European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131199
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] 1. Hat das Berufungsgericht wie hier in einer Arbeits‑ und Sozialrechtssache (§ 502 Abs 5 Z 4 ZPO) ausgesprochen, dass die ordentliche Revision nicht nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig ist, so kann gemäß § 505 Abs 4 ZPO eine außerordentliche Revision erhoben werden. Der Abänderungsantrag des Klägers samt ordentlicher Revision (§ 508 Abs 1 und 2 ZPO) ist daher in eine außerordentliche Revision gemäß § 505 Abs 4 ZPO umzudeuten (RS0110049; RS0123405).
[2] 2. Mit rechtswirksamem, in einem Vorverfahren am 20. 11. 2018 geschlossenen gerichtlichen Vergleich, verpflichtete sich die Beklagte (damals noch: SVA der gewerblichen Wirtschaft, vgl § 47 Abs 2 SVSG), dem 1961 geborenen Kläger die Erwerbsunfähigkeitspension – unstrittig nach § 133 Abs 2 GSVG – in der gesetzlichen Höhe befristet von 1. 4. 2018 bis 31. 3. 2020 zu bezahlen.
[3] Der Kläger war als Immobilienmakler tätig. Im Jahr 2018 übte er aus gesundheitlichen Gründen keine betriebliche Tätigkeit mehr aus. Erst am 26. 11. 2018 meldete der Kläger das Immobilienmaklergewerbe bei der Gewerbebehörde ruhend.
[4] Mit Bescheid vom 2. 9. 2019 sprach die Beklagte aus, dass die mit Vergleich vom 20. 11. 2018 zuerkannte Erwerbsunfähigkeitspension des Klägers ab 1. 4. 2018 monatlich 1.530,60 EUR betrage. Die Tätigkeit sei am 26. 11. 2018 beendet worden, sodass die Pension erst am 27. 11. 2018 anfalle.
[5] Mit seiner Klage begehrt der Kläger nach Ausdehnung die Zahlung der auf die Monate April bis November 2018 entfallenden Erwerbsunfähigkeitspension samt Sonderzahlungen in Höhe von insgesamt 14.030,50 EUR samt Zinsen. Der Kläger habe seine berufliche Tätigkeit im März 2018 beendet, sodass ihm die Pension bereits ab April 2018 zustehe. Sein Gewerbe als Immobilienmakler habe der Kläger erst mit rechtskräftigem Abschluss des Vorverfahrens abmelden können; eine rückwirkende Abmeldung sei rechtlich nicht möglich gewesen.
[6] Die Beklagte wandte dagegen ein, dass der Kläger die Tätigkeit, aufgrund welcher er als erwerbsunfähig gelte, erst mit 26. 11. 2018 ruhend gestellt und daher erst mit diesem Tag aufgegeben habe, sodass die Erwerbsunfähigkeitspension erst am 27. 11. 2018 angefallen sei.
[7] Das Erstgericht stellte fest, dass die dem Kläger mit Vergleich vom 20. 11. 2018 zuerkannte befristete Erwerbsunfähigkeitspension erst ab 27. 11. 2018 anfalle. Das Zahlungsbegehren wies es ab.
[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Gemäß § 55 Abs 2 Z 2 lit b GSVG sei für den Anfall einer Pension aus dem Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit zusätzlich die Aufgabe der die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem GSVG begründenden Erwerbstätigkeit, die für die Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit maßgeblich gewesen sei, erforderlich. Bei der vom Kläger selbständig ausgeübten Tätigkeit als Immobilienmakler handle es sich um das reglementierte Gewerbe des Immobilientreuhänders gemäß § 94 Z 35 GewO 1994, zu dessen Ausübung es einer Gewerbeberechtigung bedürfe. Gemäß § 93 Abs 3 GewO 1994 seien bei Immobilientreuhändern das Ruhen und die Wiederaufnahme der Gewerbeausübung der Behörde im Vorhinein anzuzeigen; eine Anzeige im Nachhinein sei unzulässig und unwirksam. Die Behörde habe ab Einlangen der Mitteilung das Ruhen im GISA (Gewerbeinformationssystem Austria, § 365 GewO 1994) einzutragen. Eine Gewerbeausübung während des im GISA eingetragenen Ruhens sei unzulässig. Das Ruhen der Gewerbeberechtigung sei auch Voraussetzung, dass die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 7 Abs 2 Z 1 GSVG ende, sodass erst zu diesem Zeitpunkt von einer Aufgabe der die Pflichtversicherung begründenden Tätigkeit gesprochen werden könne, die den Anfall der Erwerbsunfähigkeitspension zur Folge habe. Dies müsse gerade unter dem Aspekt der vom Gesetzgeber intendierten Missbrauchsvermeidung so gesehen werden, könne doch bei aufrechter Gewerbeberechtigung die Tätigkeit jederzeit aufgenommen werden.
