OGH 3Ob76/20b

OGH3Ob76/20b3.7.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Roch als Vorsitzenden sowie den Hofrat Priv.‑Doz. Dr. Rassi und die Hofrätinnen Mag. Korn, Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache der E* U*, vertreten durch Dr. Manfred Palkovits, Rechtsanwalt in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 19. März 2020, GZ 44 R 6/20p‑81, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E128952

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Rechtsanwältin Dr. M* S* regte die Erwachsenenvertretung der betroffenen Person an und wurde (neben einer weiteren Person) zu deren Erwachsenenvertreterin bestellt.

Mit ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs bekämpft die betroffene Person die im Zuge der Enthebung der anderen Erwachsenenvertreterin erfolgte (exakt: Ausdehnung der) Bestellung von Dr. S* zu ihrer gerichtlichen Erwachsenenvertreterin. Die Betroffene erachtet die Rechtsfragen als erheblich, unter welchen Voraussetzungen ein Vertrauensdefizit der Betroffenen zur Erwachsenenvertreterin deren Umbestellung rechtfertige und welche Erheblichkeitsschwelle eine von der Betroffenen wahrgenommene Interessenkollision erreichen müsse, um eine Umbestellung zu rechtfertigen. Dazu fehle Rechtsprechung zur geltenden Rechtslage.

Rechtliche Beurteilung

1. Die Betroffene wirft damit keine Frage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf.

2. Die Beurteilung der Notwendigkeit der (Um‑)Bestellung eines Erwachsenenvertreters ist nur auf den Einzelfall bezogen und betrifft grundsätzlich keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (RS0117813 [T2, T12]).

3.1 Die Auswahl und Bestellung des Erwachsenenvertreters regelt § 273 ABGB. Nach Absatz 1 dieser Bestimmung ist auf die Bedürfnisse der volljährigen Person und deren Wünsche, die Eignung des Erwachsenenvertreters und auf die zu besorgenden Angelegenheiten Bedacht zu nehmen. Diese Bestimmung entspricht mit Anpassungen dem § 279 Abs 1 ABGB in der Fassung vor dem 2. Erwachsenenschutz-Gesetz (2. ErwSchG), BGBl I 2017/59 (RV 1461 BlgNR 25. GP  43). Bereits nach § 279 Abs 1 ABGB aF waren Wünsche der betroffenen Person bei der Auswahl des Sachwalters zu berücksichtigen. Eine substantielle Änderung hat das Gesetz damit nicht gebracht (vgl 5 Ob 59/19s).

3.2 Auch die Rechtslage nach dem 2. ErwSchG gewährleistet weder eine (Um‑)Bestellung allein aufgrund einer Wunschäußerung des Betroffenen, noch eine freie Auswahl des (gerichtlichen) Erwachsenenvertreters (RS0132245; 6 Ob 145/18v; 8 Ob 164/18b; 7 Ob 136/19d). Die mit dem 2. ErwSchG verbundene Stärkung der Selbstbestimmung hatte nicht die freie Auswahl des gerichtlichen Erwachsenenvertreters zur Folge (6 Ob 145/18v).

4.1 Sowohl nach der alten als auch der neuen Rechtslage ist das Wohl der behinderten Person der beherrschende Grundsatz für die Auswahl des Sachwalters (RS0048982).

4.2 Das Wohl der betroffenen Person ist zwar nicht ausschließlich von einem materiellen Gesichtspunkt aus zu beurteilen, sondern es ist auch auf ihre Befindlichkeit und ihren psychischen Zustand abzustellen (RS0117813 [T7]), im Allgemeinen ist aber eine stabile Betreuungssituation wünschenswert (RS0117813 [T10]).

4.3 Auf eine mögliche Interessenkollision des Vertreters ist Bedacht zu nehmen (RS0048982 [zur Bestellung einer der Betroffenen nahestehenden Person]).

5. Die angefochtene Entscheidung hält sich im Rahmen der dargestellten Rechtsprechung.

5.1 Die Betroffene stellt die Qualifikation der Erwachsenenvertreterin ausdrücklich außer Streit und führt auch kein Verhalten von Dr. S* an, das eine Bestellung einer anderen Person erfordert. Sie stützt die Notwendigkeit der Bestellung einer anderen Person allein auf den Umstand, dass die Erwachsenenvertreterin Dr. S* die Bestellung selbst angeregt habe, weshalb der Anschein einer Interessenkollision vorliege und die Betroffene der Erwachsenenvertreterin nicht vertraue.

5.2 Die vom Rekursgericht dazu vertretene Rechtsansicht, dass die Anregung der Einleitung eines Erwachsenenschutzverfahrens nicht per se zur fehlenden Eignung der Anregerin führe, künftig selbst als Erwachsenenvertreterin zu fungieren, bedarf keiner Korrektur und wirft keine erhebliche Rechtsfrage auf. Aus dem Umstand, dass die Erwachsenenvertreterin die Bestellung aufgrund der ihr von mehreren Personen an sie herangetragenen Bedenken zur Betreuungssituation der betroffenen Person selbst angeregt hat, lässt sich weder eine Interessenkollision für die Ausübung der Erwachsenenvertretung noch ein Anschein einer solchen Kollision schlüssig ableiten.

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