OGH 11Os26/21i

OGH11Os26/21i29.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. März 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen Alexander S***** und eine weitere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten S***** sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 6. Oktober 2020, GZ 37 Hv 89/20y‑113a, weiters über die Beschwerden des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen Beschlüsse gemäß § 494a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0110OS00026.21I.0329.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten S***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde (ua) der Angeklagte Alexander S***** jeweils eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach §§ 28a Abs 1 fünfter und „sechster“ Fall, Abs 4 Z 3 SMG, „12 zweiter Fall StGB“ (I./1./, s US 33), der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1, Abs 2 SMG (I./2./) und der schweren Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (III./1./) sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (I./3./), nach § 4 Abs 1 [vierter Fall] NPSG (II./), der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (V./) und der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB (VI./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in G***** und andernorts – soweit zur Behandlung der Nichtigkeitsbeschwerde relevant verkürzt wiedergegeben –

I./ vorschriftswidrig Suchtgift

1./ im Zeitraum von 2018 bis 16. Dezember 2019 „– teils im Wege weiterer Personen („Läufern“) als Bestimmungstäter nach § 12 zweiter Fall StGB –“ anderen überlassen und „verschafft“, indem er insgesamt nicht näher bekannte Mengen Methamphetamin, Amphetamin, Kokain, Heroin, LSD, MDMA, XTC und Cannabiskraut vom gesondert verfolgten Johann R***** erwarb und insgesamt eine das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) mehrfach übersteigende Menge an Amphetamin mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 36 %, Methamphetamin mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 78,3 %, Cannabiskraut mit Reinheitsgehalten von zumindest 12,4 % THCA und 0,94 % Delta-9-THC, MDMA mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 75,2%, LSD-Trips mit dem Wirkstoff LSD, XTC-Tabletten mit dem Wirkstoff MDMA, Heroin mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 10 % und Kokain mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 20 % an Cocain im Rahmen zahlreicher, im Urteilsspruch (US 2 bis 5) – auch hinsichtlich der einzelnen Suchtgiftmengen und ihrer Reinheitsgehalte – detailliert angeführter Angriffe an zahlreiche unbekannte und bekannte Abnehmer, teils im Wege von weiteren Personen überließ „und verschaffte“;

2./ in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) mehrfach übersteigenden Menge mit dem Vorsatz erworben und besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde, und zwar 50 bis 60 Gramm Kokain mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 20 % an Cocain, ca 1.500 Gramm Amphetamin mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 72,1 %, ca 550 Gramm Cannabiskraut mit Reinheitsgehalten von zumindest 12,4 % THCA und 0,94 % Delta-9-THC, sieben Gramm Methamphetamin mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 78,3 %, 20 Gramm MDMA mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 75,2 %, 1.000 Stück Ecstasy-Tabletten mit dem Wirkstoff MDMA und 100 Stück LSD-Trips mit dem Wirkstoff LSD;

3./ ausschließlich zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen, und zwar Cannabiskraut mit den Wirkstoffen THCA und Delta-9-THC, Amphetamin, Methamphetamin, Heroin, Kokain, LSD, Ecstasy (mit dem Wirkstoff MDMA) und MDMA bis zum Eigenkonsum bzw bis zur Sicherstellung;

II./ zwischen Frühjahr und Mitte Dezember 2019 mit dem Vorsatz, daraus einen Vorteil zu ziehen, eine mit Verordnung gemäß § 3 NPSG bezeichnete oder von einer gemäß § 3 NPSG definierten chemischen Substanzklasse umfasste Neue Psychoaktive Substanz mit dem Vorsatz einem anderen überlassen, dass sie von dem anderen oder einem Dritten zur Erreichung einer psychoaktiven Wirkung im menschlichen Körper angewendet werde, indem er in mehreren Angriffen insgesamt zumindest 1.135 Gramm Ketamin im Urteilsspruch (US 6) namentlich genannten Personen gewinnbringend verkaufte;

III./ einen anderen durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Handlung zu nötigen versucht, und zwar am 14. Dezember 2019 gemeinsam mit dem gesondert verfolgten Johann R*****, indem dieser Sebastian H***** eine Machete am Hals mit der sinngemäßen, von S***** auch zuvor bereits gestellten Forderung ansetzte, die (von H***** mutmaßlich) gestohlenen Drogen oder den Suchtgifterlös in der Höhe von 20.000 Euro bis 39.000 Euro bis 18. Dezember 2019 wiederzubeschaffen und zu sagen, wo das „gestohlene Zeug“ sei, ansonsten er ihn töten sowie ihm zuerst einen Finger abhacken werde;

IV./  ...

