OGH 5Ob209/20a

OGH5Ob209/20a30.11.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache der betroffenen Person E*, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Betroffenen, vertreten durch den Rechtsbeistand Mag. Dr. Wolfgang Stütz, Rechtsanwalt in Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 23. Juli 2020, GZ 15 R 237/20h‑152, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130350

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Erfordert es das Wohl der betroffenen Person, so hat ihr das Gericht zur Besorgung dringender Angelegenheiten längstens für die Dauer des Verfahrens einen einstweiligen Erwachsenenvertreter mit sofortiger Wirksamkeit zu bestellen (§ 120 Abs 1 AußStrG).

[2] 2.1. Ein einstweiliger Erwachsenenvertreter darf grundsätzlich erst nach Abklärung durch den Erwachsenenschutzverein und Durchführung einer Erstanhörung bestellt werden (§ 120 Abs 2 AußStrG). Darüber hinaus sieht das Gesetz für die Bestellung des einstweiligen Erwachsenenvertreters kein besonderes Verfahren vor. Wegen der Dringlichkeit istweder eine eigene mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl 1 Ob 184/07a), noch bedarf es zwingend der Beiziehung eines Sachverständigen (9 Ob 67/19x mwN).

[3] 2.2. Der Umstand, dass das Erstgericht vor der Beschlussfassung – nach Einholung eines Abklärungsberichts des Erwachsenenschutzvereins und Erstanhörung – keine eigene Verhandlung über die Bestellung eines einstweiligen Erwachsenenvertreters durchgeführt und den Betroffenen zu den Ergebnissen des eingeholten Sachverständigengutachtens nicht neuerlich persönlich gehört hat, begründet daher keinen Verfahrensfehler und keine Verletzung des durch Art 6 Abs 1 EMRK gewährleisteten Rechts auf ein faires Verfahren, insbesondere nicht des Rechts auf rechtliches Gehör. Bei der Bestellung eines einstweiligen Erwachsenenvertreters handelt es sich um eine vorläufige Maßnahme zum Schutz der betroffenen Person vor Rechtsnachteilen. Dass die Voraussetzungen und die Erforderlichkeit einer Erwachsenenvertretung noch nicht endgültig geklärt sind, wird durch die Dringlichkeit der zu besorgenden Angelegenheiten aufgewogen (9 Ob 67/19x).

[4] 3.1. Die Frage, ob genügend und welche konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es das Wohl der betroffenen Person iSd § 120 AußStrG erfordert, ihr zur Besorgung dringender Angelegenheiten längstens für die Dauer des Verfahrens einen einstweiligen Erwachsenenvertreter zu bestellen, kann regelmäßig nur anhand der jeweiligen Umstände des konkreten Einzelfalls beurteilt werden. Dieser Frage kommt daher in der Regel keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (RIS‑Justiz RS0117006; RS0106166).

[5] 3.2. Die Bestellung eines einstweiligen Erwachsenenvertreters ist hier auch keine im Einzelfall aufzugreifende Überschreitung des den Gerichten eingeräumten Beurteilungsspielraums. Wenn die Vorinstanzen Zweifel hatten, ob der Betroffene seine Interessen ausreichend selbst wahrnehmen kann, ist dies im Hinblick auf die bisherigen Ergebnisse des Bestellungsverfahrens nicht zu beanstanden. Auch die Beurteilung des Rekursgerichts, dass (nur) in Bezug auf den auf die Vertretung in allen behördlichen Verfahren eingeschränkten Wirkungskreis dringende, noch vor Beendigung des Bestellungsverfahrens zu setzende Schritte zur Abwehr von Nachteilen erforderlich sind, bedarf keiner Korrektur. Diese von den Vorinstanzen mit dem Kostenrisiko, das mit den zahlreichen vom Betroffenen angestrengten Verfahren verbunden ist, begründete Dringlichkeit kann insbesondere nicht mit dem Argument in Frage gestellt werden, dass sämtliche derzeit anhängige Gerichtsverfahren ohnedies unterbrochen seien. Gilt es doch den Betroffenen (auch) vor den Nachteilen zu schützen, die mit der Einleitung weiterer Verfahren verbunden wären.

[6] 4. Mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG ist der Revisionsrekurs daher unzulässig und zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

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