OGH 12Os135/20z

OGH12Os135/20z25.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. März 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Pateisky in der Strafsache gegen Denis M***** und andere Angeklagte wegen Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG und § 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Tahir D*****, Jelenko B***** und Doris Z***** sowie über die Berufung des Angeklagten Yücel A***** gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 7. September 2020, GZ 50 Hv 33/20k‑231, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0120OS00135.20Z.0325.000

 

Spruch:

 

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil, das im Freispruch des Denis M***** unberührt bleibt, aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.

Mit ihren Nichtigkeitsbeschwerden und ihren Berufungen werden die Angeklagten Tahir D*****, Jelenko B***** und Doris Z***** ebenso auf diese Entscheidung verwiesen wie der Angeklagte Yücel A***** mit seiner Berufung.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch des Denis M***** enthält, wurden

Denis M***** je eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG und § 15 StGB (I./B./ [zu ergänzen: 1./ und 2./b./]), nach § 28a Abs 1 vierter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (I./C./ [zu ergänzen: 2./ und 3./]), nach § 12 zweiter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (II./A./ und B./) und nach § 12 zweiter Fall StGB, § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (II./B./),

Tahir D***** je eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG und § 15 StGB (I./B./ [zu ergänzen: 1./ und 2./]), nach § 28a Abs 1 vierter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (I./C./ [zu ergänzen: 2./ und 3./]), nach § 12 zweiter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (II./A./ und B./) und nach § 12 zweiter Fall StGB, „§ 28a Abs 1 fünfter Fall (bei C.: richtig: zweiter Fall), Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG“ (II./B./ und C./; vgl aber RIS‑Justiz RS0117464 [T18]),

Jelenko B***** je eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (I./A./) und nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG und § 15 StGB (I./B./ [zu ergänzen: 1./ und 2./a./ und c./]),

Doris Z***** je eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (I./A./ [zu ergänzen: 1./]) und nach § 15 StGB, § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (I./B./ [zu ergänzen: 1./]) und

Yücel A***** eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 vierter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (I./C./ [zu ergänzen: 1./ und 2./]) und mehrerer „Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG als Bestimmungstäter nach § 12 2. Fall StGB“ (II./B./; vgl aber RIS‑Justiz RS0117464 [T18])

schuldig erkannt.

[2] Danach haben

I./ vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Kokain, „beinhaltend zumindest 81 % Cocain.HCI“, sowie Methamphetamin mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 50 % in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge

A./ aus Slowenien in das österreichische Bundesgebiet eingeführt, und zwar

1./ am 27. Jänner 2020 Jelenko B***** und Doris Z***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) 2.999,9 Gramm Kokain, „beinhaltend 2479,9 Gramm reines Cocain.HCI“, indem sie dieses im Auftrag des Denis M***** und des Tahir D***** mit dem Kfz nach V***** transportierten,

2./ Jelenko B*****

a./ am 5. Juli 2019 500 Gramm Kokain, „beinhaltend 405 Gramm reines Cocain.HCI“,

b./ am 8. Jänner 2020 1.000 Gramm Kokain, „beinhaltend 810 Gramm reines Cocain.HCI“, indem er jeweils im Auftrag des Tahir D***** das Suchtgift mit einem PKW nach G***** transportierte,

B./ durch gewinnbringenden Verkauf anderen überlassen oder zu überlassen versucht, und zwar

1./ am 27. Jänner 2020 in V***** Denis M*****, Tahir D*****, Jelenko B***** und Doris Z***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) das unter I./A./1./ näher bezeichnete Suchtgift einem verdeckten Ermittler der Kriminalpolizei, wobei es beim Versuch blieb, weil sie auf frischer Tat betreten wurden,

