OGH 3Ob116/20k

OGH3Ob116/20k30.11.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Dr. Roch als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Z*****, vertreten durch Mag. Tomasz Gaj, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Y*****, 2. H*****, beide vertreten durch Mag. Kurt Kulac, Rechtsanwalt in Graz, wegen 77.958,23 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 13. Mai 2020, GZ 30 R 94/20v‑32, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 9. Dezember 2019, GZ 62 Cg 31/17x‑28, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0030OB00116.20K.1130.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die im Umfang der Abweisung des Klagebegehrens gegenüber der erstbeklagten Partei unberührt bleiben, werden im Übrigen, also hinsichtlich der zweitbeklagten Partei, aufgehoben und die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin, eine in Polen ansässige GmbH, belieferte die in Wien ansässige H***** KG (in Hinkunft: Schuldnerin), die einen Supermarkt, eine Fleischerei und einen Imbissstand betrieb, im Zeitraum Juli 2012 bis Mai 2013 mit großen Mengen Fleisch. Der Erstbeklagte war Leiter des Einkaufs der Schuldnerin und vertrat seinen Bruder H*****, den Komplementär der Schuldnerin, in diesem Bereich. Die Geschäftsbeziehung zur Klägerin entstand über Vermittlung eines für diese selbständig tätigen Handelsvertreters, der auch als Dolmetsch fungierte. Seitens der Schuldnerin trat der Erstbeklagte auf. Mit dem Komplementär hatte die Klägerin nie Kontakt. Als die bezogene Fleischmenge auf ca 20 Tonnen pro Woche anstieg, konnte die Schuldnerin diese nicht mehr (vor-)finanzieren, weshalb ein Forderungsversicherer beigezogen wurde, der die Versicherung für 25.000 EUR übernahm.

[2] Über das Vermögen der Schuldnerin wurde mit Beschluss vom 28. August 2013 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Klägerin meldete einen Betrag von 77.958,23 EUR an offenen Kaufpreisen (verspätet) im Insolvenzverfahren an; der Insolvenzverwalter bestritt die Forderung wegen behaupteter Mängel der gelieferten Ware. Die Klägerin brachte keine insolvenzrechtliche Feststellungsklage ein. Sie informierte auch den Forderungsversicherer über die offenen Rechnungen; dieser lehnte die Leistung aber wegen der Bestreitung durch den Insolvenzverwalter ab.

[3] Die Zweitbeklagte übernahm nach der Insolvenzeröffnung die beiden Standorte der Schuldnerin; sie ist ebenfalls im Fleischhandel tätig und hat ihren Sitz an der selben Adresse wie die Schuldnerin. Ab ihrer Gründung im März 2013 bis 14. September 2015 war ihr Geschäftsführer der Erstbeklagte. Dieser wurde nämlich nach der Insolvenzeröffnung vom Alleingesellschafter der Zweitbeklagten gefragt, ob er sein Geschäftsführer werden wolle.

[4] Ende 2013/Anfang 2014 gab es am Sitz der Klägerin in Polen ein Gespräch zwischen dem Geschäftsführer der Klägerin, dem Handelsvertreter der Klägerin, der als Dolmetsch fungierte, und dem Erstbeklagten wegen offener Forderungen von 117.000 EUR aus den offenen Lieferungen an die Schuldnerin. Der Erstbeklagte ersuchte damals den Geschäftsführer der Klägerin, von Exekutionsmaßnahmen Abstand zu nehmen, insbesondere keine Meldung an den Forderungsversicherer zu machen bzw die Meldung an diesen zurückzuziehen, weil er Angst um seinen Ruf und jenen der mit ihm verbundenen Unternehmen hatte. Er wollte nämlich auch in seiner neuen Tätigkeit als Geschäftsführer der Zweitbeklagten allenfalls wieder mit der Klägerin ins Geschäft kommen und deshalb die „alte Angelegenheit“ regeln. Er sagte zu, dass er sich bemühen werde, dass die Forderung bezahlt werde. Es kann nicht festgestellt werden, dass er zusagte, die Forderung persönlich zu bezahlen.

[5] In der Folge zahlte die Zweitbeklagte von Dezember 2013 bis Oktober 2014 in mehreren Tranchen insgesamt 40.000 EUR an die Klägerin. Dies geschah auf Anweisung des Erstbeklagten.

[6] Mit E-Mail vom 29. April 2014 (Beilage ./L) schrieb ein Mitarbeiter der Zweitbeklagten über Anweisung des Erstbeklagten an die Klägerin [genauer gesagt an den für diese tätigen Handelsvertreter]:

„Sehr geehrter Herr P*****,

wir haben an [die Klägerin] bis jetzt mit heutigen Zahlungen insgesamt 25.000 EUR überwiesen.

