OGH 9Ob43/20v

OGH9Ob43/20v29.9.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofrätinnen und den Hofrat Dr. Fichtenau, Hon.‑Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D*****, vertreten durch Dr. Marco Nademleinsky, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S*****, wegen Ehescheidung, aus Anlass des Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 29. Juni 2020, GZ 45 R 202/20v‑6, mit dem dem Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom 20. April 2020, GZ 1 C 5/20t‑2, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0090OB00043.20V.0929.000

 

Spruch:

1. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Verstößt Art 3 lit a Spiegelstrich 6 der VO (EG) Nr 2201/2003 des Rates vom 27. 11. 2003 gegen das Diskriminierungsverbot des Art 18 AEUV, weil er abhängig von der Staatsbürgerschaft des Antragstellers eine gegenüber Art 3 lit a Spiegelstrich 5 der VO (EG) Nr 2201/2003 des Rates vom 27. 11. 2003 kürzere Aufenthaltsdauer des Antragstellers als Voraussetzung für eine Zuständigkeit der Gerichte des Aufenthaltsstaates vorsieht?

2. Für den Fall, dass die erste Frage bejaht wird:

Führt ein solcher Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot dazu, dass nach der Grundregel des Art 3 lit a Spiegelstrich 5 der VO (EG) Nr 2201/2003 des Rates vom 27. 11. 2003 für alle Antragsteller unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft eine Aufenthaltsdauer von 12 Monaten Voraussetzung für die Berufung auf den Gerichtsstand des Aufenthaltsorts ist oder ist für alle Antragsteller von der Voraussetzung einer Aufenthaltsdauer von sechs Monaten auszugehen?

3. Das Verfahren wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.

 

Begründung:

1. Antrag der klagenden Partei:

1.1. Der Kläger begehrt mit der bei einem österreichischen Bezirksgericht eingebrachten Klage die Scheidung der am 9. 11. 2011 mit der Beklagten in Dublin/Irland geschlossenen Ehe.

1.2. Zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichts bringt der Kläger vor, er sei italienischer Staatsbürger, die Beklagte sei deutsche Staatsbürgerin. Der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt habe sich in Irland befunden. Er sei im Mai 2018 aus der Ehewohnung in Irland ausgezogen und lebe seit August 2019 und damit zum Zeitpunkt der Einbringung der Klage (28. 2. 2020) seit über sechs Monaten in Österreich.

1.3. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergebe sich aus Art 3 lit a Spiegelstrich 5 und 6 der VO (EG) Nr 2201/2003 des Rates vom 27. 11. 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr 1347/2000 (Brüssel IIa-VO). Diese Bestimmungen sähen vor, dass für Staatsangehörige des Forumsstaats bereits bei sechsmonatigem Aufenthalt im Forumsstaat eine Zuständigkeit für Scheidungsverfahren begründet werde, während für Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten ein mindestens einjähriger Aufenthalt gefordert werde. Das stelle eine Ungleichbehandlung allein aufgrund der Staatsangehörigkeit dar und verstoße daher gegen Art 18 AEUV. Bei unionsrechtskonformer Auslegung sei die im Zweifel günstigere Norm heranzuziehen, weshalb sich der Kläger auch als Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats als des Forumsstaats schon bei nur sechsmonatigem Aufenthalt auf den Gerichtsstand seines gewöhnlichen Aufenthalts in Österreich berufen könne.

2. Bisheriges Verfahren:

2.1. Das vom Kläger angerufene Erstgericht wies die Klage mangels Vorliegens der internationalen Zuständigkeit a limine zurück.

Durch die Differenzierung nach der Staatsbürgerschaft in Art 3 lit a Spiegelstrich 5 und 6 der Brüssel IIa-VO solle verhindert werden, dass sich eine Partei die Zuständigkeit der Gerichte eines bestimmten Staats erschleiche. Da es für die Zuständigkeit auf die Dauer des Aufenthalts bei Antragstellung ankomme, genüge es auch nicht, dass die Wartefrist während der Anhängigkeit des Verfahrens ablaufe.

2.2. Das Gericht zweiter Instanz gab dem Rekurs des Klägers gegen diesen Beschluss nicht Folge und schloss sich der Rechtsauffassung des Erstgerichts an, dass hier keine Diskriminierung aufgrund der Staatsbürgerschaft vorliege.

