OGH 8ObA62/20f

OGH8ObA62/20f25.8.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Karl Schmid (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. W*****, vertreten durch Mag. Markus Tutsch, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei B*****, vertreten durch Dr. Franz Krainer, Rechtsanwalt in Graz, wegen Anfechtung einer Entlassung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 18. Februar 2020, GZ 6 Ra 78/19s‑69, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00062.20F.0825.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der Kläger war seit dem Jahr 2000, zuletzt als Jurist, bei dem beklagten Verein beschäftigt. Zum 31. 5. 2013 wurde er gekündigt. Hiervon wurde der im Jahr 2012 gewählte Betriebsrat verständigt. In der Folge strengte der Kläger mehrere Gerichtsverfahren gegen den Beklagten bzw gegen den am 6. 9. 2012 gewählten Betriebsrat an. Mit Ersturteil vom 3. 11. 2014 im Verfahren AZ 31 Cga 39/14t, dem Kläger zugestellt am 12. 11. 2014, wurde die Nichtigkeit der am 6. 9. 2012 durchgeführten Betriebsratswahl festgestellt. Hingegen wurde mit Ersturteil im Verfahren AZ 31 Cga 38/14w vom 3. 11. 2014 das Begehren des Klägers auf Feststellung der Nichtigkeit des (in einem Betriebsratswahlanfechtungsverfahren zwischen dem Betriebsinhaber und dem Betriebsrat geschlossenen) Vergleichs vom 15. 12. 2011, mit dem der im Jahr 2011 gewählte Betriebsrat aufgelöst worden war, mangels rechtlichen Interesses abgewiesen. Noch am 12. 11. 2014 erschien der Kläger in der Zentrale des Beklagten und schlug an dem im Mitarbeiterbereich befindlichen schwarzen Brett eine Einberufungskundmachung für eine Betriebsversammlung an. Weiters verfasste er ein Begleitschreiben an die Arbeitnehmer des Beklagten und ein Verständigungsschreiben an den Beklagten, den Beklagtenvertreter und den Obmannstellvertreter. In diesen Schreiben vertrat er insbesondere den Standpunkt, dass seine Kündigung mangels Verständigung des am 15. 9. 2011 gewählten Betriebsrats rechtsunwirksam und sein Dienstverhältnis zum Beklagten aufrecht sei. Daraufhin wurde der Kläger vom Beklagten entlassen.

Mit Ersturteil vom 3. 10. 2016 im Verfahren AZ 32 Cga 140/13a wurde festgestellt, dass das Dienstverhältnis zwischen dem Kläger und dem Beklagten zwischen 1. 6. 2013 und 17. 11. 2014 aufrecht bestanden hatte.

Im Anlassverfahren erklärten die Vorinstanzen die Entlassung des Klägers vom 17. 11. 2014 übereinstimmend für rechtsunwirksam.

Rechtliche Beurteilung

1.1 Unter den Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit im Sinne des § 27 Z 1 letzter Fall AngG fällt jede Handlung oder Unterlassung eines Angestellten, die mit Rücksicht auf ihre Beschaffenheit und auf ihre Rückwirkung auf das Arbeitsverhältnis den Angestellten des dienstlichen Vertrauens seines Arbeitgebers unwürdig erscheinen lässt, weil dieser befürchten muss, dass der Angestellte seine Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen werde, sodass dadurch die dienstlichen Interessen des Arbeitgebers gefährdet sind (RIS‑Justiz RS0029547). Auch unwahre Angaben gegenüber dem Dienstgeber können diesen Tatbestand herstellen, doch zieht nicht jede Unwahrheit Vertrauensunwürdigkeit nach sich (RS0029371; RS0029762; vgl auch RS0029847).