Ich habe mit [dem Erstbeklagten] gesprochen und er hat mir dazu gesagt, dass wir der Reste Betrag 85.000 EUR übernehmen, falls der Antrag von [gemeint: an] [den Forderungsversicherer] zurückgezogen wurde .

Wir werden den Betrag bis Ende des Jahres entweder Bar-Überweisung oder mit Fleischeinkauf begleichen.

Ich bitte darum, dass Sie den Antrag vom [Forderungsversicherer] zurückziehen.

Mit freundlichen Grüßen [der Mitarbeiter]

[7] Weiters schrieb er (bereits einige Stunden zuvor) an den Handelsvertreter der Klägerin:

„Anbei finden Sie die Überweisungsbestätigung über 5.000 EUR. Sie können den Antrag von [gemeint: an] [den Forderungsversicherer] stoppen oder zurückziehen. Wir zahlen alles. Ich bitte um Ihre Kenntnisse.

MfG [der Mitarbeiter]

[8] Die Klägerin zog daraufhin die Meldung an den Forderungsversicherer zurück.

[9] Als der Alleingesellschafter der Zweitbeklagten von den Zahlungen an die Klägerin erfuhr, wies er den Erstbeklagten an, diese einzustellen, zumal die Zweitbeklagte bis dahin keine Fleischlieferung von der Klägerin erhalten hatte. Mit 14. September 2015 wurde anstelle des Erstbeklagten ein anderer Geschäftsführer der Zweitbeklagten bestellt. Im Anschluss gab es bis März 2016 keinen Kontakt zwischen der Zweitbeklagten und der Klägerin.

[10] Im März 2016 fand ein Treffen zwischen dem Geschäftsführer der Klägerin, dem Klagevertreter, der auch als Dolmetsch fungierte, und dem Erstbeklagten statt, bei dem es um die offene Restforderung von rund 77.000 EUR aus Lieferungen an die Schuldnerin ging. Der Erstbeklagte zeigte Bereitschaft, die Angelegenheit zu lösen, weil es ihm nach wie vor darum ging, in der Branche einen guten Ruf zu behalten. Er erklärte, dass er Geschäftsführer eines Unternehmens sei und über diese Kontakte die Lösung der Probleme versuchen werde. Vereinbart wurde, dass er eine Bestätigung über die mängelfrei übernommene Ware ausstellen werde, damit die Klägerin doch noch etwas vom Forderungsversicherer bekomme. Zur Begleichung der offenen Forderung wurden drei Varianten besprochen: entweder eine geschäftliche Lösung durch den Einkauf von Waren zu einem durch einen Aufschlag auf den Kilopreis erhöhten Preis oder eine Vollzahlung mit 15 % Skonto oder eine Ratenzahlung. Es kann nicht festgestellt werden, dass sich der Erstbeklagte persönlich verpflichten wollte, die offene Forderung zu begleichen.

[11] Der Komplementär der Schuldnerin unterfertigte daraufhin am 5. März 2016 eine „Bescheinigung über erhaltene Ware“ im Gesamtbetrag von 81.848,11 EUR und bestätigte, dass die Waren ohne jegliche Mängel gewesen seien und dass vom Gesamtbetrag nach einer Teilzahlung von 3.889,88 EUR noch 77.958,23 EUR aushafteten. Mit dieser Bestätigung versuchte die Klägerin erneut, vom Forderungsversicherer Zahlung zu erlangen, die allerdings wegen Verjährung verweigert wurde.

[12] Der Erstbeklagte besprach die am 4. März 2016 diskutierten Varianten mit dem Gesellschafter der Zweitbeklagten, der allerdings nicht bereit war, die Schulden, auch nicht indirekt über den Wareneinkauf, zu begleichen.