V./ am 10. Dezember 2019 Sebastian H***** gefährlich zumindest mit der Zufügung einer Körperverletzung bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er ihm im Zuge einer Auseinandersetzung mit einem spitzen Gegenstand (in einer Plastikhülle) zweimal in die Schulter stach und ihm anschließend ankündigte, dass das nächste Mal „keine Hülle mehr oben sein wird“;

VI./ von einem unbekannten Zeitpunkt bis 1. August 2019 eine verfälschte Urkunde, nämlich deutsche Kurzzeit-Kennzeichentafeln mit der Nummer FRG-0490, im Rechtsverkehr zum Beweis einer Tatsache, nämlich der rechtskonformen Zulassung eines Personenkraftwagens für den Straßenverkehr, gebraucht, indem er mit dem Fahrzeug, auf dem die Kennzeichentafeln, „bei denen die Gültigkeit weggeschnitten worden war“, angebracht waren, wiederholt Fahrten vornahm.

Rechtliche Beurteilung

 

[3] Diese Schuldsprüche bekämpft der Angeklagte S***** mit auf § 281 Abs 1 Z 1, 3 und 11 StPO gestützter Nichtigkeitsbeschwerde.

[4] Soweit die Besetzungsrüge (Z 1) eine erst ab Zustellung des Hauptverhandlungsprotokolls objektiv erkennbare, nicht gehörige Gerichtsbesetzung insoweit releviert, als die Hauptverhandlung am 23. September 2020 vor dem Landesgericht Wels als Schöffengericht, „Abteilung 37“ (ON 95a S 1) stattgefunden habe, deren Fortsetzung und Urteilsfällung am 6. Oktober 2020 jedoch vor dem genannten Gericht, „Abteilung 33“ (ON 113 S 1) erfolgt sei und das Urteil (ON 113a) vom vorsitzenden Richter der „Abteilung 37“ ausgefertigt worden sei, verfehlt sie ihr Ziel.

[5] Mit Blick auf die – soweit relevant – nach den Geschäftsverteilungen des Landesgerichts Wels vom 7. September 2020 und 1. Oktober 2020, GZ Jv 2812/19g-7, seit 7. September 2020 unverändert ua mit dem Geschäftskreis „Strafsachen nach dem SMG und NPSG gegen Erwachsene“ dem vorsitzenden Richter zugewiesene Gerichtsabteilung 33 und der dieser ebenfalls durchgehend beigeordneten Geschäftsabteilung 37, sowie die in personeller Hinsicht in Ansehung des vorsitzenden Richters und der (Ersatz-)Schöffen ebenfalls stets unveränderte Gerichtsbesetzung während der beiden zuvor genannten Hauptverhandlungen (ON 95a S 1, ON 113 S 1), liegt kein nichtigkeitsbedrohter Verstoß gegen die Geschäftsverteilung vor. Ein solcher wird auch nicht durch die im Hauptverhandlungsprotokoll ersichtlich irrig differierende Bezeichnung der „Abteilung“ (eine Gerichtsabteilung 37 besteht am Landesgericht Wels nicht; vgl auch das stets unverändert die Geschäftsabteilung „37“ ausweisende Aktenzeichen 37 Hv 89/20y [ON 95a S 1, ON 113 S 1, ON 113a; § 372 Abs 1 Geo; vgl Danzl, Geo § 2 Anm 6, § 372 Anm 1]) verwirklicht.

[6] Die Verfahrensrüge (Z 3), die eine Verletzung der achttägigen Vorbereitungsfrist gemäß § 221 Abs 2 StPO insoweit releviert, als in der ersten Hauptverhandlung am 23. September 2020 nicht alle Aktenbestandteile, auf die die Staatsanwaltschaft jedoch Vorhalte gegenüber dem Angeklagten gestützt habe, dem Verhandlungsakt angeschlossen gewesen seien (vgl hiezu ON 95a S 28 Mitte), übersieht, dass bloß die Nichteinhaltung der in § 221 Abs 2 StPO normierten Vorbereitungsfrist auf die Hauptverhandlung mit Nichtigkeit bedroht ist, nicht aber die mangelnde Verfügbarkeit aller Aktenbestandteile (RIS-Justiz RS0124393 [T1]).