1.2 Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Beurteilung, ob im Einzelfall ein Entlassungsgrund verwirklicht wurde, keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0106298). Auch die Frage, ob ein Fehlverhalten eines Angestellten bei Anlegung eines objektiven Maßstabs geeignet war, das Vertrauen des Dienstgebers soweit zu erschüttern, dass ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar ist, kann nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (RS0103201). Eine auffallende Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht bringt der Beklagte hier nicht zur Darstellung.

2.1 Das Berufungsgericht hat in den Äußerungen des Klägers vom 12. 11. 2014 keine wesentliche Unwahrheit erblickt. Vielmehr sei dessen rechtliche Schlussfolgerung vertretbar, dass sich aus dem Ersturteil zu AZ 31 Cga 39/14t die Rechtsunwirksamkeit der ihm gegenüber im Jahr 2013 ausgesprochenen Kündigung ergebe, weil davon (nur) der im Jahr 2012 gewählte Betriebsrat verständigt worden sei. Der Kläger habe sich nicht auf die Rechtskraft, sondern auf die Verbindlichkeit der Entscheidungen gestützt, was gemäß § 61 Abs 1 Z 5 iVm § 50 Abs 2 ASGG auch nicht falsch sei. Dass der Kläger das ihm vorliegende Urteil (zu AZ 31 Cga 39/14t) möglichst im Sinne seines eigenen Prozessstandpunktes dargestellt habe, begründe jedenfalls keine Vertrauensunwürdigkeit.

2.2 An dieser Beurteilung weckt der Beklagte schon deshalb keine Bedenken, weil er dem Berufungsgericht zu Unrecht vorwirft, es habe die Richtigkeit der Aussagen des Klägers mit der erst im Jahr 2016 ergangenen Entscheidung zu AZ 32 Cga 140/13a gerechtfertigt. Dass durch die Gerichtsentscheidungen vom 3. 11. 2014 die Nichtigkeit des am 15. 12. 2011 geschlossenen Vergleichs über die Auflösung des im Jahr 2011 gewählten Betriebsrats festgestellt worden wäre, hat der Kläger in seinen Schreiben vom 12. 11. 2014 so auch nicht behauptet, sondern lediglich, dass die Nichtigkeit der 2012 durchgeführten Betriebsratswahl „wegen Fortbestands des am 15. 9. 2011 gewählten Betriebsrats ungeachtet des gerichtlichen Vergleichs vom 15. 12. 2011 festgestellt“ worden sei. Tatsächlich wurde die Nichtigkeit der Betriebsratswahl aus dem Jahr 2012 im Ersturteil zu AZ 31 Cga 39/14t damit argumentiert, dass die vierjährige Funktionsperiode des am 15. 9. 2011 gewählten Betriebsrats um rund drei Viertel seiner gesetzlich vorgesehenen Tätigkeitsdauer verkürzt worden sei und der gerichtliche Vergleich vom 15. 12. 2011 nicht die in § 62 Z 5 ArbVG normierte Wirkung entfalte. Warum die Einschätzung des Klägers, er sei nach wie vor Dienstnehmer des Beklagten, den Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit begründen sollte, nur weil sie zu dem Zeitpunkt der Äußerung noch nicht durch rechtskräftige Gerichtsentscheidungen gedeckt war, erschließt sich auch aus den Revisionsausführungen nicht.

3. Damit bleibt, dass nach den Feststellungen Motiv für die Entlassung des Klägers die Befürchtung des Obmanns des Beklagten war, der Kläger werde wieder eine Betriebsratsfunktion anstreben, wodurch er schwerer oder gar nicht mehr gekündigt werden könne, dies vor dem Hintergrund der Einberufung einer Betriebsversammlung durch den Kläger am 12. 11. 2014. Der Beklagte zieht im Revisionsverfahren nicht mehr in Zweifel, dass es sich dabei um verpönte Motive nach § 106 Abs 2 ArbVG iVm § 105 Abs 3 Z 1 lit c und lit e ArbVG handelt.

4. Die außerordentliche Revision ist daher zurückzuweisen.

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