[13] Die Klägerin begehrt mit ihrer am 9. Mai 2017 eingebrachten Klage von den Beklagten zur ungeteilten Hand den Betrag von 77.958,23 EUR sA. Der Erstbeklagte habe sich am 4. März 2016 verpflichtet, die offene Forderung zu begleichen. Die Zweitbeklagte habe sich mit dem E-Mail Beilage ./L ebenso zur Zahlung von 85.000 EUR verpflichtet. Mangels Rechtswahl der Parteien sei polnisches Recht anwendbar; das UN-Kaufrecht und das VerjÜbk seien Bestandteile des polnischen Rechts; demnach betrage die Verjährungsfrist vier Jahre. Die gelieferte Ware sei mangelfrei gewesen. Nach polnischem Recht sei die Erklärung der Zweitbeklagten Beilage ./L trotz fehlender Causa der Erklärung rechtswirksam. Das Rechtsgeschäft des kumulativen Schuldbeitritts sei nicht gesetzlich geregelt, aber durch Lehre und Rechtsprechung entwickelt worden; nach überwiegender Auffassung komme der Erklärung über den Schuldbeitritt ein abstrakter Charakter zu. Wie von der Zweitbeklagten im genannten E-Mail gewünscht, sei der Antrag auf Auszahlung der Versicherung zurückgenommen worden. Die damalige Erklärung der Zweitbeklagten stelle keinen Schuldbeitritt, sondern vielmehr eine Schuldübernahme dar. Bei Verfassung des E-Mails Beilage ./L sei ihr nämlich klar gewesen, dass die Schuldnerin infolge des Konkursverfahrens aufgelöst werde und daher die Forderung der Klägerin „nicht mehr existent werde“. Auch die Bedingung der Rücknahme des Antrags an den Forderungsversicherer bestätige das Vorliegen einer Schuldübernahme, weil die Rücknahme des Antrags einen Verzicht auf die Geltendmachung der Forderung gegenüber der Schuldnerin darstelle. Die Klägerin habe den Antrag zurückgezogen, weil die Zweitbeklagte die Schuld der Schuldnerin übernommen habe. Ein Beitritt zu einer in Kürze nicht mehr existenten Partei und einer nicht mehr existenten Schuld könne aus wirtschaftlicher Sicht nicht als Schuldbeitritt, sondern als Schuldübernahme angesehen werden.

[14] Die Beklagten wendeten insbesondere ein, Vertragspartnerin der Klägerin sei ausschließlich die Schuldnerin gewesen, weshalb sie nicht passiv legitimiert seien. Die Klageforderung sei außerdem verjährt. Der Umstand, dass die Zweitbeklagte teilweise Forderungen der Klägerin gegen die Schuldnerin beglichen habe, könne ihre Passivlegitimation nicht begründen. Der Inhalt der beiden E‑Mails vom 29. April 2014 sei eine aus dem Zusammenhang gerissene Konversation bezüglich der geplanten Etablierung einer Geschäftsbeziehung. Die in Aussicht gestellten 85.000 EUR, die sich nach keiner Berechnungsvariante mit der Klageforderung in Einklang bringen ließen, seien zur „Rettung“ einer Geschäftsbeziehung gedacht gewesen, hätten aber keinen direkten Konnex zu Altforderungen gehabt. Dass das geplante Vorhaben, eine regelmäßige Geschäftsbeziehung sicherzustellen, letztlich gescheitert sei, liege daran, dass keine weiteren Waren geliefert worden seien und es daher nie zu einer Vereinbarung gekommen sei. Von einer Schuldübernahme durch die Zweitbeklagte könne keine Rede sein, zumal es keine Bezugnahme auf das Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und der Schuldnerin gegeben habe. Es sei nie, auch nicht am 29. April 2014, festgestanden, dass die Zweitbeklagte für eine Zahlung von 80.000 EUR einzustehen habe. Die gegenständlichen Lieferungen seien auch teilweise gravierend zu spät erfolgt und die Produkte seien generell von äußerst schlechter Qualität gewesen. Außerdem sei die Klageforderung verjährt, weil die Lieferungen früher als vier Jahre vor Einbringung der Klage erfolgt seien.

