OGH 8Ob129/19g

OGH8Ob129/19g17.4.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Pflegschaftssache der 1. mj L* P*, geboren am * 2015, und 2. mj N* P*, geboren am * 2017, gemeinsam vertreten durch den Vater A* P*, und die Mutter E* P*, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters, vertreten durch Scheer Rechtsanwalt GmbH in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt als Rekursgericht vom 23. September 2019, GZ 20 R 105/19v‑83, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E128227

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Beschluss sprach das Erstgericht (soweit in dritter Instanz noch von Relevanz) aus, dass den seit Juli 2018 getrennt lebenden Eltern der mj. Kinder vorläufig weiter gemeinsam die Obsorge zukommt, wobei beide Kinder hauptsächlich im Haushalt der Mutter betreut werden. Weiters räumte es dem Vater ein Kontaktrecht von Donnerstag Nachmittag bis Sonntag Nachmittag ein, wobei jener Elternteil, dessen Zeit mit den Kindern endet, die Kinder zum anderen Elternteil zu bringen habe.

Die angeordnete Form der Ausübung des Kontaktrechts entspricht der zuletzt von den Eltern tatsächlich ausgeübten Praxis.

Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel des Vaters, der die Übertragung der alleinigen Obsorge auf seine Person und ein auf jede gerade Woche von Freitag Nachmittag bis Sonntag Nachmittag beschränktes Kontaktrecht der Mutter anstrebt, nicht Folge und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für unzulässig.

Das Rekursgericht führte aus, nach § 107 Abs 2 AußStrG sei die Obsorge und die Ausübung des Rechts auf persönliche Kontakte nach Maßgabe des Kindeswohls, insbesondere zur Aufrechterhaltung der verlässlichen Kontakte und zur Schaffung von Rechtsklarheit, vom Gericht auch vorläufig einzuräumen oder zu entziehen, ohne dass dafür eine aktuelle Gefährdung des Kindeswohls vorliegen müsse. Eine solche vorläufige Regelung könne besonders nach Auflösung der häuslichen Gemeinschaft der Eltern erforderlich sein (Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 107 Rz 38). Nach den Feststellungen gelinge es den Eltern immer wieder, den zwischen ihnen schwelenden Streit hintanzustellen und für die Kinder in der vereinbarten Zeit da zu sein. Die Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern sei ausreichend, um eine gemeinsame Obsorge beizubehalten. Nach § 180 Abs 3 ABGB könne jeder Elternteil bei maßgeblicher Änderung der Verhältnisse eine Neuregelung der Obsorge bzw der hauptsächlichen Betreuung beantragen. Der Umstand, dass die Eltern während ihrer aufrechten Lebensgemeinschaft die Hauptbetreuung im Haushalt des Vaters vereinbart hatten, stehe einer Neuregelung des hauptsächlichen Aufenthalts nach erfolgter Trennung der Eltern nicht entgegen.

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters, der primär die Übertragung der alleinigen Obsorge, in eventu die Festlegung der hauptsächlichen Betreuung der Kinder in seinem Haushalt anstrebt, zeigt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf.

Der Revisionsrekurs vertritt zusammengefasst den Standpunkt, die ursprünglich zwischen den Eltern bei aufrechter Lebensgemeinschaft vereinbarte Hauptbetreuung der Kinder im Haushalt des Vaters verschaffe ihm ein absolutes und unabänderliches Recht, ihren Aufenthaltsort festzulegen. Die Mutter habe sich über dieses Recht des Vaters durch Mitnahme der Kinder eigenmächtig hinweggesetzt. Dieser rechtswidrig geschaffene Zustand dürfe nicht durch nachfolgende Gerichtsentscheidungen legitimiert werden.

Diese Auffassung verkennt, dass in Fragen der Obsorgezuteilung das Kindeswohl dem Elternrecht grundsätzlich vorgeht (RS0118080; RS0048632). Die Argumentation des Revisionsrekurses ist von der Kritik der Mitnahme der Kinder durch die Mutter und der Forderung nach einer Sanktion dieses Verhaltens getragen. Dieses Ziel, mag es auf emotionaler Ebene auch bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar sein, kommt im Obsorgeverfahren aber keine entscheidende Bedeutung zu.

Verlegt ein Elternteil den Wohnort unter Verletzung des § 162 ABGB, so handelt er zwar familienrechtswidrig, eine unmittelbare Sanktion im Zusammenhang mit einer späteren Regelung der Obsorge ist dafür jedoch nicht angeordnet, sondern ergibt sich nur aus allgemeinen Überlegungen (Fucik/Miklau, Aufenthalts-bestimmung, Wohnortwechsel und HKÜ, iFamZ 2013, 31 [32]). Das Rekursgericht hat bereits zutreffend ausgeführt, dass die Lebensverhältnisse der Familie sich seit der einvernehmlichen Regelung des gemeinsamen Aufenthalts im Haushalt des Vaters nachhaltig geändert haben, sodass angesichts der zwischen den Eltern ausgetragenen Konflikte eine vorläufige Neuregelung durch das Gericht geboten war. Dadurch, dass das Erstgericht nunmehr im zweiten Rechtsgang bei ansonsten gleichbleibender Verteilung der Kontaktzeiten eine Änderung der hauptsächlichen Betreuung ausgesprochen hat, hat es dem zeitlichen Überwiegen des Aufenthalts bei der Mutter Rechnung getragen. Inwiefern diese vom Rekursgericht gebilligte Änderung dessen Entscheidung im ersten Rechtsgang widersprechen und unzulässig sein sollte, vermag der Revisionsrekurs nicht schlüssig darzustellen.

Ein Grund, weshalb die getroffene vorläufige Regelung dem Wohl der Kinder nicht entspräche oder ihm zumindest durch die vom Vater gewünschte Zuteilung der alleinigen Obsorge besser gedient wäre, wird im Revisionsrekurs nicht konkret ausgeführt.

Wurde bei der Entscheidung über die (vorläufige) Obsorge nach den Umständen des Einzelfalls ausreichend auf das Kindeswohl Bedacht genommen, ist der Revisionsrekurs mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig (RS0115719).

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