OGH 6Ob120/20w

OGH6Ob120/20w15.9.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden sowie die Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. S*, 2. K*, beide vertreten durch Dr. Gerhard Hackenberger und Mag. Jürgen Greilberger, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei G*, vertreten durch Dr. Christiane Loidl, Rechtsanwältin in Graz, als Verfahrenshelferin, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 23. März 2020, GZ 5 R 11/20d‑15, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E129485

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Zutreffend hat schon das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass ein Miteigentumsanteil nicht mit solchen dinglichen oder obligatorischen Rechten belastet werden kann, die ein reales Sachsubstrat voraussetzen, wie dies bei Gebrauchsrechten grundsätzlich der Fall ist (H. Böhm in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON§ 829 Rz 7). Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung können solche Dienstbarkeiten an ideellen Liegenschaftsanteilen nicht begründet werden (SZ 41/30; 3 Ob 504/78; Hofmann in Rummel, ABGB3 § 472 Rz 2; Spath in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 485 Rz 6 f; Sailer in KBB6 § 829 Rz 2), soweit nicht Wohnungseigentum begründet wurde (Hofmann aaO § 521 Rz 1; Koch in KBB6 § 521 Rz 2). Dasselbe gilt auch für das Wohnungsgebrauchsrecht nach § 521 Satz 2 ABGB (SZ 41/30; 3 Ob 318/01p; 5 Ob 251/03b). Zwar können auch an im Miteigentum stehenden Liegenschaften Servituten begründet werden; dafür ist jedoch Voraussetzung, dass alle Miteigentümer zustimmen (9 Ob 52/97f; 6 Ob 84/05d; Hofmann aaO § 472 Rz 2; Koch aaO § 472 Rz 2).

2.1. Soweit sich die Revisionswerberin auf Rassi (in Kodek, Grundbuchsrecht2 § 3 GBG Rz 52) beruft, ist ihr entgegenzuhalten, dass dieser Autor den gegenteiligen Standpunkt vertritt: Nach Rassi (aaO Rz 48) ist eine Belastung eines bloß ideellen Anteils mit einer Servitut nur in Ausnahmefällen möglich. Dies ist dann der Fall, wenn sich die Ausübung der Dienstbarkeit auf den ideellen Anteil inhaltlich beschränkt (Rassi aaO Rz 48 aE). Dies ist nach Rassi bei Grunddienstbarkeiten ausgeschlossen (Rassi aaO Rz 49). Auch hinsichtlich Personaldienstbarkeiten gelte der Grundsatz der Unteilbarkeit einer Servitut (Rassi aaO Rz 50). Ein Fruchtgenuss könne grundsätzlich auch an ideellen Liegenschaftsanteilen eingetragen werden (Rassi aaO Rz 50 mwN); dies gelte jedoch nicht für ein Wohnungsfruchtgenussrecht (Rassi aaO Rz 50 ff). Dabei komme es nicht darauf an, ob es sich um ein Wohnungsgebrauchsrecht oder Wohnungsfruchtgenussrecht handle (Rassi aaO Rz 51).

2.2. Die gegenteilige, in 5 Ob 34/92(= NZ 1993/250 [ablehnend Hofmeister]) vertretene Auffassung ist vereinzelt geblieben und wurde in der Literatur einhellig abgelehnt (Hofmann in Rummel, ABGB3 § 472 Rz 2 und § 521 Rz 1; Hofmeister, NZ 1993, 22; Memmer in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON § 521 Rz 12; Spath in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 521 Rz 6; Rassi in Kodek, Grundbuchsrecht2 § 3 GBG Rz 52). In einem derartigen Fall muss vielmehr die grundbücherliche Eintragung an der gesamten Liegenschaft erfolgen, weil dem schlichten Miteigentümer kein Recht auf Nutzung eines bestimmten Liegenschaftsanteils zusteht (Rassi aaO Rz 52; 1 Ob 139/00y; 5 Ob 89/08m).

2.3. Der schlichte Miteigentümer kann allerdings an den ihm über Miete oder Benützungsregelung zustehenden Liegenschaftsteilen Nutzungsrechte anderer begründen, die zwar ihn persönlich obligatorisch verpflichten, aber nicht verdinglichbar sind (Hoyer, NZ 2000, 319; Rassi aaO Rz 52).

2.4. An dieser Rechtslage hat sich auch durch die Einführung des § 828 Abs 2 ABGB idF BGBl I 2002/71 nichts geändert, weil diese Bestimmung keine Verdinglichung einer Benützungsregelung bewirkt, sondern nur eine Überbindung an den Rechtsnachfolger (Rassi aaO Rz 52 aE; in diesem Sinne bereits 5 Ob 89/08m).

2.5. Die gegenteilige Auffassung führte zudem dazu, dass die Rechtsnachfolgerin der Beklagten eine dingliche Rechtsstellung vermitteln konnte, die ihr selbst als bloße ideelle Miteigentümerin gerade nicht zukam.

2.6. Gegen die aufgezeigte Rechtslage bestehen entgegen den Ausführungen in der Revision keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die unterschiedliche Behandlung von Dienstbarkeiten auf ideellen Anteilen ist Folge der Ausgestaltung des Miteigentums als bloß quotenmäßiges Miteigentum mit ideellen Anteilen, was die Vermittlung dinglicher Rechtspositionen zur Benützung einzelner physischer Liegenschaftsanteile nicht zulässt.

3. Mangels Vorliegens eines (dinglichen) Titels sind auch die Voraussetzungen für das Vorliegen einer offenkundigen Dienstbarkeit nicht erfüllt. Der Umstand, dass die Kläger möglicherweise Kenntnis vom Umstand hatten, dass die Beklagte die im Erdgeschoss des Hauses gelegene Wohnung bewohnt, kann nicht mit der von § 863 ABGB geforderten Eindeutigkeit als Zustimmung zu einem Wohnungsgebrauchsrecht gedeutet werden. Dafür, dass die Miteigentümer beabsichtigt hätten, auch für den nunmehr vorliegenden Fall, dass alle Miteigentumsanteile in den Händen der beiden Kläger vereinigt sind, für die Beklagte eine lebenslange dingliche Rechtsposition zu begründen, fehlt jeglicher Anhaltspunkt. Aus diesem Grund bestand auch keine Veranlassung für die Vorinstanzen, den Ausgang des vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz anhängigen Verfahrens abzuwarten.

4. Zusammenfassend vermag die Beklagte daher keine Rechtsfragen der von § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung aufzuzeigen, sodass die Revision spruchgemäß zurückzuweisen war.

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