OGH 5Nc15/20f

OGH5Nc15/20f13.10.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dkfm. F***** W*****, vertreten durch Mag. Daniel Schöpf, Mag. Christian Maurer, Mag. Daniel Maurer, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei P***** W*****, vertreten durch die Steiner Anderwald Rechtsanwälte OG in Spittal an der Drau, wegen 28.017,16 EUR sA, über Vorlage des Akts AZ 3 C 361/20p des Bezirksgerichts Spittal an der Drau zur Entscheidung eines negativen Kompetenzkonflikts, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0050NC00015.20F.1013.000

 

Spruch:

Zur Fortführung dieser Rechtssache ist das Bezirksgericht Spittal an der Drau zuständig.

Der Beschluss des Bezirksgerichts Spittal an der Drau vom 20. Mai 2020, GZ 3 C 361/20p‑17, mit dem es die Übernahme der Rechtssache ablehnte und seine Unzuständigkeit aussprach, wird aufgehoben.

 

Begründung:

Mit der beim Bezirksgericht Salzburg eingebrachten Mahnklage begehrte der Kläger von der Beklagten die Zahlung von 28.017,16 EUR sA. Nach dem Vorbringen in der Klage setzt sich dieser Anspruch aus mehreren Werklohn‑/Honorarforderungen zusammen, die jeweils die bezirksgerichtliche Wertgrenze nicht übersteigen. Zur Zuständigkeit verwies der Kläger darauf, dass Salzburg als Gerichtsstand vereinbart worden sei. In ihrem Einspruch gegen den vom Bezirksgericht Salzburg erlassenen Zahlungsbefehl erhob die Beklagte die Einrede der sachlichen und örtlichen Unzuständigkeit mit der Begründung, die Rechnungen stünden in einem tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang und seien daher zusammenzurechnen. Die Streitteile hätten außerdem keine Gerichtsstandvereinbarung getroffen, weshalb das Landesgericht Klagenfurt zuständig sei. Der Kläger räumte daraufhin ein, dass die Forderungen gemäß § 55 JN zusammenzurechnen seien, und stellte für den Fall, dass sich das Bezirksgericht Salzburg für unzuständig erklärt, den Antrag, die Klage an das nicht offenbar unzuständige Landesgericht Salzburg zu überweisen. Für den Fall der Unzuständigkeit dieses Landesgerichts beantragte er die Überweisung an das Landesgericht Klagenfurt, allenfalls an das Bezirksgericht Spittal an der Drau.

Das Bezirksgericht Salzburg sprach mit rechtskräftigem Beschluss vom 6. Dezember 2019 seine sachliche Unzuständigkeit aus und überwies die Rechtssache an das nicht offenbar unzuständige Landesgericht Salzburg. Das Landesgericht Salzburg erklärte sich mit dem in der Verhandlung am 15. Jänner 2020 verkündeten Beschluss für örtlich unzuständig und überwies die Rechtssache an das nicht offenbar unzuständige Landesgericht Klagenfurt. Die Parteien verzichteten auf eine Beschlussausfertigung und ein Rechtsmittel. Mit rechtskräftigem Beschluss vom 23. Jänner 2020 wies das Landesgericht Klagenfurt die Klage wegen sachlicher Unzuständigkeit zurück, weil ein Vorbringen in der Klage, wonach die Ansprüche zusammenzurechnen seien, nicht erstattet worden sei. Über Antrag des Klägers hob das Landesgericht Klagenfurt die Zurückweisung der Klage mit rechtskräftigem Beschluss vom 14. Februar 2020 auf und überwies die Rechtssache dem Bezirksgericht Spittal an der Drau.

Das Bezirksgericht Spittal an der Drau lehnte mit rechtskräftigem Beschluss vom 20. Mai 2020 „die Übernahme der überwiesenen Rechtssache ab“ und erklärte sich für sachlich unzuständig. Das Landesgericht Klagenfurt sei an den Unzuständigkeitsbeschluss des Bezirksgerichts Salzburg betreffend die sachliche Unzuständigkeit der Bezirksgerichte gebunden und habe daher seine sachliche Unzuständigkeit, mit der Begründung ein Bezirksgericht sei zuständig, nicht mehr aussprechen können.