[15] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die hier geltend gemachten Ansprüche ergäben sich nicht mehr aus dem ursprünglichen Kaufvertrag zwischen der Klägerin und der insolventen Schuldnerin. Die Klage gegen den Erstbeklagten scheitere schon daran, dass er nach den Feststellungen keine persönliche Verpflichtung gegenüber der Klägerin übernommen habe. Gegenüber der Zweitbeklagten könnte sich hingegen ein Anspruch aus dem E-Mail Beilage ./L ergeben, sodass zunächst das anwendbare Recht zu ermitteln sei. Mangels Rechtswahl sei das Recht des Staats anwendbar, in dem die Partei, die die für den Vertrag charakteristische Leistung zu erbringen habe, ihren gewöhnlichen Aufenthalt habe (Art 4 Abs 2 Rom I‑VO). Für die Ermittlung des anwendbaren Rechts könne offen bleiben, ob es sich um eine Schuldübernahme oder um einen Schuldbeitritt handle, weil in jedem Fall die charakteristische Leistung jene des Neuschuldners sei. Daher sei österreichisches Recht anzuwenden. Eine privative Schuldübernahme erfolge entweder durch Vertrag zwischen Alt- und Neuschuldner mit Einwilligung des Gläubigers oder durch Vertrag zwischen Neuschuldner und Gläubiger zugunsten des Altschuldners. Nur letztere Variante sei hier denkbar. Die Vereinbarung zwischen [richtig:] Gläubiger und Übernehmer könne entgeltlich oder unentgeltlich sein. Eine entgeltliche Schuldübernahme liege hier nicht vor. Dass die Zweitbeklagte gehofft habe, dadurch mit der Klägerin wieder ins Geschäft zu kommen, sei ein Motiv für die offenbar unentgeltliche Schuldübernahme. Die für eine Schenkung erforderliche Übergabe sei die Zahlung von 10.000 EUR am 27. Mai 2014. Dennoch sei fraglich, ob die Zweitbeklagte tatsächlich eine Schuldübernahme bewirken habe wollen, zumal im Schreiben Beilage ./L dieser Begriff nicht vorkomme und von mehreren Alternativen der Bezahlung die Rede sei. Im Hinblick auf die Zweifelsregel des § 1406 ABGB sei daher von einem bloßen Schuldbeitritt auszugehen. Auf einen solchen sei aber das Schriftformerfordernis des § 1346 Abs 2 ABGB analog anzuwenden. Mangels eigenhändiger Unterfertigung des E-Mails sei daher kein wirksamer Schuldbeitritt erfolgt. Selbst wenn aber wirksam eine privative oder kumulative Schuldübernahme zustande gekommen wäre, wäre die Forderung der Klägerin verjährt, weil die letzte Lieferung an die Schuldnerin im Mai 2013 erfolgt sei, somit vier Jahre vor Einbringung der Klage am 9. Mai 2017. Die Schuldübernahme sei nicht geeignet gewesen, die Verjährungsfrist zu unterbrechen.

[16] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und ließ die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu. Da die Klägerin als Verkäuferin ihren Sitz in Polen habe, unterlägen die Kaufverträge mit der Schuldnerin dem polnischen Sachrecht. Die Verjährung sei ebenfalls nach polnischem Recht – und damit insbesondere nach dem UN-VerjÜbk – zu beurteilen. Die charakteristische Leistung bei persönlichen Sicherungsgeschäften wie dem Schuldbeitritt sei jene des Sicherungsgebers. Die Frage, ob die Klägerin mit der Zweitbeklagten (am 29. April 2014) und dem Erstbeklagten (am 4. März 2016) wirksame Schuldbeitrittsverträge geschlossen habe, sei daher nach dem österreichischen Sachrecht zu beantworten. Gemäß § 1347 ABGB begründe der Schuldbeitritt eine Solidarverpflichtung des Beitretenden mit dem Altschuldner. Die Schuld werde übernommen, „wie sie ist“, der Beitretende schulde dem Gläubiger also aus demselben Rechtsgrund, aus dem die Verbindlichkeit des bisherigen Schuldners stamme. Auch die bisherige Verjährung laufe weiter, soweit im Schuldbeitritt kein Anerkenntnis zu sehen sei. Allerdings habe das Erstgericht zu Recht keine wirksamen Schuldbeitrittsverträge angenommen, weil ein im E-Mail Beilage ./L und der anschließenden Rücknahme der Meldung an den Forderungsversicherer zu sehender Schuldbeitritt wegen Verstoßes gegen das Schriftformgebot des § 1346 Abs 2 ABGB formungültig und damit unwirksam wäre. Die Klägerin trete diesem Ergebnis in der Berufung nur mit dem Argument entgegen, nach polnischem Recht sei der Schuldbeitritt formfrei möglich. Da aber die Formgültigkeit des Schuldbeitritts nach österreichischem Sachrecht zu beurteilen sei, begründe die Nichtermittlung des polnischen Rechts entgegen der Ansicht der Klägerin keinen Verfahrensmangel.

[17] In ihrer außerordentlichen Revision, die sich inhaltlich nur gegen die Klageabweisung gegenüber der Zweitbeklagten richtet, macht die Klägerin insbesondere geltend, das Berufungsgericht habe den in der Berufung enthaltenen Hinweis auf Art 11 Rom I-VO ignoriert. Danach genüge die Einhaltung der Formerfordernisse eines der alternativ berufenen Rechte; es reiche also aus, wenn der Vertrag nach dem Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort einer Vertragspartei formgültig sei. Der Vertrag zwischen der Klägerin und der Zweitbeklagten sei mündlich in Polen (Ende 2013/Anfang 2014) oder aber auf Distanz (mit E-Mail Beilage ./L) geschlossen worden. Nach polnischem Recht bestehe für den Abschluss eines Schuldbeitrittsvertrags kein Schriftformerfordernis.

