagten sei daher keine Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflichten als Krankenhausbetreiberin anzulasten.

[5] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht nachträglich zur Frage zugelassen, ob im Hinblick auf das in Krankenhäusern verkehrende Publikum strengere Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht des Krankenhausträgers zu stellen seien und der Eingangsbereich von Krankenhäusern daher besonders genau zu überwachen sei.

[6] Gegen das Urteil des Berufungsgerichts wendet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass der Klage stattgegeben wird, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[7] Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[9] 1. Wer – wie im vorliegenden Fall die Beklagte – eine Krankenanstalt betreibt, ist verpflichtet, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, damit der Patient durch andere Patienten, durch Besucher, durch die technischen Einrichtungen zur Heilbehandlung und Pflege und durch die sonstigen betrieblichen Anlagen in seiner körperlichen Unversehrtheit nicht zu Schaden kommt. Aus allgemeinen Verkehrssicherungspflichten ist der verantwortliche Rechtsträger eines Krankenhauses unter anderem verpflichtet, insbesondere auch die Krankenzimmer, aber auch die Gänge und Treppen eines Krankenhauses in einem verkehrssicheren und gefahrlosen Zustand zu erhalten (vgl 7 Ob 245/05p mwN).

[10] Die Frage des konkreten Umfangs der Verkehrssicherungspflichten hängt dabei immer von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere davon, ob einem sorgfältigen Menschen erkennbar war, dass die Gefahr der Verletzung von anderen besteht oder ob bestimmte Maßnahmen zur Vermeidung dieser Gefahr auch zuzumuten sind (vgl RS0110202; RS0023397; RS0023801). Die Lösung der Frage, ob im konkreten Fall die Beklagte alles ihr Zumutbare zur Verhütung der Gefahren der vorliegenden Art getan hat, bildet wegen der über den Anlassfall nicht hinausgehenden Bedeutung keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO, schließt doch die Kasuistik des Einzelfalls in der Regel eine beispielgebende Entscheidung aus. Die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage des anzuwendenden Sorgfaltsmaßstabs in bestimmten Situationen in bestimmten Betrieben wie dem der Beklagten ist daher nicht geeignet, die Zulässigkeit der Revision zu begründen.

[11] Eine Einzelfallentscheidung ist für den Obersten Gerichtshof nur dann überprüfbar, wenn im Interesse der Rechtssicherheit eine grobe Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht korrigiert werden müsste (RS0044088 mwN), wovon im vorliegenden Fall aber nicht auszugehen ist.

[12] 2. Zur Frage der Beweislastverteilung im Zusammenhang mit einer Vertragshaftung wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten hat der Oberste Gerichtshof in der auch in der Revision zitierten Entscheidung ausführlich Stellung genommen. Das Bestehen einer Sorgfaltspflicht und deren Verletzung (etwa durch Unterlassung) sowie die Kausalität der Sorgfaltsverletzung für den Schaden hat danach grundsätzlich der Geschädigte zu behaupten und zu beweisen (5 Ob 89/17z mwN). Die Beweislastumkehr nach § 1298 ABGB betrifft (nur) den Verschuldensbereich (RS0022686). Bei Nicht‑Feststellbarkeit eines objektiv vertragswidrigen Verhaltens des Schädigers ist nach der Rechtsprechung die Beweislastumkehr nach § 1298 ABGB aber auch bereits dann anwendbar, wenn der Geschädigte beweist, dass nach aller Erfahrung die Schadensentstehung auf ein wenigstens objektiv fehlerhaftes (vertragswidriges) Verhalten des Schädigers zurückzuführen ist (RS0026290). Dies wird unter anderem dahin verstanden, dass eine eingeschränkte Beweislastumkehr bereits dann Platz greift, wenn dem Geschädigten der Nachweis eines Schadens und der Kausalität sowie zumindest eines – ein rechtswidriges Verhalten indizierendes – objektiv rechtswidrigen Zustands gelungen ist (10 Ob 53/15i mit ausführlicher Auseinandersetzung mit Lehre und Rechtsprechung).

[13] 3. Im vorliegenden Fall ist der Kläger über eine kurz zuvor bei der Portiersloge abgestellte Postkiste gestolpert. Allein dass sich in diesem Bereich eine – von einem Postzusteller und damit von einem der Beklagten nicht zurechenbaren Dritten – abgestellte Kiste befand, indiziert für sich allein noch kein Fehlverhalten der Beklagten.

[14] Nach den (teilweise dislozierten Feststellungen) waren Zusteller und Lieferanten von den Mitarbeitern der Beklagten angewiesen, Kisten, Pakete und Poststücke auf der Ablage neben der Portiersloge abzustellen. Dafür, dass die Beklagte damit rechnen musste, dass diese Anweisung nicht befolgt werden würde, gibt es keine Anhaltspunkte. Der konkrete Vorgang war von den diensthabenden Portieren nicht beobachtet worden und war unmittelbar vor dem Unfall erfolgt, sodass ein regelwidriger Zustand auch noch nicht auffällig geworden sein musste.

[15] Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass auch der Umstand, dass der Portier den Abstellvorgang selbst nicht beobachtet hatte, keinen Sorgfaltsverstoß indiziert, weil es aufgrund des Aufgabenbereichs eines Portiers in einem Krankenhaus, etwa den Patienten oder Besuchern persönlich oder am Telefon für Auskünfte zur Verfügung zu stehen und Patienten bei der Anmeldung zu unterstützen, nicht möglich sei, alle Personen, die sich in der Nähe der Portiersloge aufhalten, im Auge zu behalten und den Eingangsbereich ständig zu überwachen, hält sich im Rahmen des eingeräumten Ermessensspielraums.

[16] Wenn in der Revision die Auffassung vertreten wird, dass Portiere in Krankenanstalten den Eingangsbereich jedenfalls so überwachen müssen, dass ihnen kein wesentlicher Vorgang entgeht, stellt das in dieser Allgemeinheit jedenfalls eine Überspannung von Sorgfaltspflichten dar, dies insbesondere im Hinblick darauf, dass selbst der Kläger von einem ähnlich umfangreichen Aufgabenbereich dieser Personengruppe ausgeht wie das Berufungsgericht.

[17] Damit ist aber dem Kläger der Nachweis eines– ein rechtswidriges Verhalten indizierenden – objektiv rechtswidrigen Zustands nicht gelungen.

[18] Musste aber dem Portier das Abstellen der Postkiste nicht auffallen, kommt es darauf, ob er den Kläger ausdrücklich aufgefordert hat, in diese Richtung zur Aufnahmekanzlei zu gehen, rechtlich nicht an.

[19] 4. Die Revision des Klägers ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Entscheidung nicht.

[20] 5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 40, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen und nicht deren Zurückweisung beantragt (RS0035979).

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