European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E131260
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Klägerin unterzog sich im Krankenhaus des beklagten Konvents einer Gallenblasenoperation in Form einer laparoskopischen Cholezystektomie (= Entfernung der Gallenblase in Knopflochtechnik). Davor wurde sie darüber aufgeklärt (Dauer der Aufklärung etwa 15 Minuten), dass eine Verletzung benachbarter Organe vorkommen könne und dass stärkere Blutungen auftreten könnten, sowie dass die Wahrscheinlichkeit, dass eine Blutung auftrete, bei Einnahme eines Blutverdünnungsmittels wie Thrombo ASS erhöht sei. Die Operation wurde lege artis durchgeführt. Am nächsten Tag traten bei der Klägerin starke Schmerzen auf. Eine Computertomographie zeigte reichlich Blut im Bauch. In einer weiteren Operation wurde ein Kapseleinriss und eine Blutung aus dem Milzhilus mit Blutungsursache festgestellt und die Milz schließlich entfernt. Auch diese Vorgangsweise war lege artis. Die Milzblutung wurde durch die bestehende Therapie mit Thrombo ASS 100 begünstigt. Nach Gallenblasenoperationen kommt es äußerst selten zum Auftreten von Milzblutungen ohne Verletzungen des Organs durch den Operateur. Ursächlich dafür sind angeborene oder erworbene Verwachsungen des Bauchfells. Das Risiko, dass es bei unbeteiligten Organen zu Blutungen kommt, ist bei einer Gallenblasenentfernung in offener Weise gleich hoch wie bei einer solchen in laparoskopischer Art und Weise. Beide Risiken sind als verschwindend gering einzuschätzen.
[2] Die Klägerin begehrt vom Beklagten Schadenersatz (Schmerzengeld sowie Behandlungs- und Haushaltskosten). Die Gallenoperation sei nicht lege artis durchgeführt worden und die Klägerin sei unzureichend aufgeklärt worden.
[3] Der Beklagte bestritt dies und wendete im Wesentlichen ein, die Klägerin hätte sich aufgrund des massiven Leidensdrucks und der medizinischen Indikation auch bei noch so umfassender Aufklärung für den tatsächlich durchgeführten Eingriff entschieden. Eine Verletzung der Milz sei bei jeglicher Operationsmethode aufgrund deren Lage so absurd gering, dass auch eine Aufklärung darüber keinen Einfluss auf die Entscheidung der Klägerin für oder gegen die Vornahme der Operation gehabt hätte. Die Verletzung der Milz sei auch nicht Folge der Cholezystektomie gewesen, weshalb sich auch nicht ein Risiko verwirklicht habe, über das die Klägerin nicht aufgeklärt worden sei.
[4] Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Risiko für den Eintritt der hier zu beurteilenden Komplikation sei verschwindend gering gewesen, was schon allein die Tatsache zeige, dass eine derartige Komplikation nur fünfmal in der Weltliteratur dokumentiert sei. Daher habe die Klägerin über die konkrete Gefahr einer Verletzung der Milz im Zuge der laparoskopischen Operation nicht aufgeklärt werden müssen. Typisch für die Durchführung laparoskopischer Operationen sei jedoch ein Risiko von Blutungen, das dadurch entstehe, dass Gas in den Bauchraum eingepumpt werde. Über dieses allgemeine Blutungsrisiko sei die Klägerin ausreichend aufgeklärt worden. Es sei nicht notwendig, im Zuge der Aufklärung über ein Blutungsrisiko sämtliche Stellen im Körper zu nennen, an denen Blutungen auftreten könnten. Dies würde einen Patienten im Vorfeld einer Operation als medizinischen Laien überfordern und nicht zu einer zielführenden Entscheidungsfindung beitragen. Eine Aufklärungspflichtverletzung des Beklagten liege somit nicht vor.
[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Der Aufklärung sei hinreichend deutlich zu entnehmen gewesen, dass ein mögliches Risiko darin bestehe, dass es zu einer Verletzung eines inneren Organs, verbunden mit einer stärkeren Blutung, kommen könnte. Dabei müsse jedem Patienten einleuchten, dass die daraus resultierenden Folgen für ihn auch schwerwiegenderer Natur (bis hin zur allfälligen Notwendigkeit einer Not-OP) sein könnten. Dass nicht ausdrücklich erwähnt worden sei, dass ein Risiko von Blutungskomplikationen an Organen bestehe, die nicht an der Operation „beteiligt“ sind, schade nicht, weil sich ohnedies aus der erfolgten Aufklärung ergebe, dass benachbarte Organe von einer solchen Komplikation betroffen sein könnten.
Rechtliche Beurteilung
[6] Die Klägerin begehrt mit ihrer außerordentlichen Revision, der Klage stattzugeben; in eventu stellte sie einen Aufhebungsantrag. Die Revision zeigt jedoch keine erheblichen Rechtsfragen auf und ist daher als unzulässig zurückzuweisen:
[7] 1. Der Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht, die grundsätzlich anzunehmen ist, ist eine Frage des Einzelfalls. Der Arzt muss nicht auf alle nur denkbaren Folgen der Behandlung hinweisen (RS0026529). Die ärztliche Aufklärungspflicht ist zwar bei Vorliegen einer typischen Gefahr verschärft. Auch das typische Risiko muss allerdings stets von einiger Erheblichkeit und dadurch geeignet sein, die Entscheidung des Patienten zu beeinflussen (RS0026340 [T1]). Eine Aufklärung über mögliche schädliche Folgen einer Behandlung ist dann nicht erforderlich, wenn die Schäden nur in äußerst seltenen Fällen auftreten und anzunehmen ist, dass sie bei einem verständigen Patienten für seinen Entschluss nicht ernsthaft ins Gewicht fallen (RS0026230). Wollte man nicht nur die Aufklärung über typische Operationsrisiken, deren Wahrscheinlichkeit verschwindend gering ist, verlangen, sondern jeweils auch Hinweise auf typische Komplikationen bei Verwirklichung solcher Risiken fordern, würde dies die Aufklärungspflicht in unvertretbarer Weise ausdehnen. Den Patienten müsste oftmals eine derartige Fülle von Informationen gegeben werden, dass ihnen eine Einschätzung der Lage nicht ermöglicht, sondern erschwert würde (vgl 6 Ob 144/19y).
[8] 2. Die Vorinstanzen sind von diesen Grundsätzen nicht abgewichen. Der Beklagte hat die Klägerin auf die typischen Risiken, dass eine Verletzung benachbarter Organe vorkommen könne und dass stärkere Blutungen auftreten könnten, sowie dass die Wahrscheinlichkeit, dass eine Blutung auftrete, bei Einnahme eines Blutverdünnungsmittels wie Thrombo ASS erhöht sei, hingewiesen. Ein Hinweis auch auf die – verschwindend geringe – Möglichkeit einer Blutung (ausgerechnet) der Milz würde die Aufklärungspflicht des Arztes überspannen, zumal nicht anzunehmen ist, dass die Klägerin bei Aufzählung sämtlicher Organe, deren Verletzung durch die Operation entfernt möglich wäre, anstelle der allgemeinen Aufklärung der möglichen Verletzung „benachbarter Organe“, ihren Entschluss, in den Behandlungsvertrag einzuwilligen, abgeändert hätte. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, wonach dem Beklagten kein Aufklärungsmangel vorzuwerfen ist, ist daher vertretbar und keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende (grobe) Fehlbeurteilung.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)