[18] Die Zweitbeklagte beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[19] Die Revision ist zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

[20] 1. Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist zwar auf die Kaufverträge zwischen der Klägerin und der Schuldnerin polnisches Recht anzuwenden (Art 4 Abs 1 lit a Rom I-VO), auf den Schuldbeitritt bzw die Schuldübernahme der Zweitbeklagten aber österreichisches Recht (Art 4 Abs 2 Rom I-VO). Die Ausweichklausel des Art 4 Abs 3 Rom I-VO kann hier entgegen der Ansicht der Klägerin nicht zum Tragen kommen, weil es sich dabei um eine eng auszulegende Ausnahmeregelung handelt und insbesondere die akzessorische Anknüpfung von dienenden Rechtsgeschäften betrifft, wie etwa die Ausfüllung von Rahmenverträgen, Vergleiche über vertragliche Verpflichtungen oder Sicherungsabreden zwischen den Parteien des Hauptvertrags ( Musger in KBB 6 Art 4 Rom I-VO Rz 12 mwN).

[21] 2. Die Vorinstanzen haben grundsätzlich zutreffend ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung ein zu Sicherungszwecken erfolgter Schuldbeitritt analog § 1346 Abs 2 ABGB der Schriftform bedarf (RS0126112), wobei ein einfaches E-Mail – wie hier – nicht ausreichend ist (vgl P. Bydlinski in KBB 6 § 886 ABGB Rz 5 mwN). Sofern Beilage ./L als bloßer Schuldbeitritt der Zweitbeklagten anzusehen wäre, hätten die Vorinstanzen allerdings tatsächlich die Vorschrift des Art 11 Rom I-VO übersehen, aufgrund derer der Schuldbeitritt dennoch wirksam wäre, wenn das polnische Recht, wie von der Klägerin behauptet, keine solche Formvorschrift kennen sollte. In diesem Fall wäre es daher erforderlich, das maßgebliche polnische Recht zu ermitteln.

[22] 3. Dies kann hier allerdings deshalb unterbleiben, weil das E-Mail Beilage ./L bei Betrachtung aller Umstände nur als privative Schuldübernahme qualifiziert werden kann: Es ist nämlich zu berücksichtigen, dass diese Erklärung rund acht Monate nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die Schuldnerin („Altschuldnerin“) abgegeben wurde. In dieser Situation konnte aber für die Zweitbeklagte kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, dass ihre Zahlungsverpflichtung auch tatsächlich schlagend werden würde. Ihre Erklärung kann deshalb nur so verstanden werden, dass sie die Verbindlichkeit der Schuldnerin zu ihrer eigenen machen wollte. Ausgehend davon ist aber für eine Anwendung der Zweifelsregel des § 1406 Abs 2 ABGB kein Raum. Will sich aber die Zweitbeklagte nicht nur zur Sicherstellung einer materiell fremden Schuld verpflichten, liegt keine bloße Interzession vor, sodass nach österreichischem Recht keine Formvorschrift für ihre Erklärung bestand; damit ist ein Rückgriff auf das polnische Recht iSd Art 11 Rom I-VO nicht mehr erforderlich.

[23] 4.1. Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren zu klären haben, ob die eingeklagte Forderung dem Grunde und der Höhe nach berechtigt ist. Die bisher in diesem Zusammenhang allein getroffene Feststellung, wonach der Komplementär der Schuldnerin am 5. März 2016 schriftlich bestätigte, dass der nun eingeklagte Betrag aus Lieferungen vom 29. April, 3. Mai und 9. Mai 2013 unberichtigt aushafte und diese Lieferungen mangelfrei gewesen seien, reicht dafür nämlich nicht aus, weil es sich bloß um eine Erklärung des Komplementärs mit dem Zweck handelt, den Forderungsversicherer zur Leistung zu bewegen.

[24] 4.2. Außerdem werden Feststellungen zu treffen sein, aufgrund derer die Berechtigung des Verjährungseinwands der Beklagten beurteilt werden kann. In diesem Zusammenhang kann auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts zur Anwendbarkeit des UN-VerjÜbk verwiesen werden (vgl auch 3 Ob 55/17k).

[25] 5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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