OGH 2Nc29/20t

OGH2Nc29/20t12.10.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Parzmayr und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Firmenbuchsache der A***** AG, *****, wegen Abberufung der Vorstandsmitglieder und Bestellung von Abwicklern (§ 6 Abs 5 BWG), aufgrund der Befangenheitsanzeigen des ***** und der ***** vom 11. September 2020 im Revisionsrekursverfahren AZ *****, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0020NC00029.20T.1012.000

 

Spruch:

1. Die vom ***** im Verfahren AZ ***** angezeigten Gründe sind nicht geeignet, die Besorgnis seiner Befangenheit zu begründen.

2. Es besteht ein zureichender Grund, die Unbefangenheit der ***** in der Rechtssache AZ ***** in Zweifel zu ziehen.

 

Begründung:

[1] In der im Spruch genannten Firmenbuchsache ist über die von der Österreichischen Finanzmarktaufsichtsbehörde beantragte Bestellung von Abwicklern gemäß § 6 Abs 5 BWG für die A***** AG zu entscheiden. Für die Behandlung des Rechtsmittels ist der ***** Senat des Obersten Gerichtshofs zuständig. Der ***** und die ***** sind Mitglieder dieses Senats.

[2] ***** zeigt an, dass er Zertifikate der M***** gezeichnet und nach deren Wertverfall verkauft habe. Er habe einem Prozessfinanzierer zum Zweck des Inkassos ein Abtretungsangebot zur gerichtlichen Geltendmachung seiner Ansprüche gegen sämtliche in Frage kommenden Beklagten gemacht. Seine Ansprüche gegenüber der A***** (vormals M*****) seien im Juni 2017, jene gegenüber der A***** AG (vormals M***** AG) im Jahr 2019 verglichen worden, sodass seinerseits aus dem Investment keine Ansprüche mehr bestünden. Er fühle sich subjektiv nicht befangen. Aus dem dargelegten Sachverhalt könnte jedoch der Anschein der Befangenheit abgeleitet werden.

[3] ***** zeigt an, ihre Eltern hätten Zertifikate der M***** gezeichnet und nach deren Wertverfall verkauft. Sie hätten Ansprüche aus dem Erwerb dieser Wertpapiere gegen die A***** (vormals M*****) und gegen die A***** AG (vormals M***** AG) mit Unterstützung eines Prozessfinanzierers gerichtlich geltend gemacht. Die Ansprüche gegenüber der A***** seien durch Vergleich bereinigt worden. Der Rechtsstreit mit der A***** AG sei noch nicht abgeschlossen. Sie fühle sich subjektiv nicht befangen. Aus dem dargelegten Sachverhalt könnte jedoch der Anschein der Befangenheit abgeleitet werden.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die Befangenheitsanzeige des ***** ist nicht begründet, jene der ***** ist begründet.

[5] 1. Zur Befangenheitsanzeige des *****:

[6] 1.1 Ein Richter ist nach § 19 Z 2 JN befangen, wenn bei objektiver Betrachtung ein zureichender Grund vorliegt, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Dafür genügen Tatsachen, die den Anschein einer Voreingenommenheit hervorrufen können (RS0046052 [T2]). Andererseits spricht die Vermutung aber für die Unparteilichkeit eines Richters, solange nicht Sachverhalte dargetan werden, die das Gegenteil annehmen lassen (RS0046129 [T1, T2]).

[7] 1.2 Im vorliegenden Fall hat der Richter selbst ausgeführt, sich subjektiv nicht befangen zu fühlen. Auch objektiv kann der durch Vergleich endgültig bereinigte Rechtsstreit zwischen ihm und einer Verfahrenspartei den Anschein der Befangenheit nicht begründen. Es ist durch die Medienberichterstattung der vergangenen Jahre allgemein bekannt, dass im Zusammenhang mit den angeführten Wertpapieren mit Unterstützung eines Prozessfinanzierers durch eine Vielzahl von Personen gleichartige Gerichtsverfahren gegen die genannten Unternehmen anhängig gemacht wurden. Dem Richter kann nicht unterstellt werden, dass sich ein solcher Rechtsstreit, jedenfalls nach dessen vergleichsweiser Bereinigung, auf die Entscheidungsfindung im vorliegenden Fall auswirkt, in dem Fragen der Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit diesem Investment gar nicht zu beurteilen sind.

[8] Es ist daher auszusprechen, dass die von ihm angezeigten Gründe nicht geeignet sind, die Besorgnis seiner Befangenheit zu begründen (§ 22 Abs 3 GOG iVm § 19 Abs 2 JN).

[9] 1.3 Von denselben Richter betreffenden anderslautenden Entscheidungen des erkennenden Senats unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt dadurch, dass der Richter dort über Vermögenseinbußen im Zusammenhang mit diesem Investment zu entscheiden gehabt hätte und überdies die Streitigkeiten zwischen ihm und der Verfahrenspartei noch nicht verglichen waren. Unter diesen Umständen konnte ein Anschein der Befangenheit bestehen.

[10] 2. Zur Befangenheitsanzeige der *****:

[11] Ausgehend von den oben in Punkt 1.1 angeführten Grundsätzen kann der von ***** mitgeteilte Sachverhalt den Anschein ihrer Befangenheit begründen, weil ein Verfahrensbeteiligter den Eindruck gewinnen könnte, ihre Willensbildung könnte durch den anhängigen Rechtsstreit zwischen ihren Eltern und der genannten Verfahrenspartei beeinflusst worden sein.

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