[9] In seiner außerordentlichen Revision zeigt der Revisionswerber vor dem Hintergrund der eindeutigen Lösung der Rechtsfrage im Gesetz (RIS‑Justiz RS0042656 [T8]) keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:
Rechtliche Beurteilung
[10] 1.1 Die im konkreten Fall anzuwendende Norm ist § 55 Abs 2 Z 2 lit b GSVG. Diese Bestimmung lautet auszugsweise:
„ Anfall der Leistungen
§ 55. (1) Soweit nichts anderes bestimmt ist, fallen die sich aus den Leistungsansprüchen ergebenden Leistungen mit dem Entstehen des Anspruches (§ 54) an.
(2) Pensionen aus der Pensionsversicherung fallen an:
1. Hinterbliebenenpensionen …
2. Alle übrigen Pensionen fallen mit Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen an, …. Für den Anfall einer Pension aus dem Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit ist
a) bei einer Erwerbsunfähigkeit gemäß § 133 Abs. 1 …,
b) bei einer Erwerbsunfähigkeit gemäß § 133 Abs. 2 und 3 zusätzlich die Aufgabe der die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz begründenden Erwerbstätigkeit, die für die Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit maßgeblich war,
erforderlich, ….“
[11] 1.2 Die Bestimmung des § 55 Abs 2 Z 2 lit b GSVG (und das im Detail teilweise unterschiedliche Parallelrecht, vgl 10 ObS 42/12t SSV‑NF 26/30) wurde mit dem Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl 1996/201, geschaffen. Die Regelung soll der Vermeidung von Missbräuchen dienen. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll verhindert werden, dass neben dem Bezug einer Pension aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit die bisherige Tätigkeit weiterhin ausgeübt wird (ErläutRV 72 BlgNR 20. GP 247; RS0116849 [T1]). Für den Anfall der Leistung ist letztlich die vollständige Aufgabe einer bestimmten Tätigkeit entscheidend (10 ObS 149/06v SSV‑NF 20/71 zu § 86 Abs 3 Z 2 Satz 3 ASVG mwH; RS0121574).
[12] 2.1 Schon nach dem Wortlaut der Bestimmung genügt entgegen der Rechtsansicht des Revisionswerbers im konkreten Fall der Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Z 1 GSVG die bloße Aufgabe der selbständigen Erwerbstätigkeit nicht, um den Anfall der ihm zuerkannten Erwerbsunfähigkeitspension nach § 133 Abs 2 GSVG zu bewirken. Denn aufgegeben werden muss jene Erwerbstätigkeit, die
a) für die Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit maßgeblich war und
b) die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem GSVG begründete.
[13] 2.2 Da ein selbständiger Gewerbetreibender gleichzeitig mehrere Gewerbetätigkeiten ausüben kann, ist Voraussetzung für den Anfall einer Erwerbsunfähigkeitspension nach § 133 Abs 2 GSVG, dass jene Erwerbstätigkeit aufgegeben wird, die für die Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit maßgeblich war. Dies ist im Fall des Klägers allein die Tätigkeit als Immobilienmakler. Die Ausübung dieser Tätigkeit begründete auch die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem GSVG.
[14] 2.3 Das bloß faktische „Aufgeben“ dieser Tätigkeit bedeutet schon deshalb keine „Aufgabe der die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung [nach dem GSVG] begründenden Erwerbstätigkeit“, weil es – worauf der Kläger in seinem Vorbringen selbst hingewiesen hat – nichts am aufrechten Fortbestand der (durch diese Erwerbstätigkeit begründeten) Pflichtversicherung in der Krankenversicherung und Pensionsversicherung nach dem GSVG ändert:
[15] 3.1 Der Grund dafür liegt darin, dass ein Immobilienmakler das reglementierte Gewerbe des Immobilientreuhänders ausübt (vgl § 94 Z 35, § 117 GewO 1994). Er benötigt dafür eine Gewerbeberechtigung (§ 5 Abs 1, §§ 339, 340 Abs 1 GewO 1994; dazu näher C. Roth, Gewerbelizenz, Gewerbeberechtigung und Nebenrechte, JAP 2018/2019/8, 83).
[16] 3.2 Betreibt eine physische Person eine Unternehmung selbständig, die – wie im vorliegenden Fall – der Gewerbeordnung unterliegt, oder ist sie diese zu betreiben berechtigt, so wird sie gemäß § 2 Abs 1 und 2 WKG Mitglied der Wirtschaftskammer.
[17] Bei der Mitgliedschaft zur Wirtschaftskammer handelt es sich um eine Pflichtmitgliedschaft, die bei Vorliegen der in § 2 WKG genannten Voraussetzungen ipso iure ohne eine unmittelbar darauf abzielende Willenserklärung eintritt. Diese Mitgliedschaft endet auch – etwa mit einer Zurücklegung oder einer Entziehung der Gewerbeberechtigung durch die Behörde, oder auch durch die Anzeige eines Ruhens der Gewerbeausübung nach § 93 GewO 1994 (Ficzko/Schruf, Praxiskommentar zum GSVG [19. Lfg] § 2 GSVG, 8) –, ohne dass es dazu eines konstitutiven Akts der Wirtschaftskammer bedürfte (VwGH 2006/08/0039 ua).
[18] Das Ruhen und die Wiederaufnahme der Gewerbeausübung muss der Gewerbetreibende gemäß § 93 Abs 1 GewO 1994 binnen drei Wochen der Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft anzeigen. Bei Immobilientreuhändern im Sinn des § 117 GewO 1994 hat diese Anzeige jedoch gemäß § 93 Abs 3 GewO 1994 im Vorhinein bei der Gewerbebehörde zu erfolgen. Die Ausübung des Gewerbes des Immobilientreuhänders während des im GISA berücksichtigten Ruhens ist wegen unbefugter Gewerbeausübung zu bestrafen (§ 93 Abs 3, § 366 Abs 1 Z 1 GewO 1994; VwGH Ra 2017/04/0151).
[19] 3.3 Die Mitgliedschaft zur Wirtschaftskammer knüpft daher im Fall der Betreibung eines der Gewerbeordnung 1994 unterliegenden Unternehmens an die (aufrechte) Gewerbeberechtigung dazu an (Neumann in SV‑Komm [210. Lfg] § 2 GSVG Rz 3).
[20] Die Mitgliedschaft in der Wirtschaftskammer begründet ihrerseits wieder die Pflichtversicherung nach dem GSVG gemäß § 2 Abs 1 Z 1 GSVG: Nach dieser Bestimmung sind natürliche Personen, die Mitglieder der Kammern der gewerblichen Wirtschaft sind, in der Krankenversicherung und in der Pensionsversicherung nach dem GSVG pflichtversichert.
[21] Der Bestand der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung hängt daher letztlich von der Berechtigung zur Ausübung der entsprechenden selbständigen Erwerbstätigkeit ab; Ob der Selbständige seinen Erwerb aus der (hier: Gewerbe‑)Berechtigung zieht, ist für die Versicherungspflicht ohne Bedeutung (Scheiber in Sonntag, GSVG9 § 2 Rz 9; Neumann in SV‑Komm § 2 GSVG Rz 7, jeweils mwH).
[22] 3.4 Damit übereinstimmend regelt das GSVG Beginn und Ende der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung für Personen, die wie der Kläger gemäß § 2 Abs 1 Z 1 GSVG pflichtversichert sind: Die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung beginnt für diese Versicherten gemäß § 6 Abs 3 Z 1 GSVG mit dem Tag der Erlangung einer die Pflichtversicherung begründenden Berechtigung. Sie endet gemäß § 7 Abs 2 Z 1 GSVG mit dem Letzten des Kalendermonats, in dem die die Pflichtversicherung begründende Berechtigung erloschen ist.
[23] 3.5 Aus diesen gesetzlichen Bestimmungen ergibt sich, dass eine im Sinn des § 55 Abs 2 Z 2 lit b GSVG (vollständige) Aufgabe der die Pflichtversicherung begründenden Erwerbstätigkeit, die für die Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit maßgeblich war, in den Fällen des § 2 Abs 1 Z 1 GSVG nur vorliegt, wenn die faktische Beendigung der unternehmerischen Tätigkeit mit der Beendigung der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung einher geht. In Übereinstimmung mit dieser Gesetzeslage sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass die Pflichtversicherung des Klägers in der Pensionsversicherung nach dem GSVG durch die Anzeige des Ruhens des Gewerbes als Immobilientreuhänder (ex nunc) und für die Dauer des Ruhens endete (§ 4 Abs 1 Z 4 GSVG).
[24] Dass erst zu diesem Zeitpunkt von der vom Gesetzgeber zur Vermeidung von Missbräuchen gewünschten vollständigen) Aufgabe der Erwerbstätigkeit des Klägers im Sinn des § 55 Abs 2 Z 2 lit b GSVG ausgegangen werden kann, zeigt sich auch daran, dass erst bei einer Eintragung des Ruhens des Gewerbes im GISA die Ausübung der die Erwerbsunfähigkeit begründenden Erwerbstätigkeit verwaltungsrechtlich strafbar und daher unzulässig wäre. Bei aufrechter Gewerbeberechtigung wäre dem Kläger, worauf das Berufungsgericht hingewiesen hat, die Wiederaufnahme seiner gewerblichen Tätigkeit jederzeit möglich gewesen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)