Das Bezirksgericht Spittal an der Drau legte den Akt dem Oberlandesgericht Graz gemäß § 47 Abs 2 JN zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt vor. Mit Beschluss vom 16. Juli 2020 sprach das Oberlandesgericht Graz seine Unzuständigkeit aus und überwies die Rechtssache analog § 44 JN an den Obersten Gerichtshof. Seien – wie hier – in verschiedenen Oberlandesgerichtssprengeln gelegene Gerichte an einem Kompetenzkonflikt iSd § 47 Abs 2 JN beteiligt, habe diesen der Oberste Gerichtshof zu entscheiden.

Rechtliche Beurteilung

1.  Gemäß § 47 Abs 1 JN sind Streitigkeiten zwischen verschiedenen Gerichten erster Instanz über die Zuständigkeit für eine bestimmte Rechtssache von dem diesen Gerichten übergeordneten gemeinsamen höheren Gericht zu entscheiden. Zwar haben hier das Bezirksgericht Salzburg, das Landesgericht Salzburg, das Landesgericht Klagenfurt und das Bezirksgericht Spittal an der Drau jeweils seine Zuständigkeit verneint. Allerdings besteht ein Streit über die Zuständigkeit iSd § 47 Abs 1 JN nur zwischen dem Landesgericht Klagenfurt und dem Bezirksgericht Spittal an der Drau. Das Oberlandesgericht Graz hätte daher über den Kompetenzkonflikt entscheiden müssen. Da dieses aber bereits – unanfechtbar (§ 47 Abs 3 JN) – seine Zuständigkeit verneint hat, ist der Oberste Gerichtshof als allen beteiligten Gerichten gemeinsam übergeordnetes Gericht zur Entscheidung berufen (6 Nc 6/11a).

2. Die Anrufung des gemeinsam übergeordneten Gerichtshofs in einem negativen Kompetenzkonflikt nach § 47 JN setzt voraus, dass die beteiligten Gerichte rechtskräftige, ihre Zuständigkeit zur Entscheidung über dieselbe Rechtssache verneinende Beschlüsse gefasst haben (RIS‑ Justiz RS0046354, RS0046299 [T1], RS0046374 [T5], RS0118692 [T2, T3]). Diese Voraussetzung liegt hier vor.

3. Die rechtskräftige Entscheidung über die Unzuständigkeit ist nach § 46 Abs 1 JN für jedes Gericht bindend, bei welchem die Rechtssache in der Folge anhängig wird (RS0046315). Somit besteht die Bindungswirkung nicht nur für das (erste) Adressatgericht, sondern im hier zu beurteilenden Fall eines weiteren Überweisungsbeschlusses an ein drittes Gericht auch für das zweite Adressatgericht (RS0046315 [T7], RS0046391 [T12]) und allenfalls noch folgende Adressatgerichte (3 Nc 7/17k). Das Adressatgericht kann daher seine Zuständigkeit nicht wegen der Zuständigkeit des überweisenden Gerichts verneinen (RS0046315 [T3], RS0046391 [T11]).

4. Bei einer Entscheidung nach § 47 Abs 1 JN hat der übergeordnete Gerichtshof auf die Bindungswirkung eines vorangegangenen, die Zuständigkeit verneinenden Beschlusses auch dann Bedacht zu nehmen, wenn dieser vielleicht unrichtig war (RS0046391 [T5, T10], RS0039922 [T2], RS0002439 [T2, T9]). Die Vorschriften über die Bindung an rechtskräftige Entscheidungen über die Zuständigkeit und an Überweisungsbeschlüsse haben schließlich den Zweck, Kompetenzkonflikte nach Möglichkeit von vornherein auszuschließen. Damit nimmt der Gesetzgeber in Kauf, dass allenfalls auch ein an sich unzuständiges Gericht durch eine unrichtige Entscheidung gebunden wird (RS0046391).

5. Das Bezirksgericht Spittal an der Drau missachtete mit seiner Unzuständigkeitsentscheidung die dargestellte Bindungswirkung des vorausgehenden Beschlusses des Landesgerichts Klagenfurt. Daher ist – ohne auf die Frage nach der Richtigkeit der jeweils vertretenen Rechtsansichten einzugehen – die jüngere Entscheidung des Bezirksgerichts Spittal an der Drau aufzuheben (RS0046377) und dessen Zuständigkeit auszusprechen.

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