Rechtliche Beurteilung

2.3. Gegen diese Entscheidung rief der Kläger mit Revisionsrekurs den Obersten Gerichtshof an.

3. Gemeinschaftsrecht:

3.1. Wie sich aus Art 267 lit b AEUV ergibt, ist der Europäische Gerichtshof (EuGH) befugt, im Wege der Vorabentscheidung über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Unionsorgane zu entscheiden, und zwar ohne jede Ausnahme (EuGH C‑258/14, Florescu ua, ECLI:EU:C:2017:448, Rn 30 uva). Die Europäische Union ist eine Rechtsunion, in der alle Handlungen ihrer Organe der Kontrolle daraufhin unterliegen, ob sie insbesondere mit den Verträgen, den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und den Grundrechten im Einklang stehen (vgl in diesem Sinne EuGH, C‑583/11 P, Inuit Tapiriit Kanatami u.a./Parlament und Rat , ECLI:EU:C:2013:625, Rn 91; EuGH C‑274/12 P, Telefónica/Kommission , ECLI:EU:C:2013:852, Rn 56).

3.2. Art 18 AEUV lautet:

„Unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge ist in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.

Das Europäische Parlament und der Rat können gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Regelungen für das Verbot solcher Diskriminierungen treffen.“

3.3. Art 3 Brüssel IIa-VO lautet:

„Allgemeine Zuständigkeit

(1) Für Entscheidungen über die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder die Ungültigerklärung einer Ehe, sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig,

a) in dessen Hoheitsgebiet

- beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben oder

- die Ehegatten zuletzt beide ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, sofern einer von ihnen dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder

- der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder

- im Fall eines gemeinsamen Antrags einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder

- der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn er sich dort seit mindestens einem Jahr unmittelbar vor der Antragstellung aufgehalten hat, oder

- der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn er sich dort seit mindestens sechs Monaten unmittelbar vor der Antragstellung aufgehalten hat und entweder Staatsangehöriger des betreffenden Mitgliedstaats ist oder, im Fall des Vereinigten Königreichs und Irlands, dort sein 'domicile' hat;

b) dessen Staatsangehörigkeit beide Ehegatten besitzen, oder, im Fall des Vereinigten Königreichs und Irlands, in dem sie ihr gemeinsames 'domicile' haben.

(2) Der Begriff 'domicile' im Sinne dieser Verordnung bestimmt sich nach dem Recht des Vereinigten Königreichs und Irlands.“

4. Nationales Recht:

4.1. § 76 Jurisdiktionsnorm (JN) lautet:

„Streitigkeiten aus dem Eheverhältnis oder der eingetragenen Partnerschaft

(1) Für Streitigkeiten über die Scheidung, die Aufhebung, die Nichtigerklärung oder die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe sowie über die Auflösung, die Nichtigerklärung oder die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer eingetragenen Partnerschaft zwischen den Parteien ist das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Sprengel die Parteien ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben oder zuletzt gehabt haben. Hat zur Zeit der Erhebung der Klage keine der Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Sprengel oder haben sie im Inland einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt nicht gehabt, so ist das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Sprengel der gewöhnliche Aufenthalt der beklagten Partei oder, falls ein solcher gewöhnlicher Aufenthalt im Inland fehlt, der gewöhnliche Aufenthalt der klagenden Partei liegt, sonst das Bezirksgericht Innere Stadt Wien.

(2) Die inländische Gerichtsbarkeit für die im Abs. 1 genannten Streitigkeiten ist gegeben, wenn

1. eine der Parteien die österreichische Staatsbürgerschaft hat oder

2. die beklagte Partei, im Fall der Nichtigkeitsklage gegen beide Ehegatten oder beide eingetragenen Partner zumindest eine beklagte Partei, ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat oder

3. die klagende Partei ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und entweder beide Ehegatten oder beide eingetragenen Partner ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt haben oder die klagende Partei staatenlos ist oder zur Zeit der Schließung der Ehe oder der eingetragenen Partnerschaft die österreichische Staatsbürgerschaft gehabt hat.

(3) Die inländische Gerichtsbarkeit für Streitigkeiten über die Auflösung oder Nichtigerklärung sowie die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer eingetragenen Partnerschaft ist für in Österreich eingetragene Partnerschaften jedenfalls gegeben.“

5. Begründung der Vorlage:

5.1. Nach dem Vorbringen des Klägers ist er italienischer Staatsbürger, die Beklagte ist deutsche Staatsbürgerin. Der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt befand sich in Irland. Nach nationalem Recht besteht daher keine inländische Gerichtsbarkeit.

