European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131821
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 860,48 EUR (darin enthalten 143,43 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin ist beim beklagten Versicherer haftpflichtversichert. Der Versicherungsvertrag umfasst auch eine Lenkerschutzversicherung, der die Zusatzbedingungen „Unfallversicherung“ (in Hinkunft Zusatzbedingungen) zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:
„KFZ‑Fahrerschutz:
1. Versichertes Risiko
Versicherungsschutz besteht für Personenschäden, die der berechtigte Lenker bei einem Verkehrsunfall mit dem in der Polizze genannten versicherten Fahrzeug innerhalb des örtlichen Geltungsbereiches erleidet.
...
3. Leistung des Versicherers
Im Rahmen der vereinbarten Versicherungssumme in Höhe von 1.200.000 EUR erbringt der Versicherer nach einem vom berechtigten Lenker verschuldeten/teilverschuldeten Unfall oder nach einer aus der Betriebsgefahr des versicherten Kraftfahrzeugs entstandenen Körperverletzung oder bei Tod folgende Leistungen:
...
Hat der Lenker am Verkehrsunfall ein Verschulden zu verantworten, erfolgt die Leistung im Ausmaß dieses Verschuldens, maximal jedoch bis zur Höhe der Versicherungssumme.
...
5. Risikoausschlüsse
Es besteht kein bzw eingeschränkter Versicherungsschutz:
‑ bei Vorliegen kongruenter gesetzlicher oder vertraglicher Ansprüche des Versicherten gegen Dritte, wenn und soweit diese für ihn durchsetzbar sind.
Als Dritte gelten auch Sozialversicherungsträger und der Dienstgeber des Versicherten.
...“
[2] Am 10. 6. 2018 ereignete sich ein Verkehrsunfall, an dem ein Arbeitnehmer der Klägerin als berechtigter Lenker des von ihr gehaltenen PKW und W* S* als Lenker und Halter des gegnerischen Kraftfahrzeugs beteiligt waren. W* S*missachtete den Vorrang des – von ihm übersehenen – PKW der Klägerin. Es kam im Kreuzungsbereich zur Kollision, wobei das Fahrzeug der Klägerin schwer beschädigt und der berechtigte Lenker verletzt wurde.
[3] Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von 10.463,35 EUR sA. Mit dem Verkehrsunfall habe sich eine (erhöhte) Betriebsgefahr im Sinne des Art 3 der Zusatzbedingungen verwirklicht, sodass Leistungspflicht der Beklagten bestehe.
[4] Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Es bestehe keine Leistungspflicht, zumal der berechtigte Lenker unverschuldet und durch ausschließliches Verschulden des Unfallgegners zu Schaden gekommen sei. Eine Betriebsgefahr des versicherten Kraftfahrzeugs habe sich nicht realisiert. Aufgrund des Alleinverschuldens des Unfallgegners sei im Übrigen auch der Risikoausschluss gemäß Art 5 Zusatzbedingungen gegeben, zumal die Klägerin Ansprüche geltend mache, die der Unfallgegner sowie dessen Haftpflichtversicherung unter Bedachtnahme auf die Durchgriffshaftung gemäß § 26 KHVG zu ersetzen habe.
[5] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Mit dem vom Unfallgegner des berechtigten Lenkers verschuldeten Unfall habe sich zwar eine Betriebsgefahr im Sinne des Versicherungsvertrags realisiert, es komme aber auch im Fall einer solchen der in Art 5 Zusatzbedingungen erstgenannte Risikoausschluss zur Anwendung.
[6] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. In Art 3 Zusatzbedingungen würden zwei Fälle erfasst. Zum einen, dass der berechtigte Lenker den Unfall (teil‑)verschuldet habe und zum anderen, dass sich mit dem Unfall die Betriebsgefahr verwirklicht habe, die mit dem Fahrzeug verbunden sei. Mit „Betriebsgefahr“ würden Konstellationen erfasst, in denen das EKHG nicht zur Anwendung gelange. So etwa, weil kein Dritter beteiligt gewesen sei oder für einen dritten Unfallverursacher kein Haftpflichtversicherungsschutz bestehe, wie zum Beispiel bei Fußgänger oder Radfahrer. Da den Unfallgegner des hier berechtigten Lenkers das Alleinverschulden an dem Unfall treffe, liege aber von vornherein keine Konstellation vor, die von Art 3 Zusatzbedingungen erfasst werden soll. Auf die Frage des Vorliegens eines Risikoausschlusses komme es nicht an.
[7] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil sich der Oberste Gerichtshof bisher nicht näher mit den anzuwendenden Bedingungen der „Lenkerschutzversicherung“ befasst habe.
[8] Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[9] Die Beklagte begehrt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
[11] 1.1 Nach Art 1 Zusatzbedingungen sind Personenschäden des berechtigten Lenkers versichert, die durch einen Unfall beim Lenken des versicherten Fahrzeugs entstanden sind.
[12] 1.2 Art 3 Zusatzbedingungen sieht Leistungen des Versicherers – im Rahmen der vereinbarten Versicherungssumme – nach einem vom berechtigten Lenker verschuldeten/teilverschuldeten Unfall oder nach einer aus der Betriebsgefahr des versicherten Kraftfahrzeugs entstandenen Körperverletzung oder Tod vor.