2./ in G***** dem abgesondert verfolgten Harald W*****, jeweils indem sie das Suchtgift in arbeitsteiliger Vorgehensweise mit noch unbekannten Drogenkurieren dem Abnehmer gegen Bezahlung des Kaufpreises übergaben

a./ Tahir D***** und Jelenko B***** am 8. Jänner 2020 das unter I./A./2./ näher bezeichnete Suchtgift,

b./ Denis M***** und Tahir D***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit noch auszuforschenden Drogenkurieren als Mittäter (§ 12 StGB)

i./ am 29. August 2019 zumindest 1.000 Gramm Kokain,

ii./ zwischen Ende September und Anfang Oktober 2019 2.500 Gramm Kokain,

iii./ am 18. November 2019 zumindest 1.000 Gramm Kokain,

c./ am 5. Juli 2019 Jelenko B***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einer noch auszuforschenden Frau als Mittäterin (§ 12 StGB) das unter I./A./2./a./ näher bezeichnete Suchtgift

C./ zum Kauf angeboten, und zwar

1./ Yücel A***** in W***** einem verdeckten Ermittler der Kriminalpolizei

a./ am 17. Juli 2019 20.000 Gramm Kokain,

b./ am 10. März 2020 700 Gramm Methamphetamin,

2./ Denis M*****, Tahir D***** und Yücel A***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) einem verdeckten Ermittler der Kriminalpolizei jeweils 8.000 Gramm Kokain, und zwar

a./ zwischen 24. Juli 2019 und 29. August 2019 in W***** und anderen Orten,

b./ zwischen 29. August 2019 und 30. August 2019 in W*****,

3./ am 27. Juni 2019 in L*****, Slowenien, Tahir D***** und Denis M***** dem abgesondert verfolgten Harald W***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit drei nicht mehr ausforschbaren Mittätern (§ 12 StGB) 2.000 Gramm Kokain, indem sie das vor Ort befindliche Suchtgift zum sofortigen Kauf und dessen unverzügliche Zustellung nach G***** anboten,

wobei sie die Straftat als Mitglied einer kriminellen Vereinigung sowie in Bezug auf Suchtgift in einer das 25-Fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge begingen,

II./ Nachgenannte dazu bestimmt, vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Kokain, „beinhaltend zumindest 81 % Cocain.HCI“, in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge aus dem Ausland in das österreichische Bundesgebiet einzuführen und im Inland anderen zu überlassen, und zwar

A./ Denis M***** und Tahir D***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB)

1./ zwischen 22. Jänner 2020 und 27. Jänner 2020 Jelenko B***** und Doris Z***** zu der unter I./A./1./ näher beschriebenen Tat,

2./ noch auszuforschende Drogenkuriere zur Einfuhr, und zwar

a./ vor dem 29. August 2019 in V***** und anderen Orten zur Einfuhr von 1.000 Gramm Kokain,

b./ zwischen September und Anfang Oktober 2019 zur Einfuhr von 2.500 Gramm Kokain,

c./ vor dem 18. November 2019 zur Einfuhr von 1.000 Gramm Kokain,

B./ Denis M*****, Tahir D***** und Yücel A***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) nicht mehr auszuforschende Drogenkuriere zur Einfuhr und zur Übergabe des Suchtgifts in V***** an einen verdeckten Ermittler der Kriminalpolizei, und zwar

1./ zwischen 24. Juli 2019 und 29. August 2019 in W***** und anderen Orten zur Einfuhr und zur Übergabe von 8.000 Gramm Kokain,

2./ zwischen 29. August 2019 und 30. August 2019 in W***** zur Einfuhr und zur Übergabe von 8.000 Gramm Kokain,

wobei sie die Straftat als Mitglied einer kriminellen Vereinigung sowie in Bezug auf Suchtgift in einer das 25-Fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge begingen,

C./ Tahir D***** am 5. Juli 2019 den Jelenko B***** zur Einfuhr der unter I./A./2./a./ genannten 500 Gramm Kokain.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der nachgenannten Angeklagten, die Tahir D***** auf Z 5, 8, 9 lit a, 9 lit b, 10 und 11, Jelenko B***** auf Z 5, 8, 9 lit a und 11 und Doris Z***** auf Z 5, 9 lit a und 11 jeweils des § 281 Abs 1 StPO stützen.

