OGH 8ObA8/20i

OGH8ObA8/20i27.5.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S***** S*****, vertreten durch Dr. Gerhard Hiebler & Dr. Gerd Grebenjak, Rechtsanwälte in Leoben, gegen die beklagte Partei B***** W***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Martin Holzer, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, wegen 1.151,17 EUR brutto (Revisionsinteresse 825,55 EUR brutto) sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 18. November 2019, GZ 6 Ra 73/19f‑21, mit dem das Urteil des Landesgerichts Leoben als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 5. September 2019, GZ 25 Cga 46/19z‑13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00008.20I.0527.000

 

Spruch:

Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Verfahren über das Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Obersten Gerichtshofs vom 29. April 2020 zu AZ 9 ObA 137/19s unterbrochen. Das Revisionsverfahren wird nach Einlangen der Vorabentscheidung von Amts wegen fortgesetzt.

 

Begründung:

Die Klägerin war bei der Beklagten vom 4. Mai 2018 bis 26. April 2019 als Handelsangestellte teilzeitbeschäftigt. Das Dienstverhältnis unterlag dem Kollektivvertrag für Handelsangestellte Österreichs. Die Klägerin hat im Beschäftigungszeitraum drei Urlaubstage verbraucht. Das Dienstverhältnis wurde durch unberechtigten vorzeitigen Austritt der Klägerin beendet. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr der Anspruch der Klägerin auf Ersatzleistung für restliche 6,78 Urlaubstage, die sie nicht vollständig habe konsumieren können.

Die Vorinstanzen wiesen das Begehren auf Urlaubsersatzleistung ab. Nach § 10 Abs 2 UrlG bestehe bei ungerechtfertigtem vorzeitigen Austritt kein Anspruch auf Urlaubsersatzleistung. Diese Bestimmung sei auch unionsrechtskonform, weil ein unberechtigt austretender Arbeitnehmer den Verbrauch des Urlaubs aus freien Stücken und im Bewusstsein der Konsequenzen selbst verhindere.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil der Frage, inwieweit § 10 Abs 2 UrlG europarechtlichen Vorschriften entgegensteht, eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zukomme.

Die Revision der Klägerin strebt die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im klagsstattgebenden Sinn an, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Im Hinblick auf ein bereits vom Obersten Gerichtshof im Verfahren 9 ObA 137/19s beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) anhängig gemachtes Verfahren zur Frage der Vereinbarkeit des § 10 Abs 2 UrlG mit dem Unionsrecht ist das Verfahren jedoch zu unterbrechen:

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat folgende Frage an den EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt:

„I.1. Ist mit Art 31 Abs 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2010/C 83/02) und Art 7 Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88/EG eine nationale Vorschrift vereinbar, wonach eine Urlaubsersatzleistung für das laufende (letzte) Arbeitsjahr nicht gebührt, wenn der Arbeitnehmer ohne wichtigen Grund vorzeitig einseitig das Dienstverhältnis beendet („Austritt“)?

I.2. Wenn dieses Frage verneint wird:

1.2.1. Ist dann zusätzlich zu prüfen, ob der Verbrauch des Urlaubs für den Arbeitnehmer unmöglich war?

1.2.2. Nach welchen Kriterien hat diese Prüfung zu erfolgen?“

Diese Fragestellung betrifft auch den Kernbereich des im vorliegenden Fall zu beurteilenden Problems, nämlich ob bzw inwieweit § 10 Abs 2 UrlG unionsrechtswidrig ist. Da von der allgemeinen Relevanz von Vorabentscheidungen des EuGH auszugehen ist und diese auch für andere Fälle als den unmittelbaren Ausgangsfall zu berücksichtigen sind, ist das Verfahren aus prozessökonomischen Gründen bis zum Vorliegen der Entscheidung des EuGH zu unterbrechen (vgl RS0110583).

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