[13] 2. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung gemäß §§ 914, 915 ABGB auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]).
[14] 3.1 Bei der Lenkerschutzversicherung handelt es sich um eine relativ junge Versicherungsform, die – wie auch hier – zur Kfz‑Haftpflichtversicherung als Zusatzversicherung angeboten wird. Sie soll die Deckungslücke schließen, die für den Fahrer eines Kraftfahrzeugs für seine unfallbedingten Verletzungen entsteht, wenn er selbst an der Verursachung des Unfalls schuldhaft mitgewirkt hat oder vom Unfallgegner – aus welchem Grund auch immer – sonst kein (vollständiger) Ersatz erlangt werden kann (7 Ob 37/16s; Heß/Höke in Beckmann/Matusche‑Beckmann, Versicherungsrechts‑Handbuch3 § 30 Rn 371; Jahnke in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht26 Vor § 249 BGB Rn 184; van Bühren, Die Fahrerschutzversicherung, VersR 2015, 685; Maier, Die Fahrerschutzversicherung – Neue Wege beim Versicherungsschutz für den Fahrer, r+s 2014, 219). Im Kern geht es also darum, den infolge eines Unfalls verletzten Fahrer so zu stellen, als habe ihn ein Dritter geschädigt. Der Versicherer leistet für den unfallbedingten Personenschaden des Fahrers so, als ob er als Kfz‑Haftpflichtversicherer für diesen Schaden eintrittspflichtig wäre (7 Ob 37/16s).
[15] 3.2.1 Verdeutlicht wird dieser Vertragszweck durch die in Art 5 Zusatzbedingungen als Risikoauschluss definierte Nachrangigkeit (Subsidiarität) der Eintrittspflicht des Versicherers. Die Klausel betrifft kongruente Ansprüche, also solche, die aufgrund des in Frage stehenden Unfalls gewährt werden. Anzurechnen sind auch (durchsetzbare) Schadenersatzansprüche gegen (Mit‑)Verursacher des Schadens, worunter der Unfallgegner bzw die dahinterstehende Versicherung, aber auch weitere Schadenersatzpflichtige zu verstehen sind (Meineckein Stiefel/Maier Kraftfahrzeugversicherung19 AKB 2015 A.5 Rn 69 f; Jahnke aaO Rn 206 f, van Bühren aaO, Maier aaO).
[16] 3.2.2 Die insoweit völlig klare Bestimmung des Art 5 Zusatzbedingungen unterscheidet zwischen Personenschäden aufgrund (mit‑)verschuldeter Unfälle und solcher aufgrund der Verwirklichung der Betriebsgefahr; sie ist nicht überraschend. Wer eine Lenkerschutzversicherung abschließt, wird schon angesichts der außerordentlich günstigen Prämien keinen alle Fälle einschließenden Versicherungsschutz erwarten können und dürfen. Ein verständiger Versicherungsnehmer (RS0112256) wird daher nur erwarten, dass im Fall eines Personenschadens etwaige Anspruchslücken geschlossen werden; dies auch im Hinblick auf die deutliche höheren Prämien für eine private Unfallversicherung oder Krankenversicherung (vgl Jahnke aaO Rn 206a).
[17] 3.3 Strittig ist hier die Auslegung der Wortfolge „oder nach einer aus der Betriebsgefahr des versicherten Kraftfahrzeugs entstandene Körperverletzung oder Tod“.
[18] 3.3.1 Betriebsgefahr bedeutet die von einer technischen Anlage ausgehende latente Gefahr, die der Betrieb mit sich bringt und die zu einer Gefährdung von Personen oder Sachen führen kann. Diese Gefahr des Betriebs „Betriebsgefahr“ ist für hier interessierende Kraftfahrzeuge Anknüpfungspunkt für die Gefährdungshaftung des EKHG. Dieses hat die Haftung für Schäden zum Gegenstand, die nicht durch rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten, sondern durch den Betrieb gefährlicher Sachen verursacht werden. Das heißt, nicht das Verschulden, sondern die Gefährdung ist Grund der haftungsrechtlichen Zuordnung.
[19] 3.2.3 Die beiden Fälle des Art 3 Zusatzbedingungen unterscheiden sich durch den Grund der haftungsrechtlichen Zuordnung und überschneiden sich nicht. Der bereits dargestellte Vertragszweck der Lenkerschutzversicherung ist damit gewährt. Die Versicherungsleistung ist nur für solche aus der Betriebsgefahr des versicherten Kraftfahrzeugs entstandene Personenschäden zu erbringen, für die – aus welchem Grund auch immer – von einem Unfallgegner kein Ersatz erlangt werden kann.
[20] 4. Im vorliegenden Fall, in dem den Unfallgegner des berechtigten Lenker – unstrittig – das Alleinverschulden am Unfall trifft, kann somit von diesem bzw seiner Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung Ersatz verlangt werden. Damit besteht keine Leistungspflicht der Beklagten nach Art 3 Zusatzbedingungen. Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.
[21] Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)