5.2. In allen Mitgliedstaaten der EU – ausgenommen Dänemark – gilt mit Wirkung vom 1. 8. 2004 die VO (EG) Nr 2201/2003 des Rates vom 27. 11. 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr 1347/2000 (Brüssel IIa-VO). Die inländische Gerichtsbarkeit wäre demnach zu bejahen, wenn sie nach den Bestimmungen dieser Verordnung gegeben wäre.

5.3. Die für Ehescheidungen relevante Bestimmung ist der zuvor zitierte Art 3 Brüssel IIa-VO. Dieser setzt aber in den im vorliegenden Fall einzig in Betracht kommenden Tatbeständen in Art 3 lit a Spiegelstrich 5 und 6 Brüssel IIa-VO einen Aufenthalt von bestimmter Dauer voraus. Dabei differenzieren Art 3 Abs 1 lit a Spiegelstrich 5 und 6 Brüssel IIa-VO die Dauer des vorausgesetzten Aufenthalts nach der Staatsbürgerschaft des Antragstellers.

5.4. Da der Kläger nicht über die österreichische Staatsangehörigkeit verfügt, beträgt diese Frist ein Jahr (Spiegelstrich 5). Diese Voraussetzung hat der Kläger bei Erhebung der Klage beim österreichischen Bezirksgericht nicht erfüllt. Wäre der Kläger österreichischer Staatsbürger hätte die Frist nur sechs Monate betragen (Spiegelstrich 6). Diese Voraussetzung hätte der Kläger nach seinem Vorbringen erfüllt.

5.5. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Bemessung der Aufenthaltsdauer ist nach dem Wortlaut des Art 3 Abs 1 lit a Spiegelstrich 5 und 6 Brüssel IIa-VO der Zeitpunkt der Antragstellung.

5.6. Nach nationalem Recht können im Rechtsmittelverfahren Neuerungen nicht geltend gemacht werden. Dem Neuerungsverbot unterliegen zwar nicht Tatsachen und Beweismittel, die jederzeit von Amts wegen zu beachtende Umstände betreffen. Dazu gehört auch die Zuständigkeit. Gemäß § 42 Abs 1 JN ist jedoch nur auf jene Tatsachen von Amts wegen Bedacht zu nehmen, aus denen das Fehlen der Prozessvoraussetzungen, hier daher die Unzulässigkeit des Rechtswegs, hervorgeht. Für das (positive) Vorliegen dieser Prozessvoraussetzungen fehlt hingegen eine entsprechende Vorschrift, weshalb nach ständiger Rechtsprechung Tatsachen, die im Rechtsmittelverfahren gegen eine Zurückweisung der Klage vorgebracht werden, dem Neuerungsverbot unterliegen (10 ObS 87/18v; 9 Ob 75/16v mwN; RIS-Justiz RS0053062).

5.7. Dass daher während des Rechtsmittelverfahrens auch die zwölfmonatige Frist abgelaufen ist, ist nicht zu berücksichtigen.

6. Zur ersten Vorlagefrage:

6.1. Art 18 AEUV verbietet willkürliche Ungleichbehandlungen, das sind solche, die nicht durch sachliche Gründe, die nicht auf der Staatsangehörigkeit als solcher basieren, gerechtfertigt sind. Die Ungleichbehandlung muss durch objektive Umstände gerechtfertigt sein, sodass eine Güter- und Interessensabwägung im Lichte der Vertragsziele unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen hat (EuGH C‑29/95, Pastoors und Trans Cap/Belgischer Staat , ECLI:EU:C:1997:28, Rn 19; vgl auch EuGH C-264/96 , ICI‑Kenneth Hall Colmer , ECLI:EU:C:1998:370, Rn 28 f).

6.2. Nach einem Teil der Lehre sind die ungleich langen Wartefristen des Art 3 Abs 1 lit a Spiegelstrich 5 und 6 Brüssel IIa-VO sachlich nicht gerechtfertigt und verstoßen damit gegen Art 18 AEUV ( Garber in Gitschthaler [Hrsg], Internationales Familienrecht. EU‑Verordnungen und Haager Übereinkommen zum Ehe-, Partner- und Kindschaftsrecht [2019], Art 3 Brüssel IIa‑VO Rz 80 ff; Nademleinsky/Neumayr , Internationales Familienrecht² [2017] Rz 05.28; Mayr , Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts [2017] Rz 4.94; Simotta in Fasching/Konecny , Zivilprozessgesetze² Art 3 EuEheKindVO Rz 151 ff mwN; Gottwald in Münchener Kommentar zum FamFG³ [2019], Brüssel IIa-VO Art 3, Rz 24 mwN; Hausmann , Internationales und Europäisches Familienrecht² [2018] EuEheVo Art 3, Rz 89 mwN; Helms , Internationales Verfahrensrecht für Familiensachen in der Europäischen Union, FamRZ 2002, 1593 [1596] mwN).