[4] Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass das angefochtene Urteil – wie auch die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt – mit nicht geltend gemachter materieller Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) behaftet ist, die zum Nachteil aller Angeklagter wirkt und daher von Amts wegen aufzugreifen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

[5] Die vom Erstgericht zu sämtlichen Schuldsprüchen mit Ausnahme des Schuldspruchs I./C./1./b./ konstatierte Reinsubstanz „Kokain.HCI“ (ersichtlich gemeint „Kokain.HCl“ [Kokainhydrochlorid]) enthält zwar jedenfalls Kokain in Reinsubstanz im Sinn der Suchtgiftverordnung, entspricht jedoch nicht der im Anhang unter 1. der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit über die Grenzmengen der Suchtgifte (Suchtgift-Grenzmengenverordnung – SGV) genannten Substanz „Kokain“. Die zu dieser festgesetzte Grenzmenge von 15 Gramm bezieht sich gemäß § 2 SGV nämlich nur auf die Base, nicht aber auf ein Salz (hier Kokainhydrochlorid) dieses Suchtgifts. Eine Überschreitung der Grenzmenge (§ 28b SMG) sowie des 25‑Fachen der Grenzmenge lässt sich auf der vom Erstgericht festgestellten Sachverhaltsgrundlage daher nicht beurteilen (RIS‑Justiz RS0114428 [T5], jüngst 13 Os 23/20m).

[6] Die Konstatierungen, die einen – gar nicht erfolgten – Schuldspruch nach § 27 Abs 1 Z 1 fünfter Fall SMG, § 27 Abs 1 Z 1 siebenter Fall SMG und § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG tragen würden, können für sich allein nicht bestehen bleiben (RIS‑Justiz RS0115884).

[7] Solcherart waren sämtliche Schuldsprüche mit Ausnahme des Schuldspruchs I./C./1./b./ zur Gänze zu beheben.

[8] Unter Berücksichtigung des engen beweismäßigen Zusammenhangs sämtlicher Schuldsprüche nahm der Oberste Gerichtshof die Möglichkeit, das angefochtene Urteil nur teilweise aufzuheben (§ 289 StPO), nicht wahr.

[9] Auch das Einziehungserkenntnis ist mit nicht geltend gemachter Nichtigkeit (Z 11 erster Fall) behaftet, die sich zum Nachteil der Angeklagten auswirkt und demnach von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO). Die bloße Bezugnahme auf das „sichergestellte Suchtgift“ determiniert nämlich den Gegenstand der Einziehung nicht (RIS‑Justiz RS0121298 [T9]).

[10] Daraus folgte die Aufhebung des angefochtenen Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO).

[11] Auf diese Entscheidung waren die Beschwerdeführer mit ihren Nichtigkeitsbeschwerden und ihren Berufungen ebenso zu verweisen wie der Angeklagte Yücel A***** mit seiner Berufung.

 

[12] Hinzugefügt sei, dass das Urteil überdies, wenn auch ohne konkreten Nachteil für die Angeklagten im Sinn des § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO (vgl Ratz , WK‑StPO § 290 Rz 22 f), an weiterer Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) leidet:

[13] § 28a Abs 4 Z 3 SMG stellt eine besondere Art von Zusammenrechnungsgrundsatz – vergleichbar mit dem für wert‑ und schadensqualifizierte Delikte geltenden § 29 StGB – dar, sodass gleichartige strafbare Handlungen nach § 28a Abs 1 SMG derart qualifiziert stets nur ein einziges Verbrechen nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG begründen (RIS‑Justiz RS0117464 [T14]).

[14] Dabei sind nur gleichartige Verbrechen, also (jeweils) die selben Tatbilder nach § 28a Abs 1 SMG zusammenzufassen (RIS‑Justiz RS0117464 [T18]).

[15] Solcherart ist die gesonderte Annahme je eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG zu den Schuldsprüchen I./B./ und II./B./ betreffend Denis M***** und Tahir D***** sowie je eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG zu den Schuldsprüchen II./A./ und B./ und II./C./ betreffend Tahir D***** rechtlich verfehlt.

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