[7] Soweit die Verfahrensrüge mit Blick auf den in der Hauptverhandlung am 6. Oktober 2020 gemäß § 252 Abs 2a StPO parteieneinverständlich zusammenfassend erfolgten Vortrag des „gesamten Akteninhalts“ durch den vorsitzenden Richter (ON 113 S 16) insoweit einen Verstoß gegen § 252 StPO releviert, als damit auch die ON 72 bis 74 sowie die ON 76 bis 79 (die bereits in der Hauptverhandlung am 23. September 2020 ersichtlich nicht Aktenbestandteil waren [ON 95a S 28] und [außer ON 72 und 79] auch aktuell nicht sind) als (mit-)vorgetragen bezeichnet wurden, verfehlt sie ihr Ziel.

[8] Denn § 281 Abs 1 Z 3 StPO iVm § 252 StPO versieht bloß das Vorkommen von Beweismitteln in der Hauptverhandlung (§ 258 Abs 1 StPO) unter bestimmten Voraussetzungen mit Nichtigkeitssanktion (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 219), womit bei – wie aktuell releviert – mangelndem Vorkommen schon begrifflich ein Verstoß gegen ein ausdrücklich mit Nichtigkeit bedrohtes Verlesungs- bzw Vortragsverbot nicht in Betracht kommt (vgl RIS-Justiz RS0113446 [T2]).

[9] Dass Schuldsprüche (auch) auf nicht in der Hauptverhandlung vorgekommenen Beweismitteln beruhen, behauptet das Rechtsmittel (zutreffend) nicht (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 238).

[10] Die gesetzmäßige Ausführung einer Sanktionsrüge hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS-Justiz RS0099810). Diesen Anforderungen wird die Sanktionsrüge mit Spekulationen zu in geringerem Ausmaß mehrfach überschrittenen Grenzmengen (§ 28b SMG) nicht gerecht. Auch die Behauptung eines „Widerspruchs“ des Vortaten „doppelverwertenden“ § 39 StGB gegenüber § 32 StGB verlässt den Anfechtungsrahmen des relevierten Nichtigkeitsgrundes.

[11] Inwieweit das Erstgericht die Grenzen der ihm zustehenden Strafschärfung überschritten und eine Strafe verhängt hätte, die das bei – fallbezogen zulässiger (US 10 f, 34) – Heranziehung des § 39 Abs 1 StGB (idgF – vgl dazu 13 Os 28/20x und jüngst 15 Os 8/21x; weiters Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 668/4 und § 288 Rz 35) höchstzulässige Maß übersteigt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 671), erklärt die Beschwerde nicht.

[12] Die Kritik an der Gewichtung von Milderungs- und Erschwerungsgründen, insbesondere des Milderungsgrundes der teilweise geständigen Verantwortung des Angeklagten und die Überlegungen, wonach § 39 StGB nur besonderen Fällen eines erhöhten Strafbedürfnisses vorbehalten sei und nicht schon bei Vorliegen der formalen Voraussetzungen angewendet werden sollte, stellen bloß Berufungsvorbringen dar (Ratz, WK StPO § 281 Rz 728; RIS‑Justiz RS0099892 [T3]). Die Sicherstellung einer angemessenen Strafe ist nicht Gegenstand der Z 11 des § 281 StPO (RIS-Justiz RS0091447 [T1], RS0099892, RS0099954; Ratz, WK StPO § 281 Rz 676).

[13] Auch die bei erfolgter Anwendung des § 39 Abs 1 StGB erschwerende Wertung der über dessen Anwendbarkeitsvoraussetzungen hinausgehenden (US 34) einschlägigen Vorstrafen begründet keine Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO (RIS-Justiz RS0091527, RS0091438; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 714).

[14] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der dazu von der Verteidigung erstatteten Äußerung – bereits nach nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen und der Beschwerden folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

 

[15] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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