6.3. Ein anderer Teil der Lehre erachtet dagegen Art 3 Abs 1 lit a Spiegelstrich 6 Brüssel IIa-VO als gleichheitskonform ( Kohler , Internationales Verfahrensrecht für Ehesachen in der europäischen Union: Die Verordnung „Brüssel II“, NJW 2001, 10 [11]; Rauscher , Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht EuZPR/EuIPR IV 4 [2015], Art 3 Brüssel IIa-VO, Rz 47). Dies wird unter anderem damit begründet, dass es nicht der Realität entspreche, anzunehmen, dass die qualifizierte Bindung des Antragstellers, die primär durch den einjährigen Aufenthalt nachgewiesen werden soll, in jedem beliebigen Mitgliedstaat so rasch eintrete, wie im Heimatstaat. Die Staatsangehörigkeit werde hier als Kriterium der Bindung herangezogen, indem zulässigerweise bei der Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthalts als solchem der Abstammung, der kulturellen Einbindung und der durch Sprache vermittelten Kommunikations- und Integrationsfähigkeit im Heimatstaat Bedeutung beigemessen werde. Dabei wird auch auf das Urteil des EuGH (C-523/07 , ECLI:EU:C:2009:225, Rn 44) verwiesen, demzufolge die Staatsangehörigkeit als ein Indiz für die den gewöhnlichen Aufenthalt eines Kindes (Art 8 Brüssel IIa-VO) begründende Integration zu berücksichtigen ist.

6.4. Da Art 3 Abs 1 lit a Spiegelstrich 5 und 6 Brüssel IIa-VO ausschließlich an die Staatsbürgerschaft anknüpft, ohne dass sich daraus in Zusammenhalt mit der Dauer des tatsächlichen Aufenthalts ein ausreichend relevanter Unterschied für die Integration und das Naheverhältnis zum jeweiligen Mitgliedstaat ableiten lässt – zu denken ist etwa an in diesem Mitgliedstaat geborene und aufgewachsene Personen, die nicht über die jeweilige Staatsbürgerschaft verfügen – hat auch der Oberste Gerichtshof Bedenken, ob die sich aus diesen Bestimmungen ableitbare Differenzierung mit Art 18 AEUV in Einklang steht.

7. Zur zweiten Vorlagefrage:

7.1. Sollte man davon ausgehen, dass die in der Verordnung vorgesehene unterschiedliche Dauer des Aufenthalts als Voraussetzung des Klägergerichtsstandes gegen das Diskriminierungsverbot verstößt, stellt sich die Frage nach den rechtlichen Folgen.

7.2. Grundsätzlich verlangt der Verordnungsgeber in Art 3 Abs 1 lit a Spiegelstrich 5 Brüssel IIa‑VO, für den Gerichtsstand am Aufenthaltsort des Antragstellers eine einjährige Aufenthaltsdauer und sieht nur bei Hinzutreten der Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaats eine Verkürzung der Frist auf sechs Monate vor. Dies spräche für die Anwendbarkeit der zwölfmonatigen Frist unabhängig von der Staatsbürgerschaft für alle Antragsteller, die sich auf einen Gerichtsstand nach Art 3 Abs 1 lit a Spiegelstrich 5 und 6 Brüssel IIa-VO berufen.

7.3. Andererseits entspricht es aber der Rechtsprechung des EuGH in Fällen von Diskriminierung, wenn etwa das nationale Recht unter Verstoß gegen das Unionsrecht eine unterschiedliche Behandlung mehrerer Personengruppen vorsieht, dass den Angehörigen der benachteiligten Gruppe dieselben Vorteile gewährt werden wie die, in deren Genuss die Angehörigen der privilegierten Gruppe kommen (vgl EuGH C-18/95 , Terhoeve gegen Inspecteur , ECLI:EU:C:1999:22, Rn 57 ua). Dies würde für die Anwendbarkeit der kürzeren Frist von sechs Monaten für alle Antragsteller unabhängig von der Staatsangehörigkeit sprechen.

8. Als Gericht letzter Instanz ist der Oberste Gerichtshof gemäß Art 267 AEUV zur Vorlage verpflichtet, weil die richtige Anwendung des Unionsrechts zweifelhaft ist.

9. Der Ausspruch über die Aussetzung des Verfahrens gründet sich auf § 90a Abs